Verborgenes Dilemma – die meisten Führungskräfte verbergen ihre Fehler
Die Konsequenzen verdeckter Fehler auf persönlicher und organisatorischer Ebene
Irrational, aber menschlich nachvollziehbar sind die Gründe, warum 68 % der Führungskräfte ihre Fehler versuchen zu verschweigen. Eine Lernkultur kann sich unter solchen Bedienungen nicht entfalten. Dies hat einen hohen Preis, denn die Konsequenzen sind weitreichend bis existenziell. Führungstrainings bleiben wirkungslos und die Entwicklung der Führungskräfte stagniert. Gute Argumente, um das Budget für Weiterbildung zu kürzen.
Schlimmer als dies ist aber der Umstand, dass keine Innovation möglich ist und somit jede Organisation früher oder später in einer heiklen Situation sein wird. Berücksichtigt man Aspekte wie psychologische Sicherheit und kognitiven Barrieren, kann das Dilemma aufgelöst werden. Hier erfahren Sie wie!
Dieser Artikel nimmt die Hintergründe des Dilemmas auf, betrachtet diese aus wissenschaftlicher Sicht und zeigt auf, wie die Herausforderungen gelöst werden können. Zudem wird anhand der Ergebnisse erklärt, wie aus Fehlern gelernt werden kann, denn dies ist schwieriger, als manch eine/r annimmt. Auf dieser Basis kann eine echte Lernkultur entwickelt werden.
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
Führungskräfte werden oft für ihre Fähigkeit geschätzt, Teams zu inspirieren, zu coachen und zum Erfolg zu führen. Doch hinter der Fassade von Kompetenz und Einfluss hat sich ein bedenklicher Umstand herauskristallisiert: Die klare Mehrheit, nämlich 68 % der Führungskräfte zieht es vor, ihre Fehler zu verbergen. Dies aus Angst vor Karrierenachteilen und 53 % der Führungskräfte tun dies aus Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes. Dies hat der Fehlerkultur Report 2023 von EY ergeben.
Diese Realität ist nichts Neues! Diverse Studien haben diese Problematik bereits aufgezeigt, so z. B. die Studie ”How error prevention and organizational silence influences managers’ self-perception”. Im Weiteren die Studie ”The role of error management culture for firm and individual innovativeness” der Universität Leuphana, welche zusätzlich aufzeigt, dass die Innovationsfähigkeit stark von der Fehlerkultur abhängt. Die Studie “You think failure is hard? So is learning from it!” der University of Chicago, zeigt zudem, warum das Lernen aus Fehlern oft am Ego scheitert, denn Menschen neigen dazu, Misserfolge zu ignorieren und ihnen keine Beachtung zu schenken, um ihr Ego zu schützen.
Diese Erkenntnis, so überraschend und schwerwiegend sie auch sein mag, hat das Potenzial weitreichende Veränderungen für die Entwicklung von Führungskräften zu haben und daher auf die Teamdynamiken, die Unternehmenskultur und damit auch auf die Leistung des Unternehmens insgesamt.
Das Paradox der Transparenz – zwischen Vertrauen und Angreifbarkeit
Führung lebt im Kern von Transparenz und damit auch von Angreifbarkeit. Immer mehr Organisation wollen offenes und transparentes Handeln und investieren in die Ausbildung der Belegschaft in Themen wie Integrität, Ethik oder Nachhaltigkeit.
Zudem wollen viele Organisationen eine Fehler- resp. Lernkultur fördern, denn Lernen ohne Fehler ist in der Praxis unmöglich.
Die Bereitschaft, Fehler zuzugeben und aus ihnen zu lernen, fördert nicht nur eine Kultur der Verantwortlichkeit, sie ist auch ein starkes Vorbild für alle Mitarbeitenden. Doch wenn Führungskräfte ihre Fehler verschweigen, führen sie ein Paradoxon herbei, denn genau die Transparenz, die Führungsqualitäten und Beziehungen stärken kann, wird zu einer potenziellen Bedrohung für das berufliche Fortkommen, denn Transparenz bedeutet auch Verletzlichkeit.
Erosion des Vertrauens
Vertrauen ist der Eckpfeiler einer effektiven Führung und viele Fehler werden früher oder später aufgedeckt. Wenn Führungskräfte ihre Fehler verschweigen, senden diese eine schädliche Botschaft an ihre Teams. Das Verschweigen von Fehlern untergräbt das Vertrauen, das die Teammitglieder in ihre Führungskräfte setzen.
