Ressource "Lebenssinn"
Die meisten Menschen gelangen irgendwann an diesen Punkt, an dem sie nach dem Sinn des Lebens suchen, nach einer Sinnerfüllung und einer tieferen Bedeutung. Es ist die Frage nach einem tieferen Grund, Ziel, Nutzen und Zweck des Lebens, die Frage nach unserer Bestimmung. Wer seinen Lebenssinn einmal gefunden hat, der findet nicht nur Zufriedenheit, Dankbarkeit und Glück. Dieser Sinn des Lebens beeinflusst zugleich sein gesamtes Denken und Handeln.
Von Friedrich Nietzsche stammt die provokative Behauptung: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ Das ist sicherlich keine Aufforderung, nach einer Einstellung zu suchen, mit der man alles passiv ertragen und aushalten kann. Es ist vielmehr Ausdruck der Erfahrung, dass eine subjektiv erlebte Sinnhaftigkeit Kräfte freisetzt, mit denen Menschen auch widrige Lebensumstände bewältigen können.
Denn Sinnorientierung bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem, dem Leben und seinen Erfahrungen eine Bedeutung geben zu können. Wir deuten dann Lebensereignisse und Lebensumstände in einem größeren Zusammenhang (philosophisch, religiös, spirituell) und erkennen darin eine Botschaft und Aufgabe für uns. Damit ist gleich eine entscheidende Haltung verbunden, die wesentlich zu Wohlbefinden und Gesundheit beiträgt: das Verlassen der Opferrolle! Denn statt sich mit der Frage „warum ich? Warum so?“ zu quälen und in die Opferrolle zu gehen, gehen wir mit der Frage „wozu?“ in eine aktive Auseinandersetzung mit dem, was ist. „Wozu ist das gut? Was muss ich hier lernen/entwickeln? Welche Aufgabe stellt mir diese Situation?“
Die Kraft der Sinnorientierung beweist sich aber nicht nur in extremen Erfahrungen, sondern auch im Alltag. Denn wer in dem, was er tut, einen Sinn erkennen kann, ist motivierter, engagierter und zufriedener. Die Suche nach dem einen Lebenssinn, der auf alle Menschen zutrifft, scheint allerdings vergeblich. Obwohl Religionen, Philosophien und Weltanschauungen Antworten vorgeben oder sie bestreiten, gilt: Sinn kann nicht verordnet werden, Sinn muss gefunden werden! Es liegt also an jedem selbst, dem eigenen Dasein Sinn zu geben. Denn was der eine im Leben für essenziell hält, kann einem anderen Menschen vollkommen gleichgültig sein.
Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl beschreibt einen „Grundsinn“ oder „Übersinn“, der unabhängig von allen philosophischen und religiösen Deutungsangeboten eine Perspektive anbietet. Er beschreibt unser Leben als „antwortendes Sein.“ Denn unser ganzes Leben lässt sich als eine unentwegte Kette von Situationen, Ereignissen und Begegnungen verstehen, zu denen wir uns in irgendeiner Weise verhalten müssen, auf die wir also gewissermaßen „antworten.“ Selbst wenn wir die Antwort verweigern oder diese Grundgegebenheit leugnen, antworten wir.
Welche Antwort wir geben, hängt von vielen Faktoren ab. Z.B. von unserem Bewusstseinsgrad, also davon, wie bewusst und selbstreflektiert wir unser Leben gestalten oder ob es eher auf Autopilot läuft. Sie hängt auch von unserer Persönlichkeit, unseren Fähigkeiten und Erfahrungen ab. Nehmen wir einen Unfall als Beispiel: als Ärzt:in, Krankenpfleger:in oder Sanitäter:in werde ich selbstverständlich erste Hilfe leisten. Als organisierter Mensch werde ich Notarzt und Polizei rufen und die Unfallstelle absichern. Als stabiler und empathischer Mensch werde ich dem Unfallopfer oder anderen Betroffenen beistehen, ihnen gut zureden und Sicherheit geben. Bin ich Zeuge, werde ich warten und Auskunft geben. Oder aber ich gehe weiter, weil ich nichts von alldem kann und der Hilfe nicht im Wege stehen will.
Ein weiterer Faktor sind unsere handlungsleitenden Werte. Frankl unterscheidet dabei 3 Wertkategorien: Schaffenswerte, Erlebniswerte und Einstellungswerte. Schaffenswerte verwirklichen wir, indem wir etwas gestalten, etwas tun, ob wir nun jemandem einen Kuchen backen oder zuhören oder beruflich aktiv sind. Erlebniswerte verwirklichen wir, indem wir etwas achtsam aufnehmen und uns davon berühren lassen: ein Blick in die Landschaft, ein Konzert, ein Kunstwerk, eine Begegnung. Einstellungswerte verwirklichen wir dadurch, wie wir uns zu etwas unabänderlich Gegebenem einstellen. Es ist die Stärke des Annehmens dessen, was ist. Eine gute Frage ist daher: was bringe ich in meinen gelebten Antworten über mich und meine Werte zum Ausdruck? Als wer erweise ich mich in dem, was ich tue oder lasse? Was will ich in meinem Tun und Lassen über mich selbst zum Ausdruck bringen? Ich bin … Als was verstehe ich mich?
Auf der Suche nach Sinn helfen vielleicht folgende Fragen:
- Was will ich mit meinem Leben bewirken?
- Wann fühle ich mich in Übereinstimmung mit dem, was ich gerne tue und dem, was mir wichtig ist?
- Was schulde ich dem Leben, der menschlichen Gemeinschaft, mir selbst?
- Mache ich mit dem, was ich tue, direkt oder indirekt die Welt ein bisschen besser?
- Was berührt mich im Tiefsten?
Wer sich keine bewusste Sinnorientierung erarbeitet, wer keine bewussten Wertentscheidungen trifft, sondern auf Autopilot lebt, der kommt sicherlich auch gut durchs Leben, solange ihn keine leidvollen Erfahrungen mit unabänderlich Gegebenem konfrontieren. Denn spätestens dann stellt sich die Frage nach dem Sinn. Der anstehende Urlaub bietet sicher Möglichkeiten, sich einmal bewusster mit diesen Themen auseinanderzusetzen und vor Burnout oder Depression über notwendige Weichenstellungen nachzudenken.
Coach, Consultant and Body Psychotherapist, Guest Professor at Shanghai University of Political Science and Law (SHUPL), Visiting Professor at Hebei Medical University
1 Jahrschön mal wieder was von Dir lieber Heribert zu "hören"