„NEW WORK“ – EIN MYTHOS?

Wie wird unsere neue Welt wohl aussehen? Klar ist nur, die Art wie wir leben wird sich national und global vollkommen ändern. Neue Technologien, soziale Implosionen und Explosionen werden auch die Arbeitswelt gnadenlos auf den Kopf stellen. Vom „Megatrend New Work“ ist in diesem Zusammenhang die Rede. So formulierte es jüngst ein deutscher Think Tank. Andere Quellen lassen verlauten: „Das heiß diskutierte Konzept der ‚New Work’ bricht verkrustete Strukturen in den Unternehmen auf“. So heißt es in der Pressemitteilung eines neuen Online-Coaching-Portals, das in diesem Zusammenhang sogar ein Selbstcoaching-Tool mit zwölf Fachthemen und rund 3.000 Handlungsempfehlungen anbietet. So könnten nun auch „Personalabteilungen in bestimmten Bereichen aktiv das Konzept ‚New Work’ für ihre Mitarbeiter und Führungskräfte umsetzen“. Man spricht von ihr als gäbe es sie schon, die „New Work“. Was steckt dahinter?

Am Ende der Lohnarbeitssysteme

Der Begriff hat eigentlich so gar nichts mit Coaching zu tun, einiges allerdings mit der Entwicklung von Organisationen im Horizont der „Industrie 4.0“ beziehungsweise der „Next Economy“. Er geht zurück auf die Sozialphilosophie. Friethjof Bergmann sah die Industrie 4.0 Ende der 70er Jahre bereits kommen. Das könnte man zumindest so sagen. Im Grunde dachte er über eine Art Ausgleichsmodell zum Kapitalismus nach. Es ging um die Frage: Was passiert, wenn sich der technologische Fortschritt, Prozesse der Automatisierung und dergleichen mehr zunehmend vervollkommnen? „Fortschritt“, so gedacht, führt geradewegs ans Ende der Lohnarbeitssysteme. Erwerbsarbeit wird dann nur noch für einige Wenige eine Option sein. Das birgt folgerichtig gesellschaftlichen Sprengstoff. Bergmanns Antwort war und ist die New Work. 1984 gründete er in der Automobilstadt Flint mit General Motors das erste „Zentrum für Neue Arbeit“.

„Verwandle deine Sehnsucht in Arbeit!“

Bergmanns Gesellschaftsentwurf (als solchen sollte man diesen Entwurf bezeichnen) sieht vor, dass nur noch ein Drittel unser Lebensarbeitszeit auf klassische Erwerbsarbeit entfällt, ein weiteres Drittel auf „High Tech Self-Providing“ (Digital Fabricators wie beispielsweise 3D-Drucker helfen dann bei der Produktion von Gütern des alltäglichen Bedarfs) und auf „Smart Consumption“ (Beispiel: nachbarschaftlich gemeinsam genutzter Acker) und ein weiteres Drittel für Arbeit zur Verfügung steht, der wir wirklich und aus ganzem Herzen nachgehen wollen (Bergmann: „Verwandle deine Sehnsucht in Arbeit!“).

Das, was aus den Gedanken Bergmanns heraus scheint, ist nichts Geringeres als der Entwurf, oder vorsichtiger formuliert, der Vorentwurf einer neuen Gesellschaftsordnung im Range eines neuen „Contrat Social“, eines Gesellschaftsvertrages im Rousseauschen Sinne. Friethjof Bergmann: „Die ‚Neue Arbeit’ ist ein Versuch, eine Gesellschaft zu skizzieren, nach der man sich wieder sehnen kann.“

New Work – eine Steilvorlage für die Politik

New Work ist also ein sozial- und wirtschaftspolitischer Entwurf und kein Coaching-Ansatz, eine Steilvorlage für die Politik, sich tatsächlich einmal mit Zukunftsfragen auseinanderzusetzen und Rahmenbedingungen für die Vielen zu schaffen, die Einkommen und Arbeit brauchen werden, wenn Arbeit nicht mehr in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen wird. Das wird spätestens dann der Fall sein, wenn die Industrie 4.0 flächendeckend in die Fabriken Einzug gehalten haben wird. Vom „Megatrend New Work“ ist in der Politik zumindest derzeit nichts zu spüren. Ohne die Politik geht’s aber nicht.

Die Arbeitswelt kybernetischer Systeme

In der heutigen Mensch-Maschinen-Welt kümmern sich noch Menschen, Fachkräfte, um die Fertigungsroboter. In nicht allzu ferner Zukunft werden das wohl Supervisions-Roboter übernehmen. Unternehmen als soziale Organisationen werden damit weitgehend obsolet. Schlechte Zeiten drohen damit den Betriebsräten, Coaches und Organisationsentwicklern. Man braucht sie einfach nicht mehr, denn betriebliche Konflikte und kulturelle Fragen werden der Vergangenheit angehören. Vorstände und Spitzenmanagement werden es nur noch mit sich selbst aushalten müssen in einer höchst profitablen aber auch höchst einsamen neuen Arbeitswelt der kybernetischen Systeme.

Arbeit für Coaches?

Schlechte Zeiten kommen auf die Coaching-Branche zu, möchte man meinen. Doch wer weiß. Zu tun gibt es schließlich auch in der Arbeitswelt der Zukunft etwas für Coaches. Da wäre zum einen die Einsamkeit des Spitzenmanagements, das seinen Maschinen den Morgengruß entgegenbringt. Das Menschsein wird verstärkt Gegenstand der Reflexion und Top-Executive-Coaching zum „Megatrend“ werden. Dann wird es um den erbitterten Kampf zwischen den Technologieführern gehen und denen, die es werden wollen. Ein Fall für die Strategieberatung und das persönliche Coaching.

Alles, was mit „Digital“ anfängt

Zudem wird sich der Wettbewerb um die talentiertesten Entwickler, IT-Spezialisten und Maschinenbauer massiv zuspitzen. Sind diese einmal für das Unternehmen gewonnen, gilt es sie zu halten. Auch hier kann der Coach gefragt sein. Und zu guter Letzt wird es natürlich auch um die Weiterentwicklung von Kompetenzen gehen, die alle mit „Digital“ anfangen und mit irgendetwas Englischem aufhören – Digital Mindset, Digital Workforce, Digital Ethics. Na ja, Digital Ethics wohl kaum. Ethik gehört ihrer Kategorie nach eher in den Bereich der New Work.

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