Riskante Schwellenmärkte

Riskante Schwellenmärkte

Teaser: In den ersten zehn Monaten dieses Jahres bedeuteten Investitionen in Schwellenmärkte im Allgemeinen eine verlustreiche Erfahrung. In den meisten Fällen erholt sich ein Markt wieder. So wie die Sache jedoch momentan liegt, sind noch einige Monate Geduld – und Risikobereitschaft – gefragt.

Der argentinische Peso hat gegenüber dem Dollar mehr als die Hälfte an Wert verloren, der südafrikanische Rand geriet über das Jahr hinweg unter Druck und die Türkei wurde offensichtlich von einem wirtschaftlichen Erdbeben erschüttert, wodurch die Landeswährung bereits um bis zu 25% abgewertet wurde. Grafik 1 zeigt ein weiteres Beispiel: Die Philippinen gehören zu den Ländern, die „vergessen“ haben, die Zinsen zu erhöhen, als die USA anfingen, die Zinsschraube anzuziehen. Investoren jedoch haben nicht gezögert und sich fluchtartig aus dem philippinischen Aktienmarkt zurückgezogen, welcher noch einen weiteren Schlag einstecken musste, als die Zentralbank der Philippinen gezwungen war, die Zinsen um den August herum ziemlich aggressiv anzuheben. Die so entstandenen Verluste waren in der Tat beträchtlich – doch was bleibt im Rückblick auf das bisherige Jahr sonst noch im Gedächtnis?

Durch das Anziehen der Zinsschraube haben die USA in ihrer weltweit bedeutenden Rolle wohl die größten Wellen geschlagen. Aus globaler Sicht jedoch und bei allem Respekt vor den bereits genannten Ländern, waren es aber die kleineren Volkswirtschaften, die für die größeren Schlagzeilen gesorgt und Schwellenmarktinvestoren Verluste beschert haben.

Angesichts der erwarteten Zinserhöhungen in den USA und der allgemeinen Nervosität auf den Finanzmärkten sprach ich mich für ein erhöhtes Investitionsrisiko in die Schwellenmärkte im Jahr 2018 aus. Was aber, wenn die bestehenden Turbulenzen in großen Schwellenmärkten wie Brasilien, China und Indien nur noch zunehmen, anstatt, wie viele Investoren hoffen, nachzulassen?

Tatsache ist: China leidet unter Präsident Trump und seinen Importzöllen und dies wird das BIP-Wachstum des Landes bis zu einem gewissen Grade beeinflussen, wobei der chinesische Aktienmarkt all die schlechten Neuigkeiten sicher schon eingepreist hat. Trotzdem sollte nicht unterschätzt werden, dass die chinesische Regierung weiterhin alles daran setzt, die hohen Inlandsschulden zu senken und damit de facto an der Verringerung des Verschuldungsgrades des Landes arbeitet. Dies wird das Wachstum zwar abschwächen, ist aber eine gesunde Entwicklung, solange diese Wachstumsverlangsamung dem Schuldenabbau dient. Um den wirtschaftlichen Gegenwind auszugleichen, hat die Regierung eine recht weitreichende Steuerreform durchgesetzt. Das ist positiv. Meine Einschätzung ist allerdings, dass diese Steuerreform die Wachstumsabschwächung durch den Schuldenabbau nicht aufwiegen kann. Insgesamt könnte Chinas Wachstumsrate deshalb schneller als erwartet auf 6 Prozent absinken.

Ich mache mir wegen dieser Entwicklung keine großen Sorgen. Allerdings scheint der Rest der Welt unter einer allgemeinen „China-Angst“ zu leiden; jede negative Schlagzeile scheint bereits von Chinas Untergang zu künden – doch ein plötzlicher, starker Wachstumsrückgang könnte zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt kommen, wenn er gleichzeitig mit schlechten Nachrichten aus anderen Schwellenmärkten einhergeht, etwa während der nächsten drei bis sechs Monate.

Ein ganz anderer, allerdings größerer Grund zur Sorge ist der Konflikt zwischen der indischen Regierung und der Zentralbank des Landes, der Reserve Bank of India. Wenn man risikoreiche Anlagen aus Schwellenmärkten im Wertpapierbestand hat oder gerne hätte, sollte man diese Diskussion meiner Meinung nach unbedingt aufmerksam verfolgen. Um es ganz kurz zu sagen: Ich denke, dass die Regierung versucht, mehr Kontrolle über die Zentralbank zu erlangen.

