Vom Betonklotz zum Green Building
Die Tendenz zu mehr Nachhaltigkeit zeigt sich auch im Wohnungsbau. (Quelle: Architectural Visualization/ iStock/Getty Images Plus)

Vom Betonklotz zum Green Building

Um im Jahr 2035 klimaneutral zu sein, muss nachhaltig geplant und gebaut werden. Das ist eine neue Entwicklung, wie unser Autor Ulrich Rumstadt erklärt. Betrachtet man den Wohnungsbau in Deutschland im 20. Jahrhundert, so fällt auf, dass die Aspekte des Klimaschutzes erst relativ spät in den Vordergrund gerückt sind. Belichtung und Belüftung der Wohnungen, gesunde Wohnverhältnisse, Versorgung mit fließendem Kalt- und später auch Warmwasser, auch die Entwicklung der Kanalisation standen zunächst im Vordergrund. Es ging also zunächst um den Schutz der Wohnung vor klimatischen Einflüssen und noch nicht um mögliche klimatische Wirkungen nach außen.

Ist „klimagerecht“ heute ein gängiger Begriff, wäre das damals vermutlich als reines Luxusthema gesehen worden. Es ging sicher mehr um ein „Ob“ und „Wie“ etwas überhaupt erforderlich und dann auch möglich ist, als um klimatische Auswirkungen. Das galt wohl für sämtliche Bereiche des Lebens. Gesellschaftliche Veränderungen, die Industrialisierung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Veränderung der Familienstrukturen und -größen, der Zuwachs der Städte bei gleichzeitiger Schwächung des ländlichen Raums, gestiegene Anforderungen an den Komfort etc. – all diese Punkte hatten und haben unmittelbare Auswirkungen auf die Art und Weise des Wohnens. Viele Elemente, die uns heute als Standard geläufig sind, wurden erst durch die veränderten Lebensverhältnisse erforderlich und dafür entwickelt. Man denke hier z.B. an die „Frankfurter Küche“ von Margarethe Schütte-Lihotzky, die in den 1920er-Jahren im Büro von Ernst May in Frankfurt für die berufstätige Frau den Vorläufer der heutigen Einbauküche entwickelte.

Eine Evolution des Wohnens

In der Rückschau betrachtet ist die Entwicklung des Wohnungsbaus in den letzten 120 Jahren hin zum heutigen Stand wie eine Evolution des Wohnens zu lesen. Parallel dazu hat sich die technische Ausstattung der Wohnungen weiterentwickelt: von Einzelöfen in wenigen Räumen über eine Zentralheizung bis hin zum heutigen Stand moderner Heizungs- und Lüftungssysteme, die teilweise auch zur Kühlung herangezogen werden. Dabei hatte die Technikgläubigkeit der 60er- und 70er-Jahreihren Fokus trotz der damaligen Ölkrise scheinbar fast ausschließlich auf die Steigerung des Komforts und nicht auf das Sparen von Energie gelegt. Die Wahl der Wärmeerzeugung und des Brennstoffs unterlagen – neben der Verfügbarkeit – einzig dem Anspruch an den Komfort des Heizungssystems.

Das ist heute anders geworden. Die Klimabilanz und die Umweltgerechtigkeit spielen eine wichtige Rolle. Die Wahl des verwendeten Baumaterials, die Ausrichtung des Gebäudes, die Speicherfähigkeit tragen zur Klimabilanz bei. Die Zeiten, in denen man bei „zu kalt“ die Heizung und bei „zu warm“ eben die Klimaanlage anwirft, sind vorbei. Mittlerweile werden Häuser errichtet, die sogar einen Überschuss an Energie selbst erzeugen. Mit den heutigen technischen Mitteln ist es möglich, Komfort und Umweltfreundlichkeit zu vereinen – ein Schritt zurück scheint beim Komfort nicht mehr denkbar. Ob man diesen Weg eher technisch geht, mit einem Hightechgebäude oder vielleicht sogar sehr einfach und lowtech gestaltet, bleibt spannend.

Wohnungsbau und Klimaschutz

Bauwerke haben vielfältige Auswirkungen auf die Umwelt, die Menschen und das Klima. Wir sehen Klimaschutz nicht nur auf den Energieverbrauch im Betrieb beschränkt. Das komplette System von Herstellung und Betrieb, ja auch vom Rückbau bis zur Wiederverwertung der Gebäude spielt dabei eine Rolle. Gerade dem Rückbau und dem Recycling oder Wiederverwerten der verwendeten Baumaterialien wird derzeit oft noch zu wenig Beachtung geschenkt. Echte Cradle-to-Cradle-Materialien, also Produkte einer durchgängigen wiederverwertenden Kreislaufwirtschaft, verschaffen sich erst langsam einen vernünftigen Marktanteil und sind der Umwelt und der Gesamtbilanz des Gebäudes zuträglich. Aber allmählich verschafft sich auch dieser Aspekt seinen Platz in der Gesamtbetrachtung.

Bei den gängigen Zertifizierungssystemen für die Nachhaltigkeit von Gebäuden in Herstellung und Betrieb wie DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) oder LEED (Leadership in Energy and Environmental Design, übersetzt etwa „Vorreiterschaft in energie- und umweltgerechter Planung“) werden diese Aspekte jedoch bereits bewertet, ebenso wie die Herkunftsentfernung der Materialien.

