„Oftmals hören Betriebsräte und Arbeitgeber sich gegenseitig nicht richtig zu!“
Ein Gespräch mit Marco Holzapfel, Mitbestimmungslotse, über fehlende Kommunikation zwischen Betriebsräten und Arbeitgeberseite und über neue Formen der Mitbestimmung.
von Christian Lorenz
Berlin, Oktober 2018. Arbeiten 4.0, Industrie 4.0, aber auch Mitbestimmung 4.0? Die Mitbestimmung stößt vor dem Hintergrund agiler Projektmanagementmethoden und umfassender Digitalisierungsprojekte in vielen Unternehmen an ihre Grenzen. Nicht schnell genug, zu wenig flexibel, zu wenig informiert – das sind die Klagen derer, die auf Entscheidungen angewiesen sind. Marco Holzapfel, Geschäftsführer der Firma „Betriebsdialog“, begleitet seit vielen Jahren Arbeitgeberseite wie Betriebsräte in schwierigen Verhandlungssituationen. In den letzten Jahren hat sich vor allem die Schlagzahl der Veränderungsprozesse deutlich erhöht, wie er konstatiert. Aber auch die zu verhandelnden Themen sind inhaltlich komplexer geworden. Beides ist für eine sehr auf formale Kriterien ausgerichtete Mitbestimmung ein Problem. Holzapfel ist der Überzeugung, dass es vor allem die interne Kommunikation und die Art der Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und der Arbeitgeberseite zu ändern gilt. Diese Aspekte würden vor allem hinsichtlich der langfristigen Weiterentwicklung der Strukturen viel zu wenig in den Blick genommen. Deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Wirtschaftsbranchen kann er nicht ausmachen. Das Betriebsverfassungsgesetz sowie funktionierende Mitbestimmung sind seiner Meinung nach eine wichtige Säule für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens und letztendlich auch einer Marktwirtschaft.
Marco, als Mitbestimmungslotse moderierst Du seit Jahren zwischen Betriebsräten und Arbeitgeberseite. Kannst Du ausmachen, wie sich die Konflikte über die Jahre verändert haben?
Holzapfel: Die Themen ändern sich – das ist ganz offensichtlich! Themen wie Digitalisierung oder Agilität spielen eine immer größere Rolle. Aber noch stärker als die eigentlichen Sachthemen, verändert sich die Häufigkeit des „Change“ im Unternehmen. Das führt dazu, dass immer mehr Kraft und Zeit auf beiden Seiten notwendig sind, um die betriebliche Mitbestimmung zu gewährleisten und voranzutreiben.
Wird die betriebliche Mitbestimmung also komplizierter?
Holzapfel: Nun, der Zugriff auf öffentliche Informationen wird eigentlich immer einfacher. Gleichzeitig werden die Themen inhaltlich immer komplexer. Vergütungs- und Prämiensysteme, IT-Systeme usw. erfordern immer mehr Fachwissen auf beiden Seiten. Das führt dazu, dass die Gespräche zwischen Betriebsrat und Arbeitgebern immer länger dauern. Hinzu kommt, dass das Verständnis für abstrakte Begriffe erstmal geschaffen werden muss. Was es für den Betrieb konkret bedeutet, wenn gesagt wird „Wir digitalisieren das!“ ist oftmals nicht oder nur wenig greifbar.
Die Mitbestimmung braucht auf der eine Seite also aufgrund der zunehmenden Komplexität mehr Zeit, auf der anderen Seite wachsen der Veränderungsdruck und die Veränderungsgeschwindigkeit in den Unternehmen - ein Widerspruch?
Holzapfel: Ja, in der Tat. Aber den Widerspruch kann man auflösen. Das Zusammenarbeitsmodell der Betriebsparteien ist in viele Fällen unheimlich stark geprägt von Lagerdenken und sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. Dabei wird von beiden Seiten kaum eine Gelegenheit versäumt, den Konflikt unbewusst oder bewusst herbeizuführen. Auf Managementseite besteht nicht selten eine gewisse Unsicherheit bzw. Scheu, sich dem Thema positiv zu nähern. Auf Seiten der Arbeitnehmervertretung wiederum herrscht eine gewisse Grundskepsis gegenüber dem Arbeitgeber und ein eher formell geprägtes Prozedere der Betriebsratsarbeit. Im Ergebnis sind beide Betriebsparteien immer wieder gegenseitig voneinander irritiert. Ich denke, dass wir vor allem die interne Kommunikation und die Form und Intensität der Zusammenarbeit verändern müssen, um Mitbestimmung effektiver gestalten zu können.
Etwas konkreter bitte: Was genau muss sich verändern?
Holzapfel: Ich erlebe häufig, dass die Betriebsparteien gegenseitig die viel zitierte „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ einfordern oder gegenseitig bemängeln. Was beide jedoch immer wieder vergessen: Vertrauen lässt sich nur sehr schwer einfordern; es ist vielmehr das Ergebnis harter Arbeit. Am Ende geht es um ein gemeinsames Verständnis, nach welchen Werten man zusammenarbeiten will. Das umfasst aus meiner Sicht vier Prinzipien. Erstens: Wie verlässlich ist die Zusammenarbeit? Zweitens: Ist sich jeder seiner Verantwortung bewusst? Drittens: Ist es für jeden verständlich? Viertens: Wie verbindlich sind getroffene Entscheidungen? Wenn wir ehrlich sind, fehlt in vielen Unternehmen und Betrieben diese Grundlage für eine brauchbare Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeberseite. Oftmals wurde über diese Grundlage explizit nicht gesprochen und die Form der Zusammenarbeit hat sich eher unbewusst und nebenbei entwickelt. Erst wenn diese Basics geklärt sind, können wir über neue Formen der agilen Mitbestimmung sprechen.
