Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Gebäudenutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG

Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Gebäudenutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG

Der BFH hat mit Urteil vom 28.07.2021 die nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG auf 34 bzw. 32 Jahre geschätzte Restnutzungsdauer von erworbenen Gebäuden anerkannt, die ein vom Finanzgericht bestellter vereidigter Sachverständiger ermittelt hat. Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens hat der Senat nicht für erforderlich erachtet.

Sachverhalt

Die X KG (eine vermögensverwaltende Personengesellschaft) erwarb im Jahr 2002 ein aus den Einzelgebäuden 1, 2 und 3 bestehendes Wohn- und Geschäftshaus. Für die Jahre 2009 bis 2013 sowie 2015 war die Höhe der als Werbungskosten absetzbaren AfA strittig.

Fraglich blieb, ob für die Gebäude 1 und 2 die durch Sachverständigengutachten geschätzte kürzere Nutzungsdauer als die dem gesetzlichen Abschreibungssatz nach § 7 Abs. 4 EStG zugrunde liegende nach der AfA-Bemessung Satz 2 der Vorschrift zur Anwendung kommen kann. 

Die X KG hatte zunächst AfA in Höhe von jährlich 21.106 EUR geltend gemacht, im Einspruchsverfahren gegen den Einkünftefeststellungsbescheid jedoch unter Vorlage des Gutachtens zur erwartbaren Restnutzungsdauer eines Gesellschafters, der zum Sachverständigen für Grundstücksbewertung bestellt war, eine jährliche AfA in Höhe von 35.763 EUR. 

Nachdem das Finanzamt diese nicht akzeptierte, holte im anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren das Gericht zur Beweiserhebung über die tatsächliche Nutzungsdauer das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken ein. Dieser schätzte die Restnutzungsdauer der Gebäude auf 34 bzw. 32 Jahre. Dabei hatte der Sachverständige „nach Abwägung, reiflicher Überlegung sowie in Kenntnis und Auswertung des einschlägigen Katalogs zu den Lebensdauern von Bauteilen“ das Modell gemäß Anlage 4 (Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen) der Sachwertrichtlinie (SW-RL ) v. 05.09.2012 (Bundesanzeiger, Amtlicher Teil, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Veröffentlichungsdatum 18.10.2012 B1) zugrunde gelegt. Ausgehend von diesem Modell und der Inaugenscheinnahme zur Bauweise gelangte der Sachverständige unter Berücksichtigung zwischenzeitlich durchgeführter zahlreicher Modernisierungen zu einer technischen Lebensdauer des Rohbaus von 70 Jahren. Dabei berücksichtigte der Gutachter, dass von ihm festgestellte Baumängel und -schäden zwar substanziell, aber ohne maßgebenden Einfluss auf die zu ermittelnde Nutzungsdauer waren. Das Finanzgericht folgte dem Gutachter und gab der Klage statt. Im Revisionsverfahren machte das Finanzamt geltend, die durch den Sachverständigen angewandte Bewertungsmethode sei zur Ermittlung der Restnutzungsdauer nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ungeeignet. Erforderlich für die Schätzung einer kürzeren technischen Nutzungsdauer sei, dass durch technischen Verschleiß der tragenden Teile – d. h. insbesondere des Rohbaus – das Gebäude in der Gesamtheit in seiner Nutzungsfähigkeit beeinträchtigt sei. Dazu enthielten die Ausführungen des Sachverständigen keine Ausführungen. Den maßgeblichen Verschleiß der Bausubstanz hätte die X KG auf andere Weise – etwa durch ein Bausubstanzgutachten – belegen müssen. 

Ergebnis

Der BFH hat die Revision des Finanzamts zurückgewiesen. Die Entscheidung des FG Düsseldorf (Urteil vom 12.07.2019 - 3 K 3307/16 F), das eine i. S. d. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer der maßgeblichen Gebäude angenommen hat, sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Nutzungsdauer eines Gebäudes i. S. d. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ist nach § 11c Abs. 1 EStDV der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. 

Jede Berechnungsmethode, die sachgerecht und plausibel auf die Ermittlung der technischen oder wirtschaftlichen Restnutzungsdauer gerichtet ist, muss akzeptiert werden. Der BFH hat im Übrigen hervorgehoben, die Ermittlungen müssten nicht Gewissheit über die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer vermitteln, „sondern allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit“. Die Schätzung darf nur dann verworfen werden, „wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt“.

Hinweis

In der Praxis wird der Steuerpflichtige seiner Feststellungslast zum Nachweis der geringeren Nutzungsdauer ohne Hilfe eines vereidigten Sachverständigen in der Regel nicht nachkommen können. Aber selbst gegen die Ergebnisse der Sachverständigen gehen Finanzämter nicht selten vor. Diese Urteil macht optimistisch und wird die Hürden sicherlich senken.

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