Purpose ist so 90er

Purpose ist so 90er

Wenn heute Einer von Purpose redet, dann horcht im Vorstandsmeeting jeder auf. Purpose, das ist Ausdruck von dringlicher werdenden Fragen nach Sinn und Zweck einer Unternehmung – aber nichts bahnbrechend Neues. Was dann?

Als der sogenannte Business Roundtable, der weltweit wichtigste Verband von Unternehmenslenkern, im August feierlich verkündete, fortan nicht mehr bloß den Shareholder-, sondern den Stakeholder-Value zum Primat unternehmerischen Handelns zu erheben, erreichte die steile Karriere des »Purpose« ihren vorläufigen Höhepunkt: Alle machen jetzt Purpose. In ihrer reichlich wolkigen Erklärung sprachen die 181 CEOs sodann auch davon, nicht weniger als den Purpose, also den Zweck, eines Unternehmens zu redefinieren. Man könnte beinahe glauben: Ab sofort schlägt Purpose Rendite. Ab sofort machen alle alles für alle Stakeholder. Und für die Umwelt sowieso. 2019, ein zweiter Summer of Love. Die Wahrheit ist: Die Erklärung des Business Roundtable ist allen voran eine zähneknirschende Konzession an den Zeitgeist, an jüngere, hochqualifizierte Generationen, die die Frage nach dem »Warum« stellen und die sich mit eindimensionalem Wachstum um jeden Preis als Antwort auf diese Frage nicht mehr identifizieren können und wollen. Das von Seiten des Business Roundtables ausgerufene Purpose-Primat erfolgt fraglos unter dem Druck der Märkte und ist doch auch Ausdruck eines sich verschiebenden globalen Bewusstseins, Ausdruck von dringlicher werdenden Fragen nach Sinn und Zweck. Doch am Anfang steht vor allem eine Frage: Purpose, was ist das eigentlich?

Purpose ist alter Wein in neuen Schläuchen

CEOs und Beraterheerscharen führen die Diskussion um Purpose mit beinahe religiösem Eifer. Der weihevolle Impetus, mit dem mancher vom Purpose schwadroniert, den es nun zu finden, zu erzeugen oder herzuzaubern gelte, lässt den Zuhörer glauben, es handele sich um eine bahnbrechende Neuentdeckung, eine wissenschaftliche Sensation oder dergleichen: Simsalabim, wir haben den Purpose entdeckt. Eine intellektuelle Farce, wenn man bedenkt das beispielsweise Reinhard Sprenger 1991 in seinem Buch »Mythos Motivation« genau das beschreibt und benennt, was heute unter Purpose firmiert, wenn man bedenkt, was Daniel Pink in seinem Buch »Drive« ausführt. Selbst Simon Sineks famoses »Start with why« feiert in diesem Jahr seinen zehnten Geburtstag. Purpose, das ist sehr alter Wein in neuen Schläuchen. Oder um es in Anlehnung an den Film »Good Will Hunting« zu sagen: Das Fachwissen über Purpose lässt sich in jeder besseren Leihbibliothek erwerben.

Zwischen Greenwashing und Selbstüberhöhung

Der Hype um die Unternehmenssinnsuche führt immer wieder zu absonderlichen Stilblüten – häufig, da die grundlegende Idee eines Purpose missverstanden wird. Dann kehren Unternehmen zwanghaft das aus Zeitgeistperspektive Erträglichste heraus, was sie in ihren Untiefen finden können, so wenig es auch mit dem zu tun haben mag, was das Unternehmen eigentlich ausmacht. Im Ergebnis wird aus einem Atomkraftbetreiber ein Klimaschützer, da Kernenergie kaum CO2 freisetzt. Ähnlich fehlgeleitet wirkt jeder Purpose dort, wo er die eigene Bedeutsamkeit so dermaßen überhöht, dass man eigentlich von einer Persiflage ausgehen muss. Ein Hersteller von Kugellagern, der von sich selbst sagt, er halte die Welt in Bewegung, taugt nur noch zum Spottobjekt. Und noch viel schlimmer: die Erwartungen, die ein grüngewaschener oder überhöhter Purpose erzeugt, erweisen sich langfristig als Bumerang – nicht nur medial, sondern auch im Kampf um die besten Mitarbeiter, da solche ins Unermessliche gesteigerten Erwartungen zwangsläufig Enttäuschung produzieren werden, wenn sie nicht von der organisationalen Realität gedeckt sind. Für jedes Unternehmen auf Purpose-Suche gilt es entsprechend, der allzu blumigen Selbstüberhöhung zu widerstehen.

