Russland: wenn die Politik schweigt, müssen die Unternehmen handeln?
Die Ermordung von Alexander Litwinenko im Jahr 2006, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim 2014, das Attentat auf Sergei Skripal vor zwei Jahren und nun der Anschlag auf Alexei Nawalny. Soviel man auch gegen Trump politisch wie charakterlich vorbringen mag, Putin ist erst recht kein Partner für Europa.
Appeasement ist keine Lösung
Anstatt allerdings dem „lupenreinen Demokraten“ (Gerhard Schröder, 2004), außenpolitisch klare Grenzen aufzuzeigen, setzt der Westen scheuklappenartig auf Appeasement – eine Strategie, die historisch wahrlich keine Erfolgsgeschichte hinter sich hat. Auch die Wirtschaft wiegelt ab, wenn es um Konsequenzen geht. Russland sei ein schwieriger, aber eben auch ein wichtiger Handelspartner. Isolation sei für unsere Wirtschaft nicht vorteilhaft und überhaupt handele es sich im Augenblick nur um eine spontane Stimmungslage. Aber natürlich beobachte man die Situation und behalte sich eine Neubewertung vor. Damit bleiben nicht einmal mehr in Seifenblasen verpackte Hoffnungen auf Konsequenzen.
Es wird politischer
Aber können es sich Unternehmen wirklich so einfach machen? Haben nicht auch sie gesellschaftliche Verantwortung zu tragen? Als Siemens-CEO Joe Kaeser vor zwei Jahren Alice Weidel frontal mit seinem Tweet angriff, ihm seien „Kopftuchmädel“ lieber als der „Bund deutscher Mädel“, war ihm Applaus sicher. Und das Glück war auf seiner Seite: sein politischer Kommentar wirkte sich nicht nachweisbar auf den Aktienkurs aus und die Anträge auf Vertrauensentzug auf der Hauptversammlung fanden auch keine Mehrheit. Aber spätestens seit diesem Vorfall stellt sich rechtlich die Frage, ob, und wenn ja, wie weit sich Unternehmen und Vorstände zu kritischen gesellschaftlichen bzw. politischen Themen in der Öffentlichkeit äußern dürfen – oder sollten.
Meinungsfreiheit vs. Stakeholder Value
Grundsätzlich gilt auch für Vorstände die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit – in positiver wie in negativer Hinsicht. Man ist also zunächst frei darin, sich zu äußern, oder eben auch dies nicht zu tun. Nun sind aber die Zeiten, in denen ökonomisch der Ansatz des „Shareholder Value“ im Fokus stand schon lange vorbei. Die vornehmliche Pflicht der Vorstände eine Profitmaximierung der Aktionäre sicherzustellen trat seit den 1970er Jahren zugunsten des „Stakeholder“-Ansatzes zurück: ein Unternehmen hat danach viele Anspruchsgruppen, denen es verpflichtet ist. Neben den Aktionären gehören dazu auch die Mitarbeiter, die Umwelt, die Medien oder die öffentliche Hand - und seit dem Nachhaltigkeitsboom auch die kommenden Generationen. Dies begründet zwar keine rechtliche Verpflichtung, Stellung beziehen zu müssen, aber es hindert jedenfalls, unter Hinweis auf die reine Wirtschaftstätigkeit politische Dimensionen völlig außer Acht zu lassen.
Der gesellschaftliche Druck wächst
Weiteren Druck auf die Unternehmen baut die zunehmende Bedeutung der sog. „ESG“-Themen auf: Environment, Social, Governance. Wie hart Unternehmen hier in der Gesellschaft anecken können, wenn sie das Thema nicht stets im Hinterkopf haben, steht seit #metoo-Welle und „Fridays for Future“ außer Frage. Und auch die mächtigen U.S.-amerikanischen Vermögensverwalter wie Blackrock und die strategischen Investoren machen zunehmend Druck bei der gesellschaftlichen Verantwortung – so viel, dass die deutschen DAX-Vorstände zum ersten Mal in der Geschichte flächendeckend nicht mehr sicher sein können, auf der Hauptversammlung entlastet zu werden, wenn es diesbezüglich nicht läuft.
Aktivisten unter sich
Rechtlich durchsetzbar ist damit die Pflicht einer gesellschaftlichen Einmischung in die Themen unserer Zeit durch die Unternehmen und ihre Vorstände damit nicht; ökonomisch schon eher. Am Ende hat der Kunde die Unternehmen in der Hand – denn nichts fürchten sie mehr, als ihren Großinvestoren shitstormbedingte Reputationsverluste erklären zu müssen, auch wenn solche Empörungswellen – wie in den meisten Fällen, etwa vor wenigen Wochen bei Audi – nur ideologisch begründet sind. Wenn es aber gegen Russland geht, bleiben die empörungsfreudigen linken Aktivisten erstaunlich still. Seite an Seite mit turbokapitalistischen Aktionären, für die der Shareholder Value nach wie vor im Fokus steht.
Eine interessante Allianz, die Putin nur in die Hände spielt.