Man sollte nicht vergessen, dass die gleiche Situation früher im Jahr dazu führte, dass die letzten ausländischen Investoren aus der Türkei abgezogen sind. Die indische Regierung sollte sich bewusst sein, dass das Land wegen seiner notorischen Defizite in der Außenhandelsbilanz und im Haushalt dringend Kapitalzufluss benötigt. Der indische Aktienmarkt ist bisher relativ stabil geblieben (Grafik 1), aber Dollar-Anleger haben dieses Jahr währungsbedingt bereits 15 Prozent verloren, wie Grafik 2 zeigt.

In Brasilien wurde gerade ein neuer Präsident gewählt und mit ihm eine neue Regierung. Ohne Zweifel werden sich Schwellenmarktinvestoren den Namen Paulo Guedes merken müssen – Brasiliens neuer Finanzminister. Er ist stark von Milton Friedman inspiriert und hat eine insgesamt liberale Auffassung von Handel und Wirtschaft. Verglichen mit der Vorgängerregierung bedeutet dies einen diametral entgegengesetzten Ansatz. Aber egal, ob Reformen für gut oder schlecht befunden werden, können sie doch eine Zeit lang Turbulenzen verursachen.

Ein weiterer wichtiger Faktor für Investitionen in Schwellenmärkte ist das Währungsrisiko, wobei hier die gute Nachricht nach den schweren Währungsverlusten in diesem Jahr die ist, dass der Tiefpunkt näher gerückt ist. Ich habe quantitative / ökonomische Modelle gesehen, die darauf hinweisen, dass die Währungen der Schwellenmärkte extrem preisgünstig sind. Manche Modelle sprechen von den „tiefsten Werten seit Jahrzehnten“, andere beziffern die Standardabweichung des Marktes vom Medianwert mit 2, was sehr viel wäre.

Ich stimme den Modellen teilweise zu, bin aber nicht ganz so optimistisch, weil die betroffenen Volkswirtschaften auch während der kommenden Jahre schwere Zeiten erleben werden. Außerdem wird der geldpolitische Straffungszyklus in den USA noch weitere 18 bis 24 Monate andauern. Und noch dazu wird es weniger globales Wachstum geben, sodass die angeschlagenen Schwellenmärkte keine Hilfe bei der Erholung erwarten dürfen.

Das alles klingt sehr ernst und ich denke, man sollte die Risiken nicht unterschätzen; aber es werden auch wieder bessere Zeiten kommen. Zum jetzigen Zeitpunkt werden einige makroökonomische Wachstumsvorhersagen nach unten korrigiert, wobei ich glaube, dass dies größtenteils bereits in den Finanzmärkten eingepreist ist. Generell empfinde ich die Weltwirtschaft nicht als besonders instabil. Wenn die Weltwirtschaft wackelig wäre, dann wäre der Einbruch vor etwa zwölf Monaten erfolgt, als Trump fast der ganzen Welt mit Handelskriegen drohte.

Diejenigen Schwellenmärkte, die es dieses Jahr am härtesten getroffen hat, werden auch 2019 wirtschaftlich instabil bleiben. Das ist einer der Gründe, warum ich schon länger behaupte, dass die Nervosität um die Schwellenmärkte einige Zeit anhalten kann. Außerdem denke ich, dass die Schwellenmärkte im ersten Quartal des nächsten Jahres noch einmal unter Druck geraten werden, denn dann wird der Fokus wieder darauf gerichtet sein, wie oft die US-Notenbank 2019 den Zinssatz erhöhen wird.

Seit Anfang dieses Jahres ist mein Gesamteindruck, dass das erste Quartal 2019 der richtige Zeitraum ist, um die Anlagen in den Schwellenmärkten zu erhöhen. Wie jeder weiß, ist das richtige Timing alles entscheidend in den Finanzmärkten. Für den Moment allerdings bleibe ich bei meiner Einschätzung. Die Entwicklungen in Indien, und möglicherweise auch in Brasilien, sind als neue Faktoren in den letzten paar Monaten hinzugekommen. Diese Faktoren stellen potenziell wachsende Herausforderungen dar. Wenn diese Entwicklungen eskalieren, dann erwarte ich, dass dies in den nächsten Monaten passieren wird. Insgesamt sehe ich das Risiko in den Schwellenmärkten weiterhin als steigend an, weitere Verluste sind sehr wahrscheinlich. Dennoch bleibt Q1 2019 der richtige Zeitpunkt, um die Anlagen zu erhöhen.  

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