Olympia: entscheidet sich wieder alles im Kopf?
Foto: Rainer Friedl

Olympia: entscheidet sich wieder alles im Kopf?

Mentale Stärke ist enorm bedeutend und erfreulicherweise auch trainierbar. Ist sie aber wichtiger als alle anderen leistungsbestimmenden Faktoren wie Material, saubere Bewegungstechnik oder körperliche Verfassung?

Dem „Mentalen“ bis zu 70% Anteil am Erfolg zuzuschreiben, ist völlig übertrieben. Oft und pauschal wird mentales Versagen attestiert und ein wichtiger Zusammenhang übersehen: Alle Faktoren beeinflussen sich gegenseitig ständig und vielschichtig. Es kann auch an der mangelnden körperlichen Widerstandsfähigkeit liegen, wenn ein Tennisspieler im entscheidenden Satz ungeduldig wird und resignierend „mental wegkippt“. Auch Schwächen in der Ausführungstechnik einer Sportart oder am Material machen sich unter psychischem Druck sehr störend bemerkbar. Berechtigte Zweifel knabbern im unpassendsten Moment am gerade noch intakten Selbstvertrauen, z.B. wenn der Wind pfeift beim Skispringen und man dem eigenen Flugsystem aus Erfahrung nicht ganz trauen kann.

Umgekehrt ist es logisch, dass ein Marcel Hirscher, von seinen systematischen Anstrengungen und Fortschritten im Skitechnikbereich und in der Materialabstimmung auch mental geprägt wird. Als „Nebeneffekt“ dieser durchlebten Prozesse entwickelt er Realitätssinn und Selbstvertrauen. Zusätzlich speist sein ausbalanciert-muskelbepackter Körper die Zuversicht vor jedem Lauf und lässt ahnen, dass Bewältigungsüberzeugung nicht durch Meditieren alleine wächst. Manche Sportler denken und handeln intuitiv oder erlernter Weise richtig und halten sich ohne Mentalexperten an der Spitze. Ihre Denkmuster haben sich in der Praxis bewährt und verfeinert und das zählt.

Ablehnung gegenüber der Sportpsychologie ist trotzdem völlig fehl am Platz. Wird sie rechtzeitig und mit G’spür in Trainingsprozesse eingeschleust, profitieren Sportler und Trainer gleichermaßen. Ein erfolgversprechender und kulturbildender Prozess steht und fällt mit der Auswahl eines menschlich passenden und qualifizierten Sportpsychologen und kluger Zusammenarbeit mit den Trainern. Zu spät und „als Feuerwehr“ gerufen, bleiben alle Experten Fremdkörper im System und können wenig bewegen. Die Vernachlässigung und Unterentwicklung der mentalen Dimension rächt sich genauso wie mangelnde körperliche Verfassung oder andere Schwächen. Bei Großereignissen verhält sich der steigende Druck durch starke Konkurrenz und hohe persönliche Erwartungen wie Hochwasser. Unausweichlich werden Schwachstellen im System oder Individuum gefunden und hoch belastet. Sie bersten oder halten Stand.

Die Kolumne ist in der Tiroler Tageszeitung sowie in den Vorarlberger Nachrichten am 06.08.2016 erschienen!

www.toni-innauer.atwww.innauerfacts.at

 

 

Gerhard Habtmann

Wir helfen Ihnen Ihr Unternehmen nachhaltig erfolgreich aufzustellen! #Restrukturierung #StrategischeUnternehmensführung

8 Jahre

Lieber Toni, perfectly right auf die Interdependenz leistungsbestimmender Faktoren hinzuweisen! Mentale Stärke ist part of the game - nicht add on oder anstelle von ... Gilt übrigens für Unternehmen bzw Geschäftsmodelle am Markt genau so! Business Model Canvas kann da eine gut anwendbare Strukturierung und Guidance liefern. LG und alles Gute Gerhard/Hapson :-)

Reinhard Larcher

Psychologisch-psychotherapeutische Praxis Prof. Dr. Reinhard Larcher (Salzburg)

8 Jahre

Toni Innauer schreibt nicht ÜBER das Thema, sondern stellt aus aus eigener Erfahrung das Problem dar - das ist sehr erfreulich!

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Weitere Artikel von Toni Innauer

  • Skispringer mit langem Atem

    Skispringer mit langem Atem

    Die Polen dominieren wie gewohnt den Sommer-Grand-Prix der Springer. Wisla, Hinterzarten und Courchevelle bestätigen…

    2 Kommentare
  • Profiboxen: Essenz des Sports oder Showbiz?

    Profiboxen: Essenz des Sports oder Showbiz?

    Sigi Bergmanns Stimme ist mir abgegangen vor dem Fight. Sein beschwörend bebender Bariton, der bis zur Verklärung…

    2 Kommentare
  • "Erfolgreich Scheitern"

    "Erfolgreich Scheitern"

    Jeder kennt es. Jeder hasst es.

    5 Kommentare
  • Kraft, Können und Physik

    Kraft, Können und Physik

    Bis auf den krankheitsbedingten Einbruch am Bergisel konnte Stefan Kraft immer dann, wenn es ernst wurde, die…

  • Erfolg im größten Skisprungmarkt

    Erfolg im größten Skisprungmarkt

    Die wohl schwierigste Herausforderung unserer „Nationaltrainerexporte“ bewältigt Werner Schuster. 2008 hat er die…

    2 Kommentare
  • Biathlon: Querschüsse in einer weißen Idylle

    Biathlon: Querschüsse in einer weißen Idylle

    Biathlon läuft sportlich und wirtschaftlich wie am Schnürchen, da passen Dopingdiskussionen und rebellische Sportler…

    1 Kommentar
  • Die internationalen Superadler ...

    Die internationalen Superadler ...

    ..

    2 Kommentare
  • "Da rauscht das Adrinalin"

    "Da rauscht das Adrinalin"

    Kürzlich interviewte mich Marc Heinrich von der "Frankfurter Allgemeine" über die Themen Skispringen als virtuose…

    4 Kommentare
  • Die Liebe zum Nebenfach

    Die Liebe zum Nebenfach

    Otto Schenk beschreibt es als seine unstillbare Neigung und Neugier, die Faszination für die Nebenspur, das Nebenfach…

    4 Kommentare
  • Der betörende Glanz der Dummheit*

    Der betörende Glanz der Dummheit*

    Die USA sind mit allzeit 1119 Goldmedaillen bei Olympia das mit Abstand leistungsstärkste Sportland der Welt. Man…

    19 Kommentare

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen