Pflege-Tariftreue-Gesetz „Alles neu macht der Mai“ ... Flächendeckende Tariflöhne in der Pflege wird er aber wohl nicht bringen.

Nach dem Scheitern des Projektes eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags in der Pflege hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil angekündigt, er wolle "alle Wege" für höhere Pflegelöhne nutzen. Um nicht mit ganz leeren Händen aus der Regierungsverantwortung der auslaufenden Legislaturperiode entlassen zu werden, scheint für Herrn Heil nunmehr planloses Agieren das Gebot der Stunde zu sein. Am letzten Wochenende wurde bekannt, dass der Bundesarbeitsminister über einen eigenen Gesetzentwurf seines Ministeriums Tarifgehälter in der Altenpflege gesetzlich zur Pflicht machen will. Eine Abrechnung von Pflegeleistungen über die Pflegeversicherung soll Einrichtungen nur möglich sein, wenn sie an ihre Beschäftigten Tariflöhne zahlen. Ein entsprechendes Gesetz soll laut Heil noch im Sommer beschlossen werden. Der Gesetzentwurf wurde bereits innerhalb der Bundesregierung zur Beratung verschickt. Unterstützung erhält er für diesen Schritt von Bundesfinanzminister Scholz. Er griff den Vorstoß des Bundesarbeitsministers auf und formulierte (erneut) Versprechen, deren Umsetzung in den Sternen steht.

Augenscheinlich gehen dem Koalitionspartner SPD die Ansätze in der angedachten Pflegereform von Bundesgesundheitsminister Spahn nicht weit genug. Heil erklärte, Spahn habe bisher keine konkreten Lösungen vorgelegt. Angesichts der Komplexität des Themas verwundert es nicht, da insbesondere die Frage der dauerhaften und nachhaltigen Finanzierung zukünftiger Lohnsteigerungen leider weiterhin ungeklärt bleibt. Zudem sah der zuletzt von Minister Spahn vorgelegte Arbeitsentwurf eines Pflegereformgesetzes keine harte Vorgabe mehr für eine zwingende Bezahlung „nach Tarif“ als Voraussetzung für die Zulassung der Einrichtungen zur Versorgung durch einen Versorgungsvertrag vor. So soll die Neuregelung des 72 Abs. 3a SGB XI nach dem aktuellen Arbeitsentwurf im letzten Satz lauten: „Im Falle des Fehlens anwendbarer Tarifverträge oder soweit diese nicht auf alle Beschäftigten im Pflege- und Betreuungsbereich einer Pflegeeinrichtung anwendbar sind, ist eine ortsübliche Entlohnung zu zahlen.“ Dies ist alles andere, als eine Verpflichtung zur Zahlung „nach Tarif“.

Während dem Spahn´schen Ministerium anscheinend nach und nach Bedenken an der rechtssicheren Umsetzbarkeit eines Tarifzwangs gekommen sind, weshalb nur noch eine „Tarifbindung light“ auf der Agenda des Gesundheitsministeriums steht, scheinen Heil und Scholz befremdlich blind auf diesem Auge zu sein. Sich an Frau Nahles zu orientieren, die seinerzeit trällerte „Widdewiddewitt ... Ich mach' mir die Welt, Widdewidde wie sie mir gefällt.“ ist rechtlich fahrlässig, mindestens aber erschreckend blauäugig. Es bestehen gegen jede Form erzwungener Tarifbindungen massive verfassungsrechtliche Bedenken. Die grundgesetzlich geschützte Tarifautonomie ist ein hohes Gut. Dieses steht nicht zur beliebigen Beugung durch Ministerien und zu deren Disposition. Sich nicht über Tarifverträge zu binden, ist Ausdruck der Tarifautonomie; ob es den Herren Heil und Scholz passt, oder nicht.

Spahn dürfte der Vorstoß aus dem Lager des Koalitionspartners gar nicht gefallen haben. Der Bundesgesundheitsminister erklärte am Mittwoch, seine Gesetzesinitiative voranzutreiben und bei dem Ansatz zu bleiben, Pflegekräfte besser zu bezahlen, ohne die Pflegebedürftigen und ihre Familien zusätzlich zu belasten. Wie dies alles konkret ausgestaltet werden soll, ist auch nach dem Spahn´schen Ansatz nicht ganz klar. Im Gegensatz zu Heil und Scholz liefert Spahn zumindest Grundmuster für denkbare Lösungen. Die bekannten Eckpunkte laufen auf eine Begrenzung der Zuzahlungen der Pflegebedürftigen zur stationären Pflege hinaus. Diese sollen nach dem ersten Jahr des Heimaufenthaltes um 25 Prozent sinken, nach dem zweiten um 50 Prozent und nach dem dritten Jahr des Heimaufenthaltes um 75 Prozent. Der sogenannte pflegebedingte Eigenanteil der durch die Pflegebedürftigen aus eigenen Mitteln zu tragen ist, liegt derzeit im Monat bei rund 800 Euro. Hinzu kommen die vom Pflegebedürftigen zu tragenden Kosten für Verpflegung und Unterkunft, die Investitionskosten, gegebenenfalls eine Ausbildungsumlage sowie gegebenenfalls Kosten für Zusatzleistungen. Sollen die Mehrbelastungen für die die Pflegebedürftigen und ihre Familien tatsächlich nicht steigen, werden die entstehenden immense finanzielle Mehrkosten auf andere Weise refinanziert werden müssen. Spahn verwies diese Woche unter anderem auf ein „Abfedern aus dem Bundeshaushalt“. Zudem soll der Beitrag zur Pflegeversicherung für Kinderlose um 0,1 Prozentpunkte angehoben werden.

Ich bezweifele bei alledem, dass Herr Scholz, Herr Heil oder Herr Spahn eine genaue Vorstellung davon haben, welche Mehrkosten auf die Pflege bei einer Umsetzung der so sehr herbeigewünschten Tarifbindung zukommen. Ganz sicher kann man sich allerdings in dem Punkt sein, dass keiner der Genannten einen durchdachten und fundierten Plan für die seriöse und nachhaltige Refinanzierung hat. Vielleicht ist das bei näherer Betrachtung auch noch (nicht) erforderlich. Die Bundestagswahl steht schließlich schon am 26. September an. Bis dahin könnte es ausreichen, die Rechnung ohne den Wirt zu machen.

Der Pflegebranche und die Bürger haben durchdachte Konzepte verdient. Planloses Agieren hilft nicht. Es verunsichert, wirkt unseriös und degradiert ein zentrales Thema unserer Zeit zu einer plakativen Wahlkampfposition. Ich wünsche mir den Mut der Politik, den Bürgern offen zu sagen, wohin Pflege entwickelt werden soll und was der Gesellschaft eine gute pflegerische Versorgung bei fairer Bezahlung der Pflegekräfte wert sein muss. Nicht lamentieren und wahlwerbend fordern; ehrlich und nachhaltig handeln!


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