Sommerlektüre 2024
Deutsche Geschicke und iranische Schicksale bestimmen meine Tipps für die Sommerlektüre 2024. Warum? Wir feiern dieses Jahr 75 Jahre Grundgesetz, 75 Jahre Bundesrepublik Deutschland und 35 Jahre Mauerfall – Grund genug, einen Blick zurück zu werfen. Der Blick auf den Iran wiederum ist nicht nur der großen Aufmerksamkeit für das Land geschuldet, das sich aktuell als Macht im Nahostkonflikt positioniert und dessen totalitäres Regime heftige Proteste provoziert. Viele Iraner:innen, die das Land seit der Islamischen Revolution 1979 verlassen haben, leben in Deutschland, sind Nachbarn oder Freunde und prägen unsere Kultur.
Zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes, das zwar in aller Munde aber in seiner Entstehung vielfach unbekannt ist, sei Die Erfindung der Bundesrepublik. Wie unser Grundgesetz entstand von der Journalistin Sabine Böhne-Di Leo empfohlen. Sie protokolliert höchst unterhaltsam und lesenswert, wie und von welchen Persönlichkeiten das Grundgesetz erarbeitet wurde, das zugleich die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland markiert. Man nimmt teil an grundsätzlichen Auseinandersetzungen, am Ringen um Klarheit und erlebt den unbedingten Willen, aus dem Scheitern der Weimarer Verfassung zu lernen.
Auf welchen Erfahrungen viele der an der Entstehung des Grundgesetzes beteiligten Personen unmittelbar aufbauten, schildert Brigitte Glaser in ihrem lesenswerten Roman Kaiserstuhl. Er spielt links und rechts des Rheins und zeigt wie mühsam die „Erbfeinde“ Deutschland und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg zueinander fanden. Die Autorin macht nicht nur die tiefen Wunden sichtbar, die gerade in der badisch-elsässischen Grenzregion von zwei Weltkriegen geschlagen wurden, sondern auch das große Bemühen um Aussöhnung auf beiden Seiten.
Immer wieder herzlich lachen wird man bei der Lektüre des ebenso klugen wie kurzweiligen Romans Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße von Maxim Leo. Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls muss ein Held gefunden werden. Das könnte doch der Eisenbahner sein, der im Juli 1983 die Weiche am Bahnhof Friedrichstraße so gestellt hat, dass der Zug in den Westen fahren konnte? Und der dafür im Stasi-Gefängnis saß? Dem Autor gelingt mit seinem „Helden wider Willen“ eine realistische Satire, die unser Verständnis von Geschichtsschreibung in Frage stellt.
In ihrem Debütroman mit dem lyrischen Titel Nachts ist es dunkel in Teheran schildert Shida Bazyar den Ort zwischen zwei Heimaten. Dabei kommen vier Generationen einer geflüchteten Familie zu Wort, repräsentiert von vier Erzählern mit jeweils eigener Stimme und eigenem Ton, die mal poetisch, mal politisch ihre Geschichten von der Islamischen Revolution 1979 bis zur Gegenwart erzählen. Der Autorin gelingt es zudem, die Atmosphäre des Alltags in Teheran höchst anschaulich zu beschreiben und lebendig zu machen.
Auch Das Paradies meines Nachbarn, der zweite Roman der Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Nava Ebrahimi, ist eine überaus gelungene Auseinandersetzung mit dem Leben in zwei Welten, die hier auch noch völlig krass aufeinandertreffen. Der Protagonist glaubt, seine Vergangenheit weit hinter sich gelassen zu haben; er ist längst in Deutschland angekommen und als Produktdesigner erfolgreich. Der Iran, Teheran, seine Familie sind für ihn eine fremde Welt. Dann erreicht ihn eine Nachricht, die alles, woran er bislang festgehalten hat, in Frage stellt.
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Mit dem historischen Roman Samarkand von Amin Maalouf taucht man schließlich tief in die Geschichte Persiens ein, dessen Kernland heute das Staatsgebiet des Iran ist. Seine geographische Lage zwischen dem Kaukasus im Norden, der Arabischen Halbinsel im Süden, Indien und China im Osten sowie Mesopotamien und Syrien im Westen ließ es zum Schauplatz einer wechselvollen Geschichte werden, die im Roman mit dem Schicksal einer Handschrift aus dem 11. Jahrhundert lebendig wird.
Ich wünsche allen, die dies lesen, wunderbare Sommertage und eine freudvolle Lektüre.
Herzlich,
Sabine Braun
ESG and Sustainable Finance Expert
5 MonateBesten Dank, liebe Sabine! Stelle meinen Lesesommer nun glaube ich unter das Motto Iran. Wann startest Du endlich einen Lesezirkel? Hiermit möchte ich mich schon mal anmelden.
Kommunikationsberaterin; Medienbüro; Speaker Agency; Personal und Business Coach
5 MonateLiebe Sabine, all Deine Empfehlungen hören sich gut an. Die Liste kommt in meinen Einkaufskorb :-) bzw. auch als Auftrag an die hiesige Bücherei. Empfehle Dir zugleich Adenauer, Rhöndorfer Ausgabe, Briefe - siehe Grundgesetz, Deutschland-Frankreich etc. etc., herzlich, Jutta