SALN #049 – Warum Automanager Abfindungen oft nicht annehmen.
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Nach der Landtagswahl in Brandenburg wurde über Tesla in Berlin-Grünheide und die Krise bei Volkswagen diskutiert. Schnell war man sich einig, dass US-Milliardäre wie Elon Musk auch Zugeständnisse bei Tarifverträgen akzeptieren müssen und dass auch das Management seinen Beitrag zur Lösung der VW-Krise leisten muss.
Wenn das so klar ist, warum ist es bisher nicht geschehen?
Wenn es der Autoindustrie schlecht geht, warum tauscht man dann nicht einfach die Führungsmannschaft aus?
Die Führungsmannschaft soll gehen.
Fast alle Hersteller befinden sich in einer historischen Krise. Wegen schrumpfender Märkte und wachsender Konkurrenz, vor allem aus China, werden nicht nur in Deutschland weniger Autos gebaut und verkauft.
Carlos Tavares, vor einem Jahr noch Superstar mit 10 % Umsatzrendite, muss heute um seinen Job bangen und sagt: "Es gibt keine Tabus."
Auch in der Vergangenheit gab es Marktrückgänge. Diese wurden durch Kurzarbeit und die Nichtverlängerung von Leiharbeitern abgefedert. Doch diesmal trifft es auch die Führungskräfte.
Und zwar massiv.
Denn die Führungsmannschaft ist für die Krise des Unternehmens verantwortlich. Allein die Übernahme dieser Verantwortung widerspricht ihrem Beruf als Manager.
Automanager agieren wie erfahrene Frontsoldaten.
Der Einfluss eines einzelnen Managers wie Tavares wird überschätzt.
Die Managementteams haben es vor der Krise versäumt, die Entscheidungsstrukturen anzupassen. Entscheidungsstrukturen sind wichtiger als einzelne Manager. Strategische Entscheidungen werden nicht oder falsch getroffen. Durch Fehlentscheidungen beschäftigt sich das Team mit den falschen Dingen und verliert Zeit und Produktivität.
Mit dieser Erkenntnis stellt Audi derzeit seinen Produktentstehungsprozess um. Die neuen Autos passen nicht zum Markt. Es wurden zu viele falsche Entscheidungen getroffen.
Der Widerstand gegen solche Veränderungen ist enorm und völlig rational. Denn die Hauptaufgabe von Managern in der Automobilindustrie besteht darin, jeden Tag ihre Position zu verteidigen.
Sie sind wie Frontsoldaten mit jahrelanger Kampferfahrung. Die meiste Zeit arbeiten sie daran, ihre Position zu halten und zu verteidigen. Wenn die Gelegenheit günstig ist, rücken sie vor und bauen ihre Positionen aus. Sie wollen ihren Platz an den Geldströmen verteidigen, die durch die industrielle Autoproduktion fließen. Manche kämpfen sich bis an die Quelle des Geldes vor. Sie verwenden viel Zeit und Energie darauf. Eigentlich sollten sie die Priester der Quelle sein und dafür sorgen, dass der Strom immer größer wird und nie versiegt. Tatsächlich verwenden sie ihre Zeit und Energie darauf, sich selbst zu behaupten und vorwärtszukommen. Für die eigentliche Aufgabe, nachhaltig profitable Geschäfte aufzubauen, bleibt im Tagesgeschäft wenig Zeit.
Jetzt wird hektisch umgesteuert. Mit den bestehenden Managementsystemen ist das nicht möglich.
Die Beharrungskräfte sind gigantisch. Und das ist logisch.
Es wird viel Geld in die Hand genommen, um die alte Führungsmannschaft zu bewegen. Aber selbst großzügige Abfindungsangebote werden nicht angenommen. Denn sie berücksichtigen zu wenig das Denken und Abwägen eines Managers.
Rationales Handeln zeichnet Manager aus.
Rationale Menschen haben klare Präferenzen, wägen verschiedene Optionen gegeneinander ab, optimieren konsequent den Nutzen und beschaffen sich alle für eine Entscheidung notwendigen Informationen. Dadurch sind Entscheidungen und Verhalten sehr gut vorhersagbar.