Rohstoffe, deren unbeschränkte Verfügbarkeit bislang vielleicht unbewusst angenommen wurde, sind endlich. Das Bewusstsein dafür tritt immer mehr in den Vordergrund. Und damit auch die Frage nach den verwendeten Baumaterialien: Wasser, Sand, Zement, Steine. Wo und wie kommt das her, wie wird es gewonnen? Das ist mittlerweile ein weltumspannendes Thema mit teils drastischen klimatischen Auswirkungen.

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Der Asphalt flirrt. Deutsche Städte sind zunehmend von steigenden Temperaturen betroffen. (Bild:iStock/Getty Images Plus/Marc Bruxelle)

Hitzewellen und Trockenheitsphasen auch bei uns rücken den Umgang mit Wasser mehr ins Bewusstsein. Auch Gebäude können umweltgerechter mit Wasser umgehen. Der Grad der Versiegelung, die Nutzung von Regenwasser anstelle von qualitativ hochwertigem Trinkwasser zur Gartenbewässerung, der Umgang mit Regenwasser oder Grauwasser seien genannt. Fließt Regenwasser in die Kanalisation, oder wird es versickert? Kann Regenwasser auch über offene Mulden versickert werden, oder muss es in Schächten verschwinden? Sind die Dachbeläge glatt oder sogar begrünt? Begrünte Dachflächen schützen die Dachhaut vor Überhitzung, sie bieten Insekten Lebensraum, aber sie halten auch die Wasserabgabe zurück und leiten das Wasser erst zeitversetzt weiter an die Versickerungsanlage oder die Kanalisation. Ein Aspekt, der wegen immer häufiger wiederkehrenden Starkregenereignissen immer wichtiger wird.

Herkunft, Transportwege, Herstellungsverfahren, Energiebedarf der verwendeten Baumaterialien sind wichtig für die Klimagerechtigkeit der Gebäude. Es ist absehbar, dass durch die steigenden CO2-Preise und die damit gestiegenen Herstellungs- und Transportkosten speziell energieintensiver Baumaterialien die Alternativen mehr in den Fokus rücken werden. Obwohl es vielversprechende Ansätze gibt, ist derzeit jedoch die Verwendung von Recyclingbeton oder -kunststoffen beim Bau noch in den Anfängen.

Wiederverwerten statt entsorgen

Das Umnutzen, Wiederverwenden, Revitalisieren vorhandener Gebäude sollte und kann mehr Aufmerksamkeit erfahren. Der Verzicht auf den Abbruch von Gebäuden und das Schonen der „grauen Energie“ können bedeutend zum Klimaschutz beitragen. „Graue Energie“ bezeichnet den Energieaufwand, der für das Herstellen der Baumaterialien, den Transport zur Baustelle und das Errichten des Gebäudes erforderlich war. Wo Nachverdichtungen technisch realisierbar sind, tragen sie deutlich zur Energiereduzierung bei. Es werden kaum mehr oder größere Straßen für eine Aufstockung gebaut werden, und auch die Auswirkungen auf Aushub, Transport und Entsorgung von Baugruben entfällt üblicherweise komplett.

Auch die Klimaaspekte einer nachhaltigen Nutzung, einer flexiblen Wieder- und Weiterverwendung von Gebäuden sind beachtenswert. Vielleicht ist es gerade in diesen Zeiten des immer deutlicher werdenden Klimawandels noch mehr ins Bewusstsein geraten, dass man keineswegs „nur für sich“ baut. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind vielfältig: geschlossene oder offene Silhouetten von Siedlungen, Schallreflexionen an Gebäuden, Wärmeabgabe, Unterbrechung von Windströmen und Luftschneisen in bebauten Strukturen, eine mehr oder weniger starke Versiegelung von Flächen, Auswirkungen auf Wasserversickerung, Rückhaltefähigkeit bei den zunehmenden Starkregenereignissen, um nur einige zu nennen.

Klimaschutz hat viele Gesichter

Klimaschutz ist vielfältig, und es wird nicht die eine Lösung für alle Fragen geben. Zu unterschiedlich sind auch die Anforderungen an die Gebäude und die Gegebenheiten vor Ort. Ist es klimagerechter, ein top ausgestattetes Einfamilienhaus mit dem höchsten Energiestandard zu haben, das aber weit draußen auf dem Land ist und somit zwangsläufig mehr Verkehr und Versiegelung erfordert? Oder ist es besser, einen gut gedämmten Geschosswohnungsbau mit höherer Verdichtung, aber guter Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr zu bewohnen? Was macht aber ein mehrgeschossiger Wohnungsbau mit der gewachsenen Siedlungsstruktur auf dem Land? Oder wenn das Mehrfamilienhaus keine oder wenig Infrastruktur für den täglichen Bedarf in der Nähe hat und damit zwar weniger Fläche pro Wohneinheit verbraucht, aber annähernd so viel Verkehr pro Einheit erzeugt wie ein Einfamilienhaus?

Bei der Klimagerechtigkeit sind viele Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Dazu gehören die Siedlungs- und Stadtplanung genauso wie die Verkehrsinfrastruktur; die Energieversorgung ebenso wie der Ausbau von schnellem Internet und der Ausbau von Nahwärmenetzen. Viele Wege führen zu mehr Klimagerechtigkeit.

Mehr Anweisungen und richtungsweisende Projektbeispiele finden Sie im Praxishandbuch Nachhaltiges Planen und Bauen.

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