Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (V): Wir brauchen Intuition und Wissen
Es gab tatsächlich eine Phase, da wurde Eltern gesagt: Lasst euer Baby ruhig mal schreien, das ist sogar ganz gut. Inzwischen weiß es die Wissenschaft besser. Das gilt zumindest bis zu einem gewissen Alter von ungefähr (!) acht, neun Monaten. Dann raten Kinderpsychologen, die Kinder ruhig mal ein paar Sekunden warten zu lassen, bis man sich um sie und ihr Bedürfnis kümmert. Dieser Moment würde dem Kind ermöglichen zu sehen, dass es auch mal einen kleinen Moment warten muss - rät zum Beispiel der durch sein Buch “Warum unsere Kinder Tyrannen werden” sehr bekannt geworde Kinderpsychologe Michael Winterhoff. Die Frage, ab wann man sein Baby warten lassen sollte, sei aber nicht über den Kopf zu steuern, sondern “ausschließlich über das Bauchgefühl”.
Sind Sie ein Kopf- oder ein Bauchmensch? Ich kann das für mich gar nicht eindeutig beantworten, vermutlich beides. Nur habe ich gar keinen klaren Kompass, in welchen Situationen ich mich auf meine Intuition verlassen und wann ich streng logisch vorgehe. Die Wissenschaft hilft uns hier nicht: Es gibt keine Untersuchung mit signifikanten Ergebnissen, ob beim Entscheiden der Bauch oder der Kopf besser ist. Wolf Singer, Doyen der deutschen Hirnforschung, hat mal geschrieben: “Wir haben keine Intuition für Komplexität”. Das klingt für mich logisch: In einer so vielschichtigen Welt mit immer mehr Variablen, die ich bisweilen weder kennen noch abschätzen kann, ist das Bauchgefühl allein trügerisch. Man könnte den Spieß aber auch umdrehen und argumentieren: Wenn ich bei all der Komplexität mit meinem Verstand ohnehin nicht absehen kann, was alles passieren könnte, verlasse ich umso lieber auf meinen Bauch.
Sie merken schon, liebe Leser: Es ist schwierig. Fredmund Malik schreibt: “Gerade Menschen mit großer Erfahrung verlasse sich nicht auf ihre Gefühle.” Sie könnten aufgrund ihrer Erfahrung eher wissen, welche ihrer Intuitionen sich später als richtig erweisen und welche als falsch. Um ehrlich zu sein habe ich mir bis zur Geburt meiner Tochter um diese Thematik (zu) wenige Gedanken gemacht. Ich habe entschieden, in der Regel sehr schnell. Entscheidungsfreude galt stets als ein Merkmal, das man mir nachsagte. Mit einem schreienden Baby im Arm lief das plötzlich spürbar anders: Was hat es? Um ehrlich zu sein braucht es keine Intuition, sondern nur Geruchsempfinden, um das Thema volle Windel schnell zu erfassen. Und auch Hunger lässt sich rasch überprüfen. Aber wenn das Baby dann erstmals minutenlang wie am Spieß schreibt, obwohl alle “einfachen” Optionen ausgeschlossen werden können - dann geht Mama und Papa schon mal die Düse.
Ich weiß, dass es hier praktisch denselben Glaubenskrieg gibt wie im Wirtschaftsleben zwischen denen, die zu Bauchgefühl raten, und denen, die Recherche und Logik empfehlen. Grundsätzlich habe ich mich an die Lektüre meiner Managementbücher erinnert: Wo Erfahrung fehlt, braucht es möglichst sicheres Wissen. Wir sind es so angegangen, wie Fredmund Malik es Managern empfiehlt: “Die Intuition sollte nicht am Anfang eines Entscheidungsprozesses stehen, sondern an dessen Ende.” Sie ist sozusagen ein Prüfstein. Also haben wir uns ein extrem gutes Buch über Kinderkrankheiten angeschafft, einen Erste-Hilfe-Kurs intensiv durchgearbeitet und im Zweifel Freundinnen angerufen, die drei- beziehungsweise vierfache Mutter sind.
Weitere Folgen:
Folge 1: “Das Kind bekommt schon noch deine Frau, oder?”
