Präsenzkultur: Nicht jede Arbeit ist gleich
Moin meine Lieben!
In den letzten Jahren hat sich die Arbeitswelt dramatisch verändert. Die Digitalisierung, die Corona-Pandemie und der Wunsch nach mehr Flexibilität haben gezeigt: Arbeit ist nicht länger an einen festen Ort gebunden – zumindest für Wissensarbeiter. Doch anstatt diese Entwicklung zu nutzen, erleben wir derzeit vielerorts einen Rückschritt. Unternehmen wie SAP und Amazon ordern ihre Mitarbeiter zunehmend wieder zurück ins Büro. Die Begründung: Ein vermeintlicher Verlust von Kreativität, Teamgeist und Identifikation, weil man sich nicht mehr regelmäßig an der Kaffeemaschine trifft. Diese Rückkehr zur Präsenzkultur hat eine hitzige Debatte entfacht: Was zählt mehr – Anwesenheit oder Ergebnisse?
Ich bin überzeugt: Präsenz darf nicht mit Performance verwechselt werden. Besonders bei Wissensarbeitern gibt es keine Korrelation zwischen Anwesenheit und Leistung. Das, was wirklich zählt, ist Motivation, Ergebnisorientierung und die Freiheit, die Arbeit so zu gestalten, dass sie effizient und kreativ erledigt wird. In diesem Zusammenhang sind pauschale Ansagen von oben, die ohne triftige betriebliche Gründe daherkommen, wie beispielsweise schlechte Kennzahlen, für Mitarbeiter nicht nachvollziehbar. Das sind dann die wahren Kreativitätskiller.
Natürlich müssen wir unterscheiden. Nicht jede Arbeit lässt sich flexibel gestalten. Ein Bauarbeiter kann keine Wand hochziehen, während er zu Hause vor dem Laptop sitzt. Ein Pfleger muss bei seinen Patienten sein, und auch Produktionsmitarbeiter brauchen physische Präsenz. Diese Berufe sind unverzichtbar und verdienen höchsten Respekt. Gleichzeitig hat sich auch ihre Arbeit im letzten Jahrhundert massiv verändert:
Die Einführung des Fließbands durch Henry Ford zu Beginn des 20. Jahrhunderts war eine Revolution. Produktionsabläufe wurden effizienter, die Produktivität schoss in die Höhe und Arbeitszeiten konnten von 12 auf 8 Stunden reduziert werden.
Technologie hat physische Arbeit optimiert, ermöglicht höhere Effizienz und bessere Arbeitsbedingungen.
Die Digitalisierung wirkt heute wie das „Fließband“ für die Wissensarbeit.
Cloud-Lösungen ermöglichen ortsunabhängige Zusammenarbeit in Echtzeit.
Kollaborationstools schaffen eine neue Nähe, selbst wenn Teams über Länder verteilt sind.
Virtuelle Meetings machen physische Anwesenheit oft überflüssig.
Die Folge? Wissensarbeiter können produktiv sein – egal, wo sie sich befinden. Der Arbeitsplatz ist dort, wo die beste Leistung erbracht wird.
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Wenn Unternehmen heute auf strikte Präsenzpflichten setzen, riskieren sie, die besten Köpfe zu verlieren. Oder wie es Cawa Younosi (ex. Personalchef bei SAP) treffend sagt:
„In der Regel gehen die, die am schnellsten woanders einen neuen Job finden, also die Leistungsträger.“
Cawa konnte zum Ende seiner 14jährigen Karriere bei SAP einiges nicht mehr nachvollziehen, darunter auch pauschale Arbeitsvorschriften. Sein eigenes Team war international aufgestellt. Die Mitarbeiter saßen in Deutschland, Indien, Mexiko – eben über den gesamten Erdball verteilt. Wie soll man einem Mitarbeiter, der in Mexiko sitzt, nachvollziehbar klarmachen, dass er in sein Büro in Mexiko kommen soll, um mit seinen Kollegen aus Deutschland an einem Teams-Meeting teilzunehmen?
Starre Regeln untergraben das Vertrauen, das moderne Arbeitskulturen brauchen. Teams wissen selbst am besten, wie sie ihre Projekte erfolgreich abschließen. Sie kennen ihre Prozesse, ihre Dynamik und die Anforderungen ihrer individuellen Situation. Warum also zurück zu veralteten Modellen? Warum die Flexibilität opfern, die uns die Digitalisierung bietet?
Das Büro hat nach wie vor eine wichtige Rolle – als Ort der Begegnung. Doch es darf nicht zur Pflichtstation werden, die lediglich dazu dient, „gesehen zu werden“. Stattdessen brauchen wir eine hybride Arbeitskultur, die:
Vertrauen statt Kontrolle fördert.
Ergebnisse statt Präsenz misst.
Flexibilität statt starrer Prozesse ermöglicht.
Der Ort der Arbeit ist nicht mehr entscheidend – das Ergebnis ist es.
Motivation schlägt Kontrolle. Flexibilität schlägt Starre. Kreativität schlägt alte Prozesse.
Euer Georg