Wahl-Post

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Wir Deutschen haben doch irgendwie wirklich ein bisschen einen an der Waffel. Wir leben in einem System, in dem es echte politische Vielfalt gibt, mit Parteien auf dem ganzen Spektrum von links bis rechts, in dem Wahlen tatsächlich auch über Regierungen entscheiden, die im Versagensfall auch wieder abgewählt werden können, in einem demokratischen System von außerordentlicher Stabilität und Flexibilität. Und dann machen wir so einen Terz darum, dass manche Politiker andere Vorstellungen davon haben, was gut und richtig ist, als wir selbst. Gerade dann, wenn es mal Ernst wird mit der Vielfalt. Als wären sie der Menschheit letzter Abschaum.

Klar, wie jede Demokratie hat auch unsere mit inneren Widersprüchen zu kämpfen. Zum Beispiel mit dem, einerseits Volksherrschaft zu sein, andererseits Populismus verhindern zu müssen. Oder einerseits Freiheit gewährleisten zu müssen, andererseits Gleichheit. Aber diese Widersprüche erfüllen eine Funktion – es sind Antagonismen, durch die das System beweglich wird wie der Arm, an dem Bizeps und Trizeps in die Gegenrichtung ziehen. Dank ihnen hat die Demokratie immer eine Alternative auf Lager, um sich auf neue Herausforderungen einzustellen. Aber sie ist auch nicht einfach schwabbelig und allen Kräften willfährig. Sie wird gestützt durch ein belastbares juristisches Skelett und gemonitort durch eine hellhörige politische Öffentlichkeit. Das hält die Extremismen klein, bannt sie an den wirkungslosen Rand oder unterbindet ihr Aufkommen von vornherein. Die Programme, die übrig bleiben, sind auch so noch verschieden genug. Derzeit hat man die Wahl buchstäblich zwischen unterschiedlichen Deutschland-Entwürfen, ja zwischen solchen, die sich zueinander klar gegnerisch verhalten. Und das ist gut, denn nur weil es Gegner gibt, gibt es Entscheidungsmöglichkeiten. Und deshalb ist der Gegner auch nicht nur Gegner, sondern Partner. Ja – jeder, der es überhaupt schafft, sich politisch zu etablieren und ernsthaft mitzuspielen, auch wenn er etwas völlig anderes vertritt als ich für das Beste halte, ist in der Demokratie mein Partner. Eben WEIL er mein Gegner ist.

Aber anstatt dieses System der konstitutiven Gegnerschaften wertzuschätzen, machen wir etwas anderes: Wir diffamieren, bespucken, verteufeln den, der etwas anderes vorschlägt, als ich selbst es will. Man kann sich wirklich nur an den Kopf fassen. Was ist in die Menschen in Deutschland gefahren, dass sie einander so widerwärtig geworden sind, nur weil sich die Entwürfe des Wünschenswerten voneinander unterscheiden? Der Hass auf den politischen Gegner mag dort angemessen sein, wo es darum geht, ein unterdrückerisches Regime abzuschaffen. In einer funktionierenden Demokratie ist er antidemokratisch.

Wieso hassen die Linken Maaßen? Weil er etwas anderes sagt, als sie für richtig halten? Das ist kein Grund, ihn zu hassen. Im Gegenteil. Es ist einer, ihn wertzuschätzen. Denn Maaßen verkörpert die Alternative, die Möglichkeit der Wahl. Gäbe es Maaßen nicht, dann gäbe es auch keine Demokratie. Und deshalb heisst, Maaßen zu hassen, die Demokratie zu hassen. Und wieso hassen die Rechten Esken? Und die Konservativen Baerbock? Und die Grünen Lindner? Sie müssten alle einander dankbar sein. Aber aus dem politischen Kampf ist einer um Achtbarkeit und Würde geworden. Der politische Gegner erscheint zunehmend als ein unwürdiger Mensch, als einer, der es nicht verdient hat, mitzureden, und den man deshalb mit allen Mitteln herabsetzen und bloßstellen darf, sogar muss. Was wir nicht sehen, ist, dass wir damit unsere Demokratie selbst herabsetzen und bloßstellen.

Ich kann keinen anderen Grund für diese Hysterie angesichts des politisch Anderen entdecken als eine beispiellose Überfressenheit an dieser nahrhaften Frucht Demokratie und eine beispiellose Blindheit gegenüber dem Privileg, in einem derartigen System leben zu dürfen. Es gibt nicht wenige Länder auf der Erde, in denen von dem, was bei uns selbstverständlich ist, rein gar nichts existiert: Keine Wahl zwischen politischen Alternativen, kein verlässliches Rechtssystem, keine Abwählbarkeit von Regierungen, weder Freiheit noch Gerechtigkeit. Es dürfte sogar der weitaus größte Anteil aller Länder und Staaten sein. Dort ist der politische Gegner in der Tat kein antagonistischer Partner, sondern er ist wirklich ein Feind. Und oft genug verdient er es, gehasst zu werden. Mit allen Risiken des Schreckens, die diese Emotion, wird sie politisch wirksam, mit sich bringt.

Aber was maßen wir, ausgerechnet wir uns an, unseren politischen Gegner hassen zu dürfen? In unserem System, das dem wirklich Hassenswerten gar nicht erst die Chance gibt, zu einer ernsthaften politischen Kraft zu werden? Das so herangewachsen und so konstruiert ist, dass es als – leidlich – fairer Wettkampf der legitimen und füreinander unerlässlichen Gegner funktioniert? Wir haben kein Recht auf diesen Hass. Und wie echt ist er überhaupt? Mir scheint das alles wie ein Fratzentheater, in dem die kleinsten Divergenzen und Dissense ins Groteske vergrößert und aufgeblasen werden, nur um etwas zum Diffamieren und Entwürdigen zu haben. Aber wie würdelos ist das! Anstatt sich des Privilegs der funktionierenden Demokratie bewusst zu sein, anstatt es mit Bescheidenheit und sorgsam zu gebrauchen, tun wir so, als hätten wir hier in Deutschland einen permanenten Kampf gegen alle nur denkbaren politischen Höllenausgeburten auszufechten – wo wir es doch nur mit unseren Nachbarn auf der gleichen Etage zu tun haben, die etwas anderes und sogar in den allermeisten Fällen einfach etwas anders-Vernünftiges wollen als wir. Ich finde das beschämend.

Eine Wahl in einem derart feingliedrigen, zivilisierten, von Wohlstand getragenen und im internationalen Vergleich außergewöhnlich glücklich dastehenden System sollte, denke ich mir, eine eher stille Sache sein. Man schaut, was die Kandidaten vorzuschlagen haben, hört zu, wie sie sich im Wettstreit miteinander behaupten, denkt nach, entscheidet sich und geht dann hin, um anzukreuzen. Mehr nicht. Gesammelt, gefasst und sich der Tragweite der Handlung bewusst. Dann den Atem anhalten. Und dann weitersehen.

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