Was wäre, wenn der deutsche Handel wie das Oktoberfest funktionieren würde?

Was wäre, wenn der deutsche Handel wie das Oktoberfest funktionieren würde?

Ah, das Oktoberfest – so Sch31$$e, wie immer alle bejammern, geht’s uns doch offenkundig gar nicht: 6,7 Millionen Besucher in 2024, über 7 Millionen Maß Bier, schätzungsweise mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz in gut 2 Wochen, davon knapp die Hälfte allein auf der Wiesn. Endlich mal wieder ein deutsches Erfolgsmodell, über das die gesamte Welt spricht und an dem sich andere ach-so-krisengeplagte Branchen doch eine ordentliche Scheibe abschneiden könnten. Der weinerliche Handel zum Beispiel*.

Lasst uns also "unseren" Handel endlich so effizient organisieren, wie Deutschlands Vorzeigefestival. Ihr, die ihr in unser Ladengeschäft eintretet, lasst alle Vernunft fahren – und freut euch stattdessen auf eine wilde Fahrt für überteuerter Genüsse in klischeehaft-traditionsreicher Shopping-Atmosphäre!

 

1. Preise, die dir nicht egaler sein könnten.

Inflation? Geldknappheit? Nicht hier, nicht heute! Mach dich in unserem Geschäft darauf gefasst, Höchstpreise für Alltagswaren zu zahlen. Du möchtest einen Liter Milch kaufen? Klar, kostet dich läppische 15 Euro. Eine halbe Packung Toastbrot? Fröhliche 23 Taler (oder wahlweise eine Niere). Preise ergeben keinen Sinn. Müssen sie auch nicht, denn allein die Tatsache, dass du unser Zelt … äh … Shop betreten hast, reicht schon aus, dich glauben zu lassen, dass alles hier sein Geld wert ist. Du zahlst nicht für das Produkt – du zahlst für das Erlebnis. 

2. Lederhosen: Pflicht, Manieren: optional

Jeder noch so banale Einkaufsbummel fühlt sich bei uns an wie ein VIP Eventshopping. Dresscode inbegriffen: Stilsicher kleidest du dich traditionell in Dirndl oder Trachtenhose aus handgewalztem Hirschkäferleder. Beides kaufst du dir mindestens einmal pro Shoppingtour neu – oder leihst dir das Outfit heimlich (aber das verrätst du niemandem, schon gar nicht deinen Insta-Followern). Jedenfalls gibst du auch dafür eine weitere Niere in Zahlung. (Oder deinen Erstgeborenen). Doch das ist es allemahl wert, denn schließlich erwartet dich bei uns das ultimativ-rustikale Einkaufsambiente: Du suchst zum Beispiel Toilettenpapier? Dann geselle dich einfach zu den anderen übermotivierten Käufern, die dir im betreffenden Gang bereits mit übergroßen Klopapierrollen überschwänglich zu prost … winken werden, während sie deutsches Volksliedgut mehr oder weniger textsicher (dafür aber umso lautstarker) rezitieren. (Heeeey, wir wischen uns den Popo ab - den Popo ab). Mach mit, reih dich ein, so sieht Spaß aus!

3. Schlange stehen? Pffft! Drängel dich einfach durch!

Vergiss einfach alle Benimmregeln, die dir deine Eltern jemals eingetrichtert haben. Wirf jeglichen Anstand über Bord. Was im Bierzelt das Sichern eines Sitzplatzes ist, ist bei unserer Einkaufstour eine Vollkontakt-Sportart. Niemals würde es dir in den Sinn kommen, dich geordnet an einer Kasse anzustellen oder duldsam abzuwarten, bis andere Kunden ihre Produkte aus den Regalen gezogen haben. Stattdessen setzen wir auf ein buntes Treiben, bei dem allein Darwins Naturgesetze gelten. Brüll raus, was du brauchst. Schubs weg, was du nicht magst. Du möchtest gerne eine Dose Mais? Dann tackle einfach sämtliche Konkurrenten aus dem Weg. Frauen und Kinder zuerst! Idealerweise genau dann, wenn diese gerade selbst alle Hände voll mit ihren Einkäufen beladen haben. Sollte bei der ganzen Rangelei dann doch mal etwas zu Boden scheppern, dann stört das hier niemanden. Irgendwer macht am Ende schon sauber. Bis dahin ist Stimmung bei uns King. 

4. Rauslassen, was raus muss!

Einfach mal nach Lust und Laune freidrehen. Das klingt ganz nach deinem Geschmack, oder? Bei uns kann der Mann noch ein echter Kerl sein: Lass doch einfach mal so richtig Dampf ab.

Vielleicht pöbelst du testweise unsere Kassiererinnen ein wenig an, weil’s deiner Meinung nach am Kassenband zu langsam voran geht? Check.

Oder verspürst du Lust, vorzugsweise weibliche Besucher dank deines bis ans Limit hochgepushten Testosteronspiegels mit dem Charm eines vorzeitlichen Höhlenbewohners zu umgarnen? Check.

Anschließend kleines Kräftemessen mit unserem Sicherheitspersonal, um klarzustellen, wer denn hier wirklich den dicksten Strahl am Start hat? Check. (Keine Angst, wir haben hinter unserem Haus extra ein Deluxe-Sanitäter-Zelt aufgebaut. So etwas nennt man All-inclusive-Service!)

5. Feierabend? Dein Shoppingtrip hört nie auf!

Was meinst du mit „Ich geh jetzt Heim“? Wenn der Handel wie das Oktoberfest funktionieren würde, würden unsere Geschäfte 16 Tage am Stück geöffnet bleiben. Dann allerdings für ein ganzes Jahr lang schließen – also sieh zu, dass du während dieser Zeit ausreichend konsumierst. Schlaf ist nur für die Schwächsten unter den Sterblichen bestimmt. Wahre Götter und Helden hingegen, die shoppen durch. Kein Punkt dem Feind! Zwischendurch geben wir dir immer mal wieder Gelegenheit, deinen gesamten Einkauf im Wert von mehreren drölfhundert Euro einfach auf unserem angrenzenden Parkplatzhügel auszukippen, dich anschließend dort inmitten der wild herumliegenden Luxusgüter für ein halbes Stündchen zur Ruhe zu betten, nur, um gleich darauf wieder … äh … einkaufen zu gehen. Gönn dir! Die nächste Fahrt geht übrigens rückwärts.


Fallen euch noch weitere Erfolgsrezepte für den leidgeplagten Handel ein? Immer her damit. Ich lerne gerne und bin für jeden Benchmark dankbar. Cheers!

*Disclaimer: Ich erwähnte eingangs ein paar betriebswirtschaftliche Kennzahlen. Das Gesamtkonzept scheint unter diesem Gesichtspunkt durchaus eine Berechtigung zu besitzen, wie ich neidvoll anerkennen muss. Ehre, wem Ehre gebührt!

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