Digitale Tools und flache Hierarchien befeuern die Frage nach Purpose

Ein Grund, warum der Purpose für Unternehmen, obwohl seit Dekaden Thema einschlägiger Management-Literatur, plötzlich zum bestimmenden Thema wird, liegt darin, dass uns erst digitale Tools in der Breite die Möglichkeit geben, die einhergehenden Transparenzversprechen innerhalb eines Unternehmens, aber auch nach außen zu verwirklichen. Erst dank Many-to-Many-Kommunikation in Echtzeit ist der fluide Austausch von Erwartungen und Informationen zwischen unterschiedlichen Stakeholdern überhaupt möglich – und wird zunehmend eingefordert. Ferner gilt: In Zeiten, in denen Hierarchien immer flacher werden und die Kultur des besseren Arguments die Top-Down-Direktive ersetzt, ist es erfolgskritisch, dass der Sinn und Zweck eines Unternehmens nicht diffus durch die Flure wabert, sondern explizit und damit handlungsleitend von Pförtner bis CEO verstanden und geteilt wird.

Purpose bedeutet Explizitmachen, was ist

Eine gute Nachricht für Unternehmen in der Sinnkrise: Der Purpose ist bereits da. Die Tatsache, dass ein Unternehmen existiert, dass es also Bedarf oder Nachfrage nach den angebotenen Leistungen oder Produkten gibt, beantwortet die Frage nach dem Purpose (Zweck) formallogisch bereits hinreichend. Letztlich ist der Purpose eines Unternehmens also etwas beinahe Banales: Er ist Ausweis der Existenzberechtigung, in dem er die Rolle des Unternehmens in einem größeren Ganzen herauskitzelt.

Purpose, das heißt „Welchen Beitrag leisten wir, welches Problem lösen wir?“ und nicht „Wer ist der Grünste im ganzen Land?“. Die Antwort auf diese Frage kann nicht für jedes Unternehmen gleichermaßen sexy sein. Doch genau das ist auch nicht die Aufgabe eines Purpose: Purpose, das ist keine shiny PR-Story. Purpose, das ist »sagen, was ist«. Das Explizitmachen des Unternehmenszwecks hilft letztlich dabei, das Match-Making zwischen Mitarbeitern und Unternehmen genauso wie zwischen Kunden und Unternehmen zu verbessern. Wenn ich weiß, wer ich bin und was mich ausmacht, finde ich auch leichter diejenigen, die gut dazu passen – und vice versa. Klarheit schaffen, wohin und was ein Unternehmen will, damit Mitarbeiter selbstorganisiert ihren Beitrag zur Erreichung der Ziele leisten können und Stakeholder wissen, mit wem sie es zu tun haben: Genau das hat ein guter Purpose zu leisten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.


Jasmin Blum

Talent Leader | D&I Enthusiast | Start-ups & Scale-ups | Ex-N26

4 Jahre

Caren Schwannauer Sehr sehr interessant, bisher noch nicht so betrachtet, aber ergibt viel Sinn und man beobachtet tatsächlich immer mehr, dass nach außen kommunizierte Purpose mehr PR und Branding statt das eigene Business reflektiert! Dennoch dürfen sich Unternehmen auch als soziale Unternehmen, Teil der Gesellschaft verstehen und einen sozialen und ökologischen Purpose in ihrer unternehmerischen Tätigkeit verfolgen. Was meinst du?

