Ich melde mich aus Düsseldorf mit den herzlichsten Wünschen für ein besinnliches Weihnachtsfest.
Hinter uns liegt ein aus vielen Gründen bemerkenswertes Jahr. Wenn 2020 das Jahr war, in dem viele noch gehofft hatten, dass die Pandemie sich nach ein paar Monaten erledigt hat, dann war 2021 das Jahr, in dem wir gelernt haben, mit einer neuen Unsicherheit umzugehen.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nun geübt darin, binnen Tagen ins Homeoffice umzuziehen, Firmen darin, ihre Lieferketten kurzfristig umzustellen - so gut es eben geht. Und Impfstoffhersteller können ihre Vakzine binnen weniger Monate an neue Corona-Mutationen anpassen.
Es waren anstrengende Monate, nicht nur durch die pandemiebedingte Unsicherheit. Auch durch den enormen Veränderungsdruck in fast allen Industrien. Aber es waren auch interessante Monate, mit faszinierenden Innovationen und Aufbruch in vielen Branchen. Die Pandemie ist eine Zäsur, die Wirtschaftshistoriker vielleicht einmal als Scheidepunkt in ein Vorher und ein Nachher beschreiben werden.
Viele unserer Artikel und Podcasts im Handelsblatt haben sich in diesem Jahr mit dieser Zäsur beschäftigt. Heutige lesen Sie eine Auswahl der Geschichten und Ereignisse, die mir dabei besonders in Erinnerung geblieben sind.
Was uns dieses Jahr beschäftigt hat:
In der Redaktion haben wir uns 2021 immer wieder gefragt, wie das Nachher, die Zeit nach der Pandemie aussehen wird - und vor allem: Welche Menschen und Innovationen diese Zeit prägen werden. Das war auch das Thema in unserer großen Jubiläumsausgabe, in der wir 75 Ideen und Innovationen ins Zentrum gestellt haben, die Deutschland voranbringen werden. In jener Woche habe ich in einem Essay beschrieben, weshalb die Welt vor einer Dekade der Disruptionen steht. Und davon bin ich mehr denn je überzeugt: Es können Goldene Zwanziger werden, eine Phase mit Innovationen, Wachstum und Aufbruch - wenn dieses Land jetzt den richtigen Weg einschlägt.
Ein persönliches Highlight der Jubiläumswoche war mein Live-Podcast mit Herbert Diess. Ich sprach mit dem VW-Chef über den Umbau seines Konzerns, die Probleme in Wolfsburg, den Angstgegner Tesla - und seine Tapas-Bar in München. Wenige Monate später brach Diess mit Personal-Abbauszenarien einen historischen Streit mit dem VW-Betriebsrat vom Zaun. Wie die Aufseher anschließend über seine Zukunft dachten, musste Diess wiederum zuerst im Handelsblatt lesen.
Im April haben wir eine große Analyse über die Stromlüge der Bundesregierung veröffentlicht und darin beschrieben, wie die damals regierende Große Koalition mit falschen Prognosen Deutschlands Energiezukunft gefährdet.Die vielen exklusiven Berechnungen in dem Text wurden später immer wieder von den Spitzenkandidaten im Wahlkampf aufgegriffen. Als ich im Spätsommer den damaligen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz interviewte, warnte er noch in deutlichen Worten vor dem Problem. Nun muss er zeigen, dass es damals mehr war als Wahlkampfgeplänkel. Industriemanager blicken jedenfalls mit immer größerer Sorge auf die wackelige Strom-Versorgungslage in Deutschland. Ein Thema, das uns nächstes Jahr sicher weiter begleiten wird.
Die Aufgabe von Journalismus ist es, die Welt zu beschreiben, politische wie auch wirtschaftliche Macht zu kontrollieren, Unbekanntes aufzudecken. Das ist unser Selbstverständnis. Bei einer Geschichte haben wir 2021 besonders über dieses Selbstverständnis diskutiert: Es geht um den Fall Wirecard und die Frage, wie die Wirtschaftsprüfer den gigantischen Betrug übersehen konnten. Einem Team aus Handelsblatt-Reportern ist in dieser Frage ein ganz besonderer Scoop gelungen: Sie haben den hoch brisanten und als geheim eingestuften Ermittlungsbericht des Wirecard-Sonderprüfers in die Finger bekommen, einen 168 Seiten starken Report, der sich mit der Rolle der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY in dem Skandal auseinandersetzt. Wir haben diesem brisanten Dokument eine Titelgeschichte gewidmet und den kompletten Report im Internet veröffentlicht. Keine andere Geschichte hat in den vergangenen Monaten so hohe Wellen geschlagen. Tausende neue Abonnentinnen und Abonnenten kamen über die Geschichte zu uns. Das zeigt, wie vielen Menschen Journalismus etwas wert ist.