Die Teammitglieder beginnen möglicherweise, die Integrität und Entscheidungsfähigkeit der Führungskraft infrage zu stellen, was zu einem Zusammenbruch der Kommunikation und Zusammenarbeit führt. Infolgedessen wird die Vertrauenskultur, die für jedes erfolgreiche Team entscheidend ist, durch ein Umfeld des Misstrauens ersetzt.
Spätestens jetzt entwickelt sich die Gefahr, dass sich die Teammitglieder selbst fragen, wie sie mit ihren eigenen Fehlern umgehen und sich überlegen, ob sie dadurch vielleicht auch Karrierenachteile erfahren oder gar bei einer Reorganisation die Top-Kandidat:innen sind, welche ihren Job verlieren. Der Teufelskreis beginnt auf Hochtouren zu laufen und eine Lernkultur ist so viel wert wie das Blatt, worauf sie geschrieben ist.
Innovation ersticken
Fehler können, wenn sie offen angesprochen werden, als unschätzbare Lerngelegenheiten dienen. Sie fördern die Innovation, indem sie Teams dazu anregen, Fehler zu analysieren, die Ursachen zu ermitteln und kreative Lösungen zu entwickeln. In einer Atmosphäre, in der Führungskräfte ihre Fehler verschweigen, wird das Innovationspotenzial jedoch im Keim erstickt.
Teammitglieder sind weniger geneigt, Ideen einzubringen oder Bedenken zu äussern, wenn sie negative Konsequenzen befürchten. Neugierde und der Mut sowie Wille Neues ausprobieren, wird hier vergeblich gesucht. Dieser erstickende Effekt kann die Wandlungsfähigkeit einer Organisation beeinträchtigen und sie daran hindern, sich weiterzuentwickeln und in einem sich ständig verändernden Geschäftsumfeld (VUCA) wettbewerbsfähig zu bleiben und agil auf Situationen einzutreten.
Verpasste Wachstumschancen
Entwicklungsprogramme für Führungskräfte konzentrieren sich oft auf Selbsterkenntnis, emotionale Intelligenz, Stärken fördern, effektive Kommunikation, Konflikte lösen oder Veränderungen initiieren und umsetzen. Das Verschweigen von Fehlern macht die vermittelten Inhalte zunichte. Wenn Führungskräfte es vermeiden, Fehler einzugestehen, verpassen sie ihr persönliches Wachstum und ihre Entwicklung, die sich aus der Bewältigung von Herausforderungen und dem Lernen aus Rückschlägen ergeben können.
Fehler zu verschweigen, aus Angst vor Karrierenachteilen oder vor dem Verlust des Arbeitsplatzes führt mit grosser Gewissheit dazu, dass man versucht keine Fehler zu machen. Dies geht einher mit einer Risikoaversion. Man geht Risiken aus dem Weg, denn der Umgang mit Risiken birgt die Wahrscheinlichkeit etwas falsch zu machen. Keine Risiken einzugehen, bedeutet auch keine potenziellen Fehler zu machen und sich damit der Angst gar nicht stellen zu müssen. Eine Organisation, welche keine neuen Dinge wagt und damit Risiken akzeptiert, «steht am Rande eines Kliffs und ist morgen einen Schritt weiter». Es ist im persönlichen und organisatorischen Interesse, kalkulierte Risiken einzugehen, um den Anschluss nicht zu verpassen und wettbewerbsfähig zu bleiben, denn «Stillstand bedeutet bekannterweise Rückschritt».
Empfohlen von LinkedIn
“Zeigen Sie mir jemanden, der noch keinen Fehler gemacht hat, und ich zeige Ihnen einen Menschen, der noch nie etwas geleistet hat.“ (Joan Collins)
Als Konsequenz einer Risikoaversion und dem Versuch keine Fehler zu machen, verlieren auch Führungstrainings ihre Wirksamkeit. Neu zu erlernende Fähigkeiten müssen in «kontrollierten» realen Szenarien praxisnah angewendet werden, damit diese Fähigkeiten zu Kompetenzen umgewandelt werden können. Kontrolliert bedeutet, sicherstellen, dass die zu erlernenden Fähigkeiten korrekt eintrainiert werden. Dies beinhaltet ein wiederholtes Anwenden, eine sachliche Bewertung der Handlung und objektives Feedback nach jeder Anwendung.