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Allerdings verfügt niemand über perfekte Informationen und Denkgewohnheiten kommen hinzu. Ein kleines Denkmodell macht deutlich, woher Beharrungskräfte kommen und warum es so schwer ist, sie zu überwinden.
Ein Mensch trifft eine Entscheidung, indem er zunächst seine aktuelle Situation mit zwei Bezugspunkten bewertet: seinem Wunschbild oder Ideal und der Option, die er mit der Entscheidung tatsächlich erreichen kann. Dabei ist das Ideal immer besser als die Ist-Situation.
Bleibt die Frage, wie die zur Wahl stehende Option (hier ein Abfindungsangebot) zu bewerten ist.
Daraus ergeben sich insgesamt drei Szenarien:
Ein Szenario wie in 1. ist einfach, aber teuer. Szenario 3 ist nur mit Zwang realisierbar, daher kulturell schwierig und wird normalerweise vermieden.
Die meisten Angebote ähneln Szenario 2. Sie können leicht als Szenario 3 (Zwang) missverstanden werden. Denn sie sind mehrdimensional, unklar und in ihrer Bewertung sehr stark vom persönlichen "Ideal” und der IST-Situation abhängig: Welche persönlichen Ziele verfolgt die Person? Wie ist die familiäre Situation und welchen Einfluss hat das soziale Umfeld (Freunde, Arbeitskollegen, andere) auf die Entscheidung? Wie ist ihre finanzielle Situation (Hauskredit, andere Schulden, andere Einkommensquellen)? Ist der Spielraum für eine Neuorientierung durch die Gesundheit oder die Bindung an den aktuellen Wohnort eingeschränkt?
Alle diese Fragen sind schwer zu beantworten. Denn sie sind oft persönlich und zum Teil unbewusst.
Und dann scheint es oft, dass selbst die rationalsten Manager für sich selbst irrational entscheiden.
Oft fehlt Klarheit in persönlichen und beruflichen Zielen.
Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer beträgt oft 20 Jahre und mehr. In einem über Jahrzehnte hinweg sehr stabilen und strukturierten Arbeitsumfeld mit vorhersehbaren Karrierewegen und klaren Erwartungen.
In diesem Umfeld verlernt man, sich zu orientieren. Die wichtigsten Parameter des Lebens sind vorhersehbar. Das Einkommen ist sicher. Die Rente ist vorhersehbar.
Wenn nun die Führungsmannschaft abgebaut wird, müssen die Menschen Entscheidungen treffen, die außerhalb der vorgezeichneten Lebenswege liegen. Sie müssen wieder lernen, dass ihr Leben nicht von ihrem Arbeitgeber abhängt. Dass es ihr Leben ist und dass sie allein dafür verantwortlich sind.
Hier kann der Arbeitgeber helfen, indem er mehr Zeit und Orientierungshilfen anbietet. Führungskräfte und Mitarbeitende brauchen Szenario 2 und Unterstützung bei der beruflichen und privaten Orientierung.
Hier hilft Coaching.
Coaching ist der entscheidende Hebel, um Entscheidungsprozesse neu zu gestalten - für alle, die gehen, und für alle, die bleiben. Deshalb erwarte ich eine riesige Coaching-Welle in der Automobilindustrie. 68.000 Führungskräfte müssen in den nächsten drei bis vier Jahren neue Wege finden. Bei Kosten von 3.000 bis 10.000 Euro pro Führungskraft und einer Quote von 50 Prozent, die sich für ein Coaching anmelden, ist das ein Markt von 25 bis 100 Millionen Euro pro Jahr allein in der deutschen Automobilindustrie, für B2B- und B2C-Coaching.
Coaching lohnt sich.
Oft höre ich: Warum sollen wir eine Abfindung zahlen und dann auch noch die Kosten für einen Coach übernehmen?
Wir haben für verschiedene Unternehmen Business Cases berechnet, die zeigen, dass sich die Investition in Coaching lohnt:
Woran man einen guten Coach erkennt (Spoiler: nicht nur an der Zertifizierung) und welche Rolle Technologie und neue Formen des Coachings dabei spielen können, dazu mehr in einer der nächsten Ausgaben.