Heute wissen wir: Die Reporter lagen mit der Prognose richtig. Bei Abendessen, sei es mit Dax-Vorständen oder Mittelständlern, nimmt dieses Thema immer mehr Raum ein. Laut einer DIHK-Umfrage wollen knapp 70 Prozent der Firmen die gestiegenen Preise an ihre Kunden weitergeben. Das dürfte Einfluss auf ein anderes Thema haben:
Die Inflation. Anfang des Jahres haben EZB und linke Ökonomen noch zu beschwichtigen versucht, die steigenden Preise seien ein vorübergehendes Phänomen, kein Grund zur Sorge, kein Grund, in Sachen Geldpolitik umzusteuern. Doch diese Einschätzung war voreilig, wie aktuelle Zahlen zeigen. Und es droht weiteres Ungemach: Unternehmen fällt es immer schwerer, freie Stellen zu besetzen. Entwickler sind kaum zu kriegen, wie auch wir es bei der Handelsblatt Media Group erlebe müssen. Datenexpertinnen, aber auch Kellner, Paketboten und Kassiererinnen werden knapp. Die Sorgen vor einer Lohn-Preis-Spirale sind mehr als berechtigt. Wir haben das Problem mit dem Titel „Wirtschaft ohne Leute“ auf den Punkt gebracht.
Aber ich schaue eigentlich ungern zurück - sondern lieber nach vorn. Ich habe mir schon immer eher Gedanken über die Zukunft gemacht als über die Vergangenheit: Wie die Welt nach Corona aussehen wird, welche Trends unser Leben in den nächsten Jahren verändern werden und auf welche Technologien Sie besonders achten sollten, hat ein Team aus Autorinnen und Autoren für die aktuelle Freitagsausgabe des Handelsblatts beschrieben. Die große Analyse ist für uns auch ein Auftakt für unsere nach vorn gerichtete Berichterstattung im nächsten Jahr. Wir werden uns noch intensiver mit der Frage beschäftigen, welche Innovationen die Wirtschaft bewegen werden und wie neue Technologien beim grünen Umbau der Industrien helfen können. Denn in dem Feld liegt gerade für Europa eine riesige Chance.
Womit wir bei einer der am meisten gelesenen Geschichten des vergangenen Jahres wären: Der große Report über die Morgenroutinen von Managerinnen und Managern. Ich gehöre auch zu dieser Sorte der Frühaufsteher, die morgens versuchen, etwas Sport zu treiben, kurz zu meditieren. Aber gegen Menschen wie den Historiker Yuval Noah Harari ist das alles nichts. Er meditiert jeden Tag zwei Stunden, wie er neulich in meinem Podcast erzählte. Ihm helfe das, die Welt mit anderen Augen zu sehen - und zur Ruhe zu kommen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, dass Sie auch die Gelegenheit finden, ein wenig zur Ruhe zu kommen - ob mit Meditation oder ohne.
Zum Schluss möchte ich mich bei Ihnen ganz herzlich für Ihre Treue bedanken und bei der Redaktion dafür, dass sie 2021 Großartiges geleistet hat. Ganz besonderer Dank gilt meinen Kolleginnen und Kollegen, die in den nächsten Tagen die Stellung halten werden. Denn das Handelsblatt ist auch zwischen den Jahren rund um die Uhr aus unseren Düsseldorfer und New Yorker Newsrooms für Sie im Einsatz, um sowohl die Lage an den Märkten wie auch die Bewegungen an der russisch-ukrainischen Grenze im Blick zu behalten. Hoffen wir, dass es dort ruhig bleibt.
Co-Founder & CEO at YOND
2 JahreHerzlichen Dank, Sebastian, für das Teilen und ein gutes 2022 🚀🤙