Patient im Fokus
Das Gesundheitswesen braucht Reformen, die den Nutzen der Patienten maximieren. Nur so lassen sich Kosten sparen.
Die Kosten des Gesundheitswesens stehen vermehrt im Fokus von Öffentlichkeit und Politik. In ihrem Werk Redefining Health Care legen die renommierten Innovationsexperten Michael Porter und Elizabeth Olmsted Teisberg einen strategischen Lösungsansatz (Value Agenda) vor. Das Buch beginnt mit einer umfangreichen Kritik, was alles im US-Gesundheitswesen schiefläuft. Vieles gilt auch für die Schweiz.
Die zentrale These dabei ist, dass sich heute der Wettbewerb um die Verschiebung der Kosten, die Einkaufsmacht oder den Verzicht auf Leistungen dreht. Kurz gesagt: Die Politik konzentriert sich zu sehr auf Kosten und Finanzierungssysteme. Reformen müssten aber ganz unabhängig von Finanzierungsfragen den Gesundheitszustand der Patienten verbessern. Im Fokus müsste die Maximierung des Nutzens für die Patienten stehen also das Erreichen des bestmöglichen Resultats zu tiefsten Kosten. Folgerichtig sollte sich der Wettbewerb am medizinischen Behandlungserfolg über den ganzen Behandlungszyklus hinweg orientieren. Ein solcher Ansatz würde die Effektivität und die Effizienz steigern und die Gesamtkosten dämpfen. Dies bedürfte aber eines Wandels vom heute angebotsorientierten Gesundheitssystem mit dem Arzt als Zentrum hin zu einem System, das die Bedürfnisse des Patienten in den Mittelpunkt rückt. Dazu müsste die Gesundheitsversorgung neu organisiert werden. Auch müssten Kosten und Resultate der Behandlung entlang des Krankheitsverlaufs über den gesamten Zyklus hinweg gemessen werden. Damit verbunden wäre langfristig ein Wechsel von einer Fee-for-service zu einer performanceorientierten Vergütung. Natürlich braucht es dazu mehr Daten und eine leistungsfähige IT-Plattform ein Wandel, der dank der Digitalisierung aber wohl sowieso nicht aufzuhalten ist, wie Eric Topol in seinem 2015 erschienenen Buch The Patient Will See You Now überzeugend darlegt.
Das Werk von Porter und Teisberg stammt aus dem Jahr 2006 und ist somit nicht mehr taufrisch. Das hat den Vorteil, dass seither weltweit viel vertiefende Forschung und konkrete Umsetzungen dieser Value Agenda stattgefunden haben. Bereits 2008 analysierte Teisberg zudem in einer Studie die Möglichkeiten und Chancen eines nutzenorientierten Wettbewerbs im Schweizer Gesundheitswesen. Zehn Jahre später sind Beobachter des politischen Diskurses im Gesundheitswesen ernüchtert. Denn nach wie vor diskutieren wir nur über die Eindämmung der direkten Krankheitskosten. So sei der Weg in Richtung Rationierung, sinkende Zufriedenheit und ironischerweise Kostenzunahme und -verlagerung vorgezeichnet, hielt Teisberg vor zehn Jahren fest. Pünktlich zu diesem Jubiläum hat die vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe unter Leitung der Alt-Ständerätin Verena Diener als Kernmassnahme zur Kostendämpfung die Einführung von Globalbudgets gefordert und damit also eine Massnahme, die zur Rationierung von medizinischen Leistungen führen kann. Von einem effizienz-und effektivitätssteigernden Wettbewerb um Nutzen und Ergebnisse auf der Ebene einzelner Krankheitsbilder über den gesamten Behandlungszyklus hinweg sind wir also noch immer weit entfernt. Wann macht sich die Schweiz politisch auf den Weg zu einem nutzenorientierten Wettbewerb?
(erschienen in Bilanz 10/2018, S. 91)