Folge 2: Steinzeitfrauen haben auch nicht daheim auf ihren Mann und ein Stück vom Mammut gewartet
Folge 3: Homeoffice, Kinderbetreuung und Co: Schadet oder nutzt Corona der Gleichberechtigung?
Folge 4: Warum Gleichberechtigung der größte Hebel für mehr Wohlstand ist
Folge 5: Kulturwandel: Enola Holmes statt Pussy Galore
Folge 6: Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann
Folge 7: Wie Frauen zum Schweigen gebracht wurden und werden
Folge 8: Angriff auf das Ehegattensplitting
Folge 9: Wofür erfinden wir KI und Co, wenn Männer immer noch so wenig Elternzeit nehmen? (zum Weltfrauentag am 8.3.)
Folge 10: Vom Scheitern der Lohngleichheit (zum Equal Pay Day am 10.3.)
Folge 11: Warum wir die sinnstiftendste aller Tätigkeiten nicht mehr entwerten sollten
Folge 12: Vorständin mit Babybauch? Schnell zurücktreten!
Folge 13: Warum Männer glauben, dass man es nur mit 70-Stunden-Wochen nach oben schafft
Folge 14: Warum Kinderkriegen zu Gehaltsverlust führt
Folge 15: Viel zu tun für die “Generation Baerbock”: Wir brauchen dafür jedes Talent!
Folge 16: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (I): Feedback richtig geben
Folge 17: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (II): Es kann nicht alles immer Spaß machen
Folge 18: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (III): Prinzipien muss man sich leisten
Folge 19: Respekt vor der Familienarbeit wirkt besser als ein finanzieller Bonus
Folge 20: Warum uns Elternzeit auch im Job voranbringt (IV): Lernen, was Wertschätzung wirklich heißt
Zu dieser Kolumne:
Ich bin seit Oktober in Elternzeit und fühle mich gut dabei, weil ich nicht nur das Richtige tue für mein Kind und meine Frau. Sondern auch für mich. Ich entwickle mich als Mensch weiter, aber auch als arbeitendes Mitglied der Gesellschaft. Und zwar viel mehr, als wenn ich in den sechs Monaten einfach weiter so gearbeitet hätte. In dieser Kolumne möchte ich einen Beitrag leisten zu den großen Diskussionslinien rund um das Thema Gleichberechtigung, das mich seit Jahren beschäftigt. Und zwar ausdrücklich aus Sicht eines Mannes mit Unterstützung der wesentlichen Literatur und Forschung. Es gibt zu viele Meinungen und Klischees, die sich entweder gar nicht auf Fakten stützen oder auf die falschen, bestenfalls auf Halbwahrheiten.
Es gibt Probleme, die sind offensichtlich oder zumindest greifbar. Und andere, die schweben eher wie ein Elefant im Raum. Ich habe den sozialen Druck erlebt, wie der zweite Teil des Titel meiner Kolumne zeigt: “The Walking Dad - das Kind kriegt schon noch deine Frau, oder?” Das Statement ist 1:1 die Reaktion von jemandem auf meinen mehrmonatigen Elternzeit-Antrag. Es gab von Freunden, Bekannten und Kollegen viel Zuspruch dafür, aber auch Gegenwind. “The Walking Dad” kürte mich mein Schwager (per T-Shirt), weil sich unsere kleinen Tochter seit ihrer dritten Lebenswoche mehrere Stunden pro Tag im Tragetuch sichtbar wohl fühlt und wir rund 100 Kilometer pro Woche marschieren (während sie schläft).
Inspirierend 🚀✨
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3 JahreGratulation! Endlich ist sie angekommen die Wertschätzung und Anerkennung der gnadenlos generalistischen Ausbildung ohne Zertifikat in der Familienzeit #empathy #tqm #research #logistik #purpose #mediation #medizin #ernährung #eventmanagement #erwartungsmanagement #resilienz #recht #talentmanagement #bildung ... es ist ja nicht so, dass sich Frauen bisher komplett unbewusst für die Familienarbeit entschieden haben und damit eine Menge Karrierebremsen in Kauf nahmen. Ich freue mich so über die andere Hälfte der Menschheit, die den Gewinn in bisher eher bemitleideten, unattraktiven, unbezahlten Tätigkeiten entdeckt. Willkommen im Club! Happy to have you with us!