Warum Elternzeit uns auch im Job voranbringt (III): Prinzipien muss man sich leisten
“Ich will mich bemühen, ein möglichst gutes Gleichgewicht herzustellen zwischen meinem Beruf und meiner Familie, denn beides ist mir sehr wichtig.” So lautet ein typisches Leitbild von Erwachsenen. Der Management-Vordenker Stephen R. Covey zitiert die Formulierung in seinem weltberühmten Buch “Die sieben Wege zur Effektivität”, weil die so häufig genannt wird auf die Frage, was man vom Leben erwartet. Das gerade in der Elternzeit wird dieser Punkt immens wichtig für fast alle Väter und Mütter.
Ein Leitbild ist sozusagen die individuelle Philosophie eines Menschen, sein Glaubensbekenntnis. “Es definiert, was wir sein wollen (Charakter), tun wollen (Beiträge und Leistungen) und auf welche Werte und Prinzipien das Sein und das Tun beruhen.” Dieses persönliche Leitbild gründet sich laut Steven Covey auf vier Säulen: Nummer eins ist Sicherheit inklusive unseres Selbstwertgefühls, emotionale Anker und Selbstachtung. Nummer zwei ist Orientierung, die vor allem von den eigenen Prinzipien gesetzt wird. Mit Nummer drei, Weisheit, meint Covey unser Verständnis davon, wie unsere Prinzipien in Verbindung zueinander und zur Außenwelt stehen, also quasi unser Beurteilungsvermögen. Und viertens nennt Covey Kraft, also die Fähigkeit zu handeln. Das schließt die vitale Energie ein, um Entscheidungen zu treffen und die Fähigkeit, tief eingegrabene Eigenschaften zu überwinden.
“Prinzipien reagieren auf gar nichts. Sie lassen sich nicht scheiden und brennen auch nicht mit unserer besten Freundin durch. Sie können uns den Weg nicht mit Abkürzungen und Patentlösungen pflastern.” Meine Frau und ich haben vor der Geburt unserer Tochter Prinzipien definiert und während der Elternzeit verfeinert. Das erste Prinzip war: Beide kümmern sich zu gleichen Teilen um die Erziehung des Kindes und nehmen auch dasselbe Maß an unangenehmen Kompromissen in Kauf. So teilen wir uns die Elternzeit und arbeiten auch danach Teilzeit.
“Prinzipien sind tiefe, fundamentale Wahrheiten, klassische Wahrheiten, allgemeine gemeinsame Nenner”, schreibt Covey. Sie seien fest gesponnene Fäden, die mit Genauigkeit, Beständigkeit, Schönheit und Stärke im Gewebe des Lebens verlaufen. Wer sie für sich definiert hat, empfindet Orientierung und eine Kraft, weil man von Verhaltensweisen anderer und Umwelteinflüssen unabhängiger wird. Man lässt sich nicht von Grenzen, die andere setzen, einschränken. Wer jedoch gegen seine Prinzipien handelt, wird bewusst oder unbewusst leiden.
Nun gibt es ja diesen berühmten Satz (aus dem vorigen Jahrhundert): Prinzipien muss man sich leisten können. Ich halte diesen Spruch nicht für den eines pragmatisch denkenden Menschen, sondern eines extrem oberflächlichen. Prinzipienorientierte Menschen halten leichter Abstand von der Emotionalität einer Situation. Allein schon der Abgleich unser Handlungsoptionen mit unseren Prinzipien lässt einen bewusster entscheiden. “Der Kern einer jeden Familie ist das, wa unveränderlich ist, was immer da sein wird - gemeinsame Visionen und Werte”, schreibt Covey. Dabei sei der Prozess ebenso wichtig wie das, was am Ende dabei herauskommt.
In der Elternzeit ist viel zu tun, deshalb habe ich von Freunden aber auch selbst erfahren, dass es sinnvoll ist, möglichst vor der Geburt über Prinzipien zu sprechen. Dem neuen Alltag anpassen kann man dies in der Elternzeit dann ja immer noch. Prüfsteine und schwierige Momente kommen von allein. Die Elternzeit ist ein idealer Zeitpunkt, um seine Prinzipien neu zu definieren.
Weitere Folgen:
Folge 1: “Das Kind bekommt schon noch deine Frau, oder?”
Folge 2: Steinzeitfrauen haben auch nicht daheim auf ihren Mann und ein Stück vom Mammut gewartet
Folge 3: Homeoffice, Kinderbetreuung und Co: Schadet oder nutzt Corona der Gleichberechtigung?
Folge 4: Warum Gleichberechtigung der größte Hebel für mehr Wohlstand ist
Folge 5: Kulturwandel: Enola Holmes statt Pussy Galore
Folge 6: Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann
Folge 7: Wie Frauen zum Schweigen gebracht wurden und werden
Folge 8: Angriff auf das Ehegattensplitting
Folge 9: Wofür erfinden wir KI und Co, wenn Männer immer noch so wenig Elternzeit nehmen? (zum Weltfrauentag am 8.3.)
