Vorsorgesystem in Gefahr - Aufbruch zur 4. Säule?
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Vorsorgesystem in Gefahr - Aufbruch zur 4. Säule?

Im Gespräch Emmanuel Ullmann und Nils Aggett beides Vorsorge Experten mit verschiedenen Mandaten.

Die Schweiz wird älter, es treten mehr aus dem Erwerbsleben aus als eintreten - jedes Jahr kommen 15 Mrd. an Vorsorgekapital zur Auszahlung, Tendenz steigend. Ist das Vorsorgeland Schweiz auf diese Rentnerschar gut vorbereitet? 

Nils Aggett (NA): Fachexperten schätzen die Vorsorgelücke der Schweiz über alle drei Säulen bei 1.400 Mrd, stolze 165.000 pro Einwohner, also ist die Antwort ganz klar Nein.

Da diese Schuldenlast versteckt ist fällt sie niemandem auf und viele wähnen sich immer noch im Vorsorgeparadies. Wie siehst Du das Emmanuel?

Emmanuel Ullmann (EU): Sehe ich auch so, die erhöhten Kapitalauszahlungen sind ja auch eine Reaktion der Pensionskasse aufgrund des zu hohen BVG-Umwandlungssatzes von 6.8% - immer mehr Pensionskassen schränken den Rentenbezug ein und zahlen Kapital aus. Idealerweise bespricht der Versicherte mit seinem Kundenberater einen Anlage- und Entsparplan, doch viele sind hier überfordert.

Nils Aggett: (NA): Der kleinere Teil der Auszahlungen betrifft die Säule 3a. Da werden nur ca. 4 Mrd. jährlich ausbezahlt. Das „nur“ wirkt vielleicht befremdend, aber pro Kopf ist die Auszahlung unter CHF 50’000 gemäss dem BFS. Also weit unter den Möglichkeiten des Systems und wenn eine Lebenserwartung von 20 Jahren nach Pensionierung angenommen wird bringen einem 200 Franken pro Monat nicht wirklich weit. 


Was müsste man tun?

NA: Also grundsätzlich gibt es eigentlich nur wenige ganz einfache Optionen: länger arbeiten, mehr sparen, konsequenter und aggressiver anlegen. Bei den Optionen sparen und anlegen ist die Erfahrung vieler Systeme, dass Steuervorteile oder auch ein Zwangssparen (wie bei der AHV und Pensionskassenbeiträgen) gut funktionieren. Der Staat könnte auch einfach Geld drucken oder Steuern erhöhen, aber das wird schnell zum Teufelskreis einer Scheinsanierung. Die derzeitige Situation ist komplex aufgrund der gescheiterten Reformversuche und der nächsten Rentnergenerationen werden wir Angespartes verzehren müssen, also entsparen.

Emmanuel was meinst Du, gibt es Ideen wie zum Beispiel die Nationalbankgewinne sinnvoll für die Vorsorge ggfs im Bereich Entsparlösungen eingesetzt werden könnten?

EU: Ja, die SNB hat in den ersten drei Quartale des Jahres sagenhafte 52 Milliarden Gewinne realisiert. Dass hier Begehrlichkeiten entstehen, wenn auf der anderen Seite Reformen nicht vorankommen, ist verständlich. Besonders stossend ist, dass auch die Negativzinsen mit fast 2 Milliarden zum Gewinn beigetragen haben. Genau die Negativzinsen, die Pensionskassen und Freizügigkeitsstiftungen am meisten zu schaffen machen.

Bezüglich entsparen denke ich, dass viele Personen im Rentneralter froh wären, wenn es für Entsparpläne Standardprodukte gäbe. Spinnt man den bisherigen Vorsorgefaden weiter, könnte eine 4. Säule geschaffen werden. Teile der Kapitalauszahlungen könnten optional direkt in die 4. Säule eingespiesen werden und dort mittels individueller Entsparpläne regelmässige Auszahlungen zu kostengünstigen Konditionen generieren. So könnte auch Pläne zur individuellen Pflegefinanzierung erstellt und steuerlich privilegiert werden.


Wie kann man diese Ideen angehen?

NA: Politisch sind neue Ideen unheimlich schwerfällig umzusetzen. Sinnvolle Reformen benötigen 5-10 Jahre politische Arbeit um sie umzusetzen. Nebst der derzeitigen AHV 21 Reform, der Motion Ettlin (rückwirkende Einkaufsmöglichkeiten für 3a) könnten wir anfangen über die nächste Reform nachzudenken und Diskussionen anzustossen

EU: Der Vorteil einer 4. Säule ist, dass die Idee neu ist und aus dem Reformstau der bestehenden Alterssäulen heraussticht, weil sie sich erstmals auf die Nachsorge fokussiert. Man fängt quasi auf der grünen Wiese an. Das macht es vermutlich einfacher. Gleichzeitig ist es ein zentraler Teil der Fragen der Alters- und Gesundheitspolitik. Es wäre wichtig, das Thema zu einer breiten Gesellschaftsdiskussion zu bringen.

NA: Bei allen Vorteilen der Langlebigkeit, das Altern und daraus entstehende Herausforderungen wie die Finanzierung von Gesundheit- und Pflegekosten müssen verstanden und entsprechende privatwirtschaftliche und auch politische Lösungen diskutiert und umgesetzt werden.

Stefan Müssle

Marketing Key Account Manager Wealth Management Client Coverage, Executive Director at UBS

5 Jahre

Interessante Gedankenansätze. Da jedoch Reformen, wie beschrieben eine gewisse Zeit dauern, bis sie ggf umgesetzt oder gar greifen, wäre es mE genauso wichtig, über die bestehenden Möglichkeiten innerhalb der Säule 3a besser und verständlicher zu informieren. Denn einerseits gibt es immer noch viele Erwerbstätige, die bisher keine steuerbegünstigte Vorsorgelösung abgeschlossen haben oder abschliessen konnten. Und andererseits gibt es viele Erwerbstätige, die sich nicht ausreichend gut informiert fühlen. Das mangende Wissen bspw. über alternative Anlagemöglichkeiten in der Säule 3a kann sich besonders auf lange Sicht negativ auswirken. Denn bei einem aktuellen, durchschnittlichen 3a-Konto-Zinssatz von unter 0,5% und weniger kann auch der sogenannte Zinseszinseffekt nicht wirklich „spielen“ und das Vermögen so nur kaum oder gar nicht anwachsen. Warum also nicht über eine Vorsorge mit Anlagefonds nachdenken? Besonders dann, wenn noch viele Jahre Zeit bleiben, ein Vorsorgevermögen anzusparen. Auch UBS bietet hierzu eine breite Palette an Vorsorgelösungen an, welche von unabhängiger Seite schon mehrfach ausgezeichnet wurden. Schauen Sie doch mal rein - es könnte sich lohnen: www.ubs.com/vitainvest

Benjamin Miller

Business enabler and opportunity scanner, with experience in defence industry, business relations, tourism, chemical industry, history..

5 Jahre

Und was empfehlen Sie jemandem, dem vor ein Jahr vor der Pension der Umwandlungssatz auf 4.5% gesetzt wurde?

Kevin Beele

Industrie Marketing ↑ Produktmanagement ↑ Strategie ↑ Analysen ↑ Geschäftsentwicklung ↑ Marktdurchdringung ↑ Innovation ↑ Vertrieb

5 Jahre

4. Säule Entsparpläne sind ein interessanter Ansatz. Merci, dass Sie regelmässig auf die Notwendigkeit des Umdenkens hinweisen.

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