Neue Fähigkeiten anzuwenden ist immer ein Risiko, denn man weiss nie, wie es rauskommt und bevor man einen Fehler macht, macht man lieber nichts Neues. Dies bedeutet, dass als einer der ersten Schritte, um die Wirksamkeit von Führungstraining zu sichern, eine Umgebung geschaffen werden muss, in der Führungskräfte risikofrei Neues ausprobieren können. Simulationen bieten u.a. diese sichere Umgebung. Wichtig dabei ist, dass diese realitätsnahe sind, Skills gemessen werden und man objektives Feedback erhält. Simulationen sollten unbedingt auf Basis wissenschaftlicher Ergebnisse entwickelt worden sein, um die Glaubwürdigkeit abzusichern. Zudem müssen Simulation nicht nur das Führen von Mitarbeitenden abdecken. Führungskräfte führen auch immer ein Business oder ein Teil davon. Dies erfordert, dass auch geschäftliche Aspekte wie Wirtschaftlichkeit oder Nachhaltigkeit abgedeckt und gemessen werden.
Auswirkungen auf die Organisationskultur
Die Handlungen der Führungskräfte geben den Ton für die Kultur einer Organisation an. Wenn Führungskräfte ihre Fehler verbergen, vermittelt dies die Botschaft, dass Verantwortlichkeit und Transparenz nicht geschätzt werden. Dies kann sich auf die gesamte Organisationsstruktur auswirken und die Art und Weise beeinflussen, wie die Mitarbeitenden ihre eigene Verantwortung wahrnehmen. Eine Organisation, der es an einer Kultur der offenen Kommunikation und des Lernens aus Fehlern mangelt, wird sehr wahrscheinlich mit stagnierendem Wachstum konfrontiert werden und Schwierigkeiten haben, Talente, Experten oder Spitzenführungskräfte anzuziehen und/oder zu halten.
Lernen aus Fehlern ist eine Herausforderung
Dass Führungskräfte in einer psychologisch sicheren Umgebung trainieren können und dabei ihre Entwicklung unmittelbar erleben können, ist zentral, denn aus Fehlern zu lernen, ist keine einfache Aufgabe. Die Herausforderung ist, dass Menschen Informationen aus Fehlern und Misserfolgen weniger direkt verarbeiten können. Demgegenüber stehen Informationen aus Erfolgen, welche einfacher zu extrahieren sind. Um aus Erfolgen zu lernen, muss man sich merken, was man richtig gemacht hat, und es wiederholen, was einfacher ist.
Lernen aus Fehlern oder Misserfolgen ist kognitiv schwierig, da Menschen dazu neigen, unerwartet oder widersprüchliche Informationen zu übersehen. Niemand rechnet damit, dass sie/er scheitert. Ein Misserfolg, der den Erwartungen widerspricht, wird möglicherweise ignoriert. Informationen, die entgegen den Erwartungen sind, wird weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Ein positiver Lerneffekt bleibt aus.
Damit ein Misserfolg aufschlussreich ist, müssen Menschen ableiten, was eine fehlerhafte Handlung im Vergleich zur korrekten Handlung aussagt. Lernen durch Eliminieren erfordert mehr geistige Anstrengung. Da Menschen kognitive Fehler (Wahrnehmungs- und Denkfehler, die Entscheidungen beeinflussen) machen, fällt es ihnen schwerer, die Informationen im Fehler oder Misserfolg zu erkennen als die Informationen im Erfolg.
Suchen Menschen nach Informationen, werden bestätigende Informationen besser wahrgenommen und erinnert, da diese stärker gewichtet werden und mehr Aufmerksamkeit erhalten als widersprechende Informationen. Dies wurde in verschiedenen Studien, wie z. B. Donsbach 1991 festgehalten. Dies bedeutet auch, dass Menschen ihre Fehler und Misserfolge und alle Details dazu schneller vergessen als ihre Erfolge und was sie richtig gemacht haben. Die Basis, um aus Fehlern zu lernen, wird dadurch immer schwächer.
Die gleichen emotionalen und kognitiven Barrieren, die das Lernen hemmen, hemmen auch das Teilen. Emotional fühlen sich die Menschen durch Fehler und Misserfolge bedroht. Dies führt dazu, dass sie sich von Misserfolgserlebnissen abkapseln und sie nicht mit anderen teilen. Indem sie ihre Misserfolge und Fehler nicht mitteilen, können sie sich anderen gegenüber von ihrer besten Seite zeigen.
Die Tragweite dieser Ausgangslage ist umso gravierender, da negative Informationen über Misserfolge und Fehler ANDERER zum Lernen führen. Menschen reagieren auf negative Ereignisse stärker als auf positive, und zwar in einer Weise, die das Lernen stimuliert. Im Vergleich zu positiven Reizen erhalten negative Reize beispielsweise mehr Aufmerksamkeit und vertiefen die Informationsverarbeitung. Daraus folgt, dass, wenn Menschen Informationen über Fehler und Misserfolge in ihren sozialen Gruppen teilen, andere sich diese Informationen wahrscheinlich ansehen, sie verarbeiten, sich daran erinnern und daraus lernen würden – genauso viel oder sogar mehr, als sie aus Erfolgen lernen. Die Basis dieses Erfolgs, ist aber das Teilen, was eine grosse Herausforderung ist.