Folge 10: Vom Scheitern der Lohngleichheit (zum Equal Pay Day am 10.3.)
Folge 11: Warum wir die sinnstiftendste aller Tätigkeiten nicht mehr entwerten sollten
Folge 12: Vorständin mit Babybauch? Schnell zurücktreten!
Folge 13: Warum Männer glauben, dass man es nur mit 70-Stunden-Wochen nach oben schafft
Folge 14: Warum Kinderkriegen zu Gehaltsverlust führt
Folge 15: Viel zu tun für die “Generation Baerbock”: Wir brauchen dafür jedes Talent!
Folge 16: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (I): Feedback richtig geben
Folge 17: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (II): Es kann nicht alles immer Spaß machen
Folge 18: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (III): Prinzipien muss man sich leisten
Zu dieser Kolumne:
Ich bin jetzt Oktober in Elternzeit und es werden noch weitere Monate folgen. Ich fühle mich gut dabei, weil ich nicht nur das Richtige tue für mein Kind und meine Frau. Sondern auch für mich. Ich entwickle mich als Mensch weiter, aber auch als arbeitendes Mitglied der Gesellschaft. Und zwar viel mehr, als wenn ich in den sechs Monaten einfach weiter so gearbeitet hätte. In dieser Kolumne möchte ich einen Beitrag leisten zu den großen Diskussionslinien rund um das Thema Gleichberechtigung, das mich seit Jahren beschäftigt. Und zwar ausdrücklich aus Sicht eines Mannes mit Unterstützung der wesentlichen Literatur und Forschung. Es gibt zu viele Meinungen und Klischees, die sich entweder gar nicht auf Fakten stützen oder auf die falschen, bestenfalls auf Halbwahrheiten.
Es gibt Probleme, die sind offensichtlich oder zumindest greifbar. Und andere, die schweben eher wie ein Elefant im Raum. Ich habe den sozialen Druck erlebt, wie der zweite Teil des Titel meiner Kolumne zeigt: “The Walking Dad - das Kind kriegt schon noch deine Frau, oder?” Das Statement ist 1:1 die Reaktion von jemandem auf meinen mehrmonatigen Elternzeit-Antrag. Es gab von Freunden, Bekannten und Kollegen viel Zuspruch dafür, aber auch Gegenwind. “The Walking Dad” kürte mich mein Schwager (per T-Shirt), weil sich unsere kleinen Tochter seit ihrer dritten Lebenswoche mehrere Stunden pro Tag im Tragetuch sichtbar wohl fühlt und wir rund 100 Kilometer pro Woche marschieren (während sie schläft). Bald erscheinen noch:
Folge 19: Elternzeit wirkt besser als jeder finanzielle Bonus
Folge 20: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (IV): Wertschätzung
Folge 21: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (V): Menschen richtig fordern und fördern
Folge 22: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (VI): Wir brauchen Intuition und Wissen
Folge 23: Teilzeit wagen für mehr Gleichberechtigung und Wohlstand
Folge 24: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (VII): Wie mich andere wahrnehmen
Folge 25: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (VIII): Gute Vorbereitung rettet die später den Hintern!
Folge 26: Warum uns Elternzeit uns auch im Job voranbringt (IX): Besser mit Ambiguität leben
Folge 27: welche Jobs neu entstehen und warum sie das Familienleben unterstützen
Folge 28: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (X): Mit Komplexität umgehen lernen
Folge 29: Warum Elternzeit uns auch im Job voranbringt (XI): Auswirkungen auf die Partnerschaft
Folge 30: Warum Elternzeit uns auch im Job voranbringt (XII): Neue Spielregeln
Ex-SAHM | Podcast host "Job Sharing and Beyond" | Consultant inspiring leaders globally to offer flexible work & to hire returning professionals| Creator
3 JahreVielen Dank für diese super Kolumne, Thorsten Giersch! Es ist so wichtig, dass wir (besonders) männliche Rolemodels haben, die über Väterzeit schreiben. Ich freue mich schon auf Folge 23: Teilzeit wagen für mehr Gleichberechtigung und Wohlstand. Ich bin hier in Kanada seit 3 Jahren dabei mehr flexible Arbeit für alle zu propagieren, und besonders auf Job sharing and Top sharing aufmerksam zu machen, da ich denke dass wir dadurch schneller zu Gender Equality kommen können. In meinem Podcast "Job Sharing and Beyond" spreche ich mit weltweiten Experten zum Thema flexible Arbeit, Väter & Care-Arbeit, Unterstützung für Wiedereinsteiger:innen und transferierbare Kompetenzen aus unbezahlter Care-Arbeit. https://emilyspath.ca/podcast-episodes-with-details/ Vor kurzem sprach ich mit Michael Ray, australischer Solo Dad (und Author von dem bald veröffentlichten Buch "Who knew"), der beschrieb, wie oft Männer noch bei der Care-Arbeit unterschätzt werden. https://emilyspath.ca/job-sharing-and-beyond-episode-33-michael-ray/