Siegfried Kragelj

Product Owner / Senior Consultant / Agile Projektmanager bei Deutsche Telekom, Telekom IT

5 Jahre

Ja Hr Waide der „Summer of love“ wird wohl schnell zu „Hells Bells“ wenn KPI und Boni der Mächtigen nicht passen. Dann folgt ein „Wind of change“ zurück in die Realität von Macht, Gehorsam und Gewinn. Sehr offen und sehr war was Sie schreiben. Mir fällt noch Tom DeMarco in Ihrem Reigen der früh wissenden ein. Immer wieder lesenswert sind „Spielräume“ und „Wien wartet auf dich“. Ich freue mich schon auf weitere Artikel von Ihnen.

Michelle van der Veen

Global Direct Commerce Lead bei Danone I Agile Coach | Business Development | OKR Lover | Vorstand Working Moms e.V. Frankfurt

5 Jahre

Generell kann ich allem zustimmen, allerdings fehlt mir die Tatsache, dass zumindest laut aktuellen Studien der Verbraucher den "Purpose" von Unternehmen einfordert. Das treibt ja die Sau gerade durchs Dorf und befeuert den Trend zum Purpose jenseits vom alten schnöden Mammon. Und viele Unternehmen, die dem Käufer auch einen Sinn anbieten wie zum Beispiel Share oder Tom's geben dem Trend ja auch ein Stück weit recht. Für mich ist eher die Frage ob etablierte Unternehmen, die in ganz anderen Zeiten gegründet wurden überhaupt etwas ähnliches einlösen können.

Tony E. Kula

Human | Entrepreneur turned Investor | Founder of MVC & MEETYOO | Passionate Sales Guy | Dad of fantastic Girls | Triathlete

5 Jahre

Guter Artikel, danke fürs teilen Bjoern Waide! Der Core-Purpose einer Firma ist einfach schlichtes Überleben und das geht nur wenn man Profit macht - jeder der eine Firma gründet oder leitet wird bestätigen, das ist Purpose genug. Oft ist nun die Rede von Higher-Purpose und da wirkt es lächerlich auf mich, wenn (wie von Ihnen gut beschrieben) ein Kernkraftwerk plötzlich ein grünes Unternehmen wird. Nicht jede Firma kann der Umwelt dienen oder gleich die Welt retten. Trotzdem werden Firmen von Menschen gegründet und geleitet, diese dürfen sich m.E. über den Sinn Ihrer Arbeit - also dem Purpose - Gedanken machen, das finde ich gar nicht 90´er, auch wenn der Begriff gerade hip ist. Der Unternehmer als Mensch kann durchaus einen higher-purpose verfolgen, er könnte seinen Profit oder einen Teil für etwas „Gutes“ verwenden, er kann seinen Mitarbeitern ein besonderes, wertschätzendes Umfeld bieten etc. Aus meiner Sicht kann daher ein Unternehmen gar nicht in einer Sinnkrise sein, es ist nur ein Vehikel, der Unternehmer aber sehr wohl und das schadet sicher gerade heute nicht...

Gabriele Sorg

Nachhaltigkeit 💚 und Empathie❤ in Innovation und Kommunikation, Journalistin, Beraterin, Texterin, Ghostwriter, Networking, Sustainability and Empathy in Innovation and Communication

5 Jahre

Lieber Bjoern Waide, ich bin komplett anderer Meinung als Sie. Der "Purpose" ist zeitgemäß, wichtig und richtig für die nachhaltige Entwicklung in den Unternehmen und hilft dabei, dier Stakeholder auf die Reise zu mehr Nachhaltigkeit im systemischen Sinn, also ökologisch, sozial und wirtschaftlich mitzunehmen. Foto: Maurice Spees.

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