Lernen aus Fehlern und Misserfolgen, kann unter Berücksichtigung des kognitiven Lernens, auf mehrere Arten und Leveln erfolgreich geschehen:
1. Verringerung der geistigen Anstrengung, die erforderlich ist, um zu lernen
2. Verfügbarkeit von kognitiven Ressourcen erhöhen
3. Veränderung der Kultur des Scheiterns resp. des Lernens
Formate, um aus Fehlern zu lernen
Auf Basis der kognitiven Lernerfahrung werden nachfolgend wissenschaftlich überprüfte Formate vorgestellt, welche eine Distanz zum eigenen Ego schaffen, (Studie in der Einleitung) und eigene Kompetenzen, Fähigkeiten sowie das Wissen und das Engagement aufnehmen:
“Fehler der anderen”, ist ein Format, in welchen man nicht über eigene Fehler oder Misserfolge spricht, was die psychologische Hemmschwelle von Anfang an eliminiert. Besprochen werden die Fehler oder Misserfolge von anderen, welche diese neutral und anonym zur Verfügung stellen. Die Fehler oder Misserfolge werden gemeinsam analysiert und Lösungswege werden ausgearbeitet.
“Beratung durch Gescheiterte” ist ein Format, in welchem Leute andere beraten, welche in einer ähnlichen Situation sind/waren, nur dass die Berater:innen an der Herausforderung gescheitert sind. Sie erklären, was sie gemacht haben, warum sie gescheitert sind und was sie anders machen würden. Die anderen hören zu, stellen Fragen und überlegen sich, wie sie am besten vom Gehörten profitieren. Die Berater:innen profitieren selbst von diesem Format, da sie mit einer gewissen Distanz und in einer anderen positiven Rolle, die der/des Berater:in ihre Gedanken und Handlungen reflektieren und meist neu/anders sehen.
“The rise of the Phoenix” oder “erfolgreich scheitern” ist eine abgeänderte Form der bekannteren “F*ck-Up”-Events. Der Fokus wird dabei auf das gelegt, was man gelernt hat und wie man die gesamte Erfahrung für zukünftige Aktivitäten nutzt. Es ist auch der Übergang von einer Fehler- zu einer Lernkultur.
Ist eine Vertrauensbasis geschaffen, können weitere Massnahmen umgesetzt werden, wie z. B. “F*ck-Up”-Events, sowie Aspekte einer Feedbackkultur oder Workshops zur Erarbeitung von Konventionen in der Zusammenarbeit usw.
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse zeigen, dass ein erheblicher Teil der Führungskräfte ihre Fehler aus Angst vor Karrierenachteilen und Arbeitsplatzverlust verheimlichen. Dies verdeutlichen eine entscheidende Herausforderung in der Führungsentwicklung. Das Verschweigen von Fehlern mag kurzfristig Erleichterung verschaffen, aber die langfristigen Folgen für die Glaubwürdigkeit und Leistungsfähigkeit von Führungskräften und deren Auswirkungen auf die Teamdynamik und die Unternehmenskultur sind weitreichend. Führungstrainings müssen dieses schwerwiegende Problem gezielt angehen und die Bedeutung von Verletzlichkeit, Verantwortlichkeit und offener Kommunikation betonen.
Wenn Führungskräfte Ihre Haltung, primär gegenüber eigenen Fehlern oder Misserfolgen und sekundär gegenüber den Fehlern und Misserfolgen der anderer, nicht ändern können, sind die wirtschaftlichen Folgen in einer von Wissen und Innovation getriebenen Welt gravierend.
Damit Führungskräfte, in ihrer Rolle als Vollbilder ihre Haltung ändern können, benötigen sie eine psychologisch sichere Umgebung, in welchen sie Fehler machen können, ohne dafür Sanktionen zu erfahren und ohne die Fehler oder Misserfolge kommunizieren zu müssen. Durch das wiederholte Spielen und Lernen in der Simulation und dem damit ständigen Erleben, wie die Führungskräfte dadurch wachsen und besser werden, wird der kognitive Lernprozess unterstützt. Führungskräfte können nach solchen positiven Lernerfahrungen verstärkt als Vorbilder und Botschafter einer Lernkultur agieren, indem sie z. B. ihre Erkenntnisse kommunizieren und was sie zu dieser Einsicht bewogen hat.