Agile Mitbestimmung setzt also ein hohes Maß an Vertrauen voraus?
Holzapfel: Absolut. Meine Empfehlung ist, die Mitbestimmung daher auf zwei Evolutionsstufen zu betrachten. Die erste Stufe ist das Schaffen genannter Grundlage für tatsächlich gelebte vertrauensvolle Zusammenarbeit. Erst wenn das passiert, können wir auf der zweiten Stufe dazu übergehen, eine deutlich agilere, sprich partizipativere Form der betrieblichen Mitbestimmung aufzubauen. Agilität bedeutet nämlich nicht wie so oft angenommen, dass alles wirr und ohne Regeln erfolgt. Ganz im Gegenteil, das entscheidende Merkmal von Agilität ist eine ausgeprägte Partizipation der Kunden, Mitarbeiter und Stakeholder für ein deutlich nutzerorientiertes Vorgehen. Um dies zu ermöglichen, bedarf es eines gemeinsamen Verständnisses von Arbeitgeber und Betriebsrat - weg von einer puren Detailregulierung und hin zu einer Rahmenregulierung.
Also hält man sich oft mit Detailfragen auf, um den Grundsatzfragen aus dem Weg zu gehen?
Holzapfel: Ich glaube, dass der, der im Driver‘s Seat sitzt, maßgeblich die Zusammenarbeit prägen kann. Und bei der betrieblichen Mitbestimmung nimmt neben dem Arbeitgeber der Betriebsrat eine starke Position ein. Wenn sich ein neues Gremium im Unternehmen etabliert, merke ich immer wieder, dass die Zusammenarbeit von juristischem Lagerdenken geprägt ist und sich die Frage nach dem „Wie“ gar nicht stellt. Keiner will sich darüber unterhalten und alle wollen nur wissen, was mitbestimmungspflichtig ist und was nicht. Das ganze Thema betriebliche Mitbestimmung hat von Haus aus eine stark juristische Komponente, aber oftmals hören Betriebsräte und Arbeitgeber sich gegenseitig nicht richtig zu. Oder wollen sich nicht zuhören.
Woran liegt das?
Holzapfel: Nicht alle haben den gleichen Zugriff auf alle internen Informationen und können sich nicht gleichwertig einbringen. Außerdem ist die Form der Kommunikation in den seltensten Fällen einfach und klar. Von der Arbeitgeberseite hört man oft Sätze wie: „Der Betriebsrat versteht das nicht.“ Es gibt also ganz klar ein Verständigungsproblem. Wenn ich gerufen werde, taste ich in einem ersten Gespräch ab, wo die Beteiligten stehen und welche Erfahrungswerte es gibt. Oft hilft es dann schon, ein thematisches „Onboarding“ zu machen, damit alle das gleiche Wissensniveau erreichen. Aber ich habe auch schon einmal eine Exkursion nach Berlin moderiert, wo Betriebsrat und Arbeitgeber sich verschiedene Start-Ups und deren Arbeitsmodelle angeschaut haben. Es hilft, den Horizont zu erweitern und für die Perspektive des anderen zu sensibilisieren.
Du bist in den verschiedensten Branchen unterwegs. Gibt es Bereiche, in denen neue Formen der Mitbestimmung besser laufen?
Holzapfel: Das kann man so pauschal nicht sagen. Was ich schon merke ist, dass es eine Rolle spielt, ob Gewerkschaften im Hintergrund stehen oder nicht. Gewerkschaften haben naturgemäß auch übergeordnete Interessen, die über den Einzelbetrieb hinausgehen. Es kommt in jedem Fall drauf an, welchen Reifegrad das Thema betriebliche Mitbestimmung im Unternehmen hat. Es gibt beispielsweise Unternehmen, die haben zehn verschiedene Fachausschüsse und niemand weiß mehr so genau, wie die Kompetenzen der einzelnen Fachausschüsse verteilt sind und was die klare Zielsetzung der vielen Ausschüsse sind. Man erkennt also, ob eine betriebliche Mitbestimmung schon lange im Unternehmen etabliert ist oder nicht – was nicht bedeutet, dass es besser oder schlechter läuft – nur anders.
Es gibt immer wieder Kritik an den rechtlichen Rahmenbedingungen. Erlaubt der gesetzliche Rahmen uns überhaupt eine neue Form der Mitbestimmung?
Holzapfel: Die Frage nach dem Umfang einer Reformierung des rechtlichen Rahmens und des Gesetzes lässt sich seriös nicht pauschal beantworten. Für die richtige Annäherung müssen verschiedenste gesellschaftspolitische Entwicklungen sowie der Verlauf der Ökonomie bzw. der Konjunktur berücksichtigt und prognostiziert werden. Ich bin davon überzeugt, dass das Betriebsverfassungsgesetz seinen Beitrag zum Erfolg unserer Wirtschaft in der Vergangenheit geleistet hat und auch in der Zukunft leisten wird. Das bedeutet aber nicht, dass sich nicht auch der praktische Umgang mit Mitbestimmung und das betriebliche Zusammenarbeitsmodell weiterentwickeln kann und muss. Hier sehe ich große Potential und vielmals echten Handlungsbedarf.
Das Gespräch führte Christian Lorenz, Leiter des Hauptstadt-Büros der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP).
Interesse am Thema „Mitbestimmung 4.0“? Marco Holzapfel ist Referent bei unserer DGFP // Jahrestagung „Mitbestimmung 4.0 - neue Wege der Mitbestimmung in Zeiten der Digitalisierung“ am 17. Januar 2019 in Frankfurt am Main. Alle Informationen dazu unter: mitbestimmung.dgfp.de