Vom Sprachlehrer zum Lerncoach

Vom Sprachlehrer zum Lerncoach

In mehr als 20 Jahren, die ich als Deutschlehrer an einer Sprachschule in Barcelona traditionellen Unterricht gegeben habe, bin ich auf Blockaden verschiedenster Art gestoßen.

Ich hatte immer wieder Schüler mit Legeatheniespuren, für die ich neue Zugänge zum Vokabular schaffen mussten, weil sie andere Wahrnehmungstypen sind.

Vor Jahren begann es bereits immer schwieriger zu werden, den Lernern Erfolgserlebnisse zu ermöglichen, weil sie in den vorhergegangenen Jahren Deutsch so gelernt hatten, wie es mein Vorgänger wollte, nicht wie die Lerner es brauchten. Einige hatten keinerlei Ordnung in ihrem Kopf und waren verzweifelt. Die Mehrzahl hatte keinerlei Ahnung, wie man Überschrift, Bild und Text im Deutschbuch zusammenbringt, oder sie schauten verschämt zu Boden, als ich mit ihnen ein Wortassoziogramm anfertigen wollte. Selbst in ihrer Muttersprache war es ihnen nicht möglich, Inspirationen zu dem Stichwort „Freiheit“ zu aktivieren.

Sowieso war es absolut tabu, an dieser Schule die Muttersprache miteinzubeziehen, obwohl sie ja als Koordinatensystem dient, an der man Ähnliches anknüpfen und Unterschiedliches kontrastiert sollte.

Im Laufe der Jahre kamen immer mehr Schüler unregelmäßig zum Unterricht, weil ihnen weder die Schule noch die Universität Zeit lässt, um privat eine Fremdsprache zu lernen.

Viele trauten sich nicht, - selbst in hohen Niveaus – auf Deutsch zu sprechen, weil sie Angst hatten, es falsch zu machen oder aber sie waren unfähig, einen Satz wie „Ich komme nächste Woche etwas später, weil ich zum Arzt muss.“ korrekt zu formulieren.

Da ich vor 6 Jahren eine Ausbildung zum Coach machte und mich mit Interesse studierte, wie das menschliche Gehirn beim Lernen funtioniert, was gehirngerechtes Lernen überhaupt ist, was Legasthenie bedeutet und was Gamifikation damit zu tun hat, begann ich, neue Methodiken zu entwickeln, mein eigenes Material anzufertigen und die Schüler feedbackfähig zu machen, damit ich ihnen gezielt helfen konnte und direkt auf die Bedürfnisse des Einzelnen einzugehen.

Meine Schüler waren meine Versuchskaninchen und es war eine Erfolgsgeschichte.

Sie begannen, ihr Gehirn zu aktivieren und zu ordnen. Alle fanden den Mut, an kynästhetischen Spielen teilzunehmen, - Improvisationstheater hielt Einzug -, sie hatten viel Spaß und verloren ihre Blockaden. Das Gefühl der Kohärenz kam auf, alles, was sie lernten und erforschten ergab Sinn, jeder Schritt wurde zum Erfolg.

Die Motivation, die die meisten Lehrer versuchen, entweder positiv mit Spielen, Videos und digitalen Programmen zu aktivieren oder negativ mit Notendruck und Strafarbeiten zu erzeugen – beides mit oft mäßigem Erfolg -, entsprang bei meinen Schülern dem neugierigen Erforschen und Ausprobieren, mehr war da nicht zu tun.

Es gab natürlich auch den einen oder die andere SchülerIn, der/die am traditionellen Unterricht hing und überfordert war von meinen beherzten Neuerungen.

Auch wenn das vielleicht nur 2% gegenüber der dankbaren Mehrheit war (ich wusste, wie meine Methodik ankam, ich hatte ja gelernt, meine Lerner nach objektivem Feedback zu fragen) und meine Schule sich Innovation auf den Banner geschrieben hatte, wurde ich von meinem direkten Vorgesetzten kontrolliert, immer wieder abgekanzelt und mit Verboten und Anweisungen versehen, was seiner Angst vor Erneuerung und den Eltern der Schüler, die seiner Meinung nach ‚die alte Schule‘ von uns erwarteten, entsprang.

Die Covidzeiten und die Notwendigkeit, auf Onlineunterricht umzusatteln, waren eine neue Herausforderung für mich, weil Unterricht hier ganz anders sein muss, um nicht wieder in den verpönten Frontalunterricht zurückzufallen. Mit Leidenschaft und Neugier sondierte ich aus, dass online das Potenzial hat, dem Lernbegleiter zu ermöglichen, viel näher am Lernen der Schüler zu sein.

Mit einer Kindergruppe, deren Niveau sehr gemischt war, lernte ich deren Selbstlernerpotenzial und -bedürfnis kennen. Jeder machte was anderes und ich konnte sie in Ruhe begleiten.

Ich habe viel gelernt mit meinen Schülern, es optimiert und baue seit einigen Jahren mit dem Resultat mein eigenes Unternehmen „Coherent Language Play“ auf, wo ich fremdbestimmte zu selbstgeleiteten Lernern mache und sie auf eine ganz andere Art spielerisch und schnell in die deutsche Sprache einführe. Als selbstgeleitete Lerner, die Uhrzeit und Dauer, Intensität und Rhytmus des Weiterlernens zu Hause nach eigenem Gusto festlegen, bekommen sie von mir Begleitung in Form von Onlinemeetings, Videos und Texten. Sie können die Grammatik und die Syntax mit einem Kartenspiel selbst erschließen und trainieren. Mit speziell dekodierten Texten, die mit den Farben des Spiels übereinstimmen, erforschen sie Vokabular „in freier Wildbahn“, erkennen bereits Erlerntes wieder, ziehen kohärente Rückschlüsse und trainieren eine optimale Aussprache und Betonung.

An der Schule arbeite ich seit kurzem nicht mehr, Gott sei Dank! Es wäre eigentlich egal gewesen, an welcher Sprachschule ich arbeite, denn so lange die Schulen an der Vermittlungsmethodik der Verlage kleben und sich nicht zu selbständig denkenden Schulen machen, die den Mut haben, radikal umzudenken und Innovation selbst zu entwickeln, sind sie nicht mehr zeitgemäß.

COVID hat uns gezeigt, dass wir letztendlich alle selbstgeleitete Lerner sind, die sich den Lernstoff und deren Vermittler selbst aussuchen, sobald wir unsere wirklichen Interessen kennen lernen.

Das Internet ist voll davon!

Oliver Fuhr - coherentlanguageplay.com

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