Warum gelingen Transformationen so selten?
Rüdiger Schäfer und Dr. Wolfgang Runge, 25.01.2023
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Warum gelingen Transformationen so selten? Rüdiger Schäfer und Dr. Wolfgang Runge, 25.01.2023

These:

Was in den 1980ern mit Studien zum kulturellen Wandel in Unternehmen begann (z.B. McKinsey „Cultural Change“), hat seither eine weitreichende Entwicklung in den Managementlehren genommen.

Kulturwandel in Unternehmen sollte einhergehen mit partizipativen Führungsmodellen. Später lag der Fokus auf dem Business Process Reengineering und in dessen Gefolge Ansätze des Lean Management. Die daraus resultierende Restrukturierungswelle hat dem Change Begriff eine deutlich negative Konnotation eingebracht, gingen Veränderungen in der Organisation doch allzu oft einher mit Bedrohungsszenarien, der Angst vor Jobverlust und einer Zukunft, die keine positiven Perspektiven zu versprechen vermag.

In den 2000ern setzte verstärkt die Digitalisierung aller Unternehmensbereiche ein, komplexe unternehmerische Entscheidungen wurden auf der Grundlage von Big Data Analysen möglich - wenn sie nicht gleich an Algorithmen delegiert wurden, die als Backbone einer globalisierenden Wirtschaft zu erheblichen Rationalisierungen führen soll(t)en. Im Zuge dieser Entwicklungen werden mehr und mehr Transformationen des Unternehmens oder von Unternehmensteilen adressiert. Art und Natur von Transformationen (in Abgrenzung zum Change) wollen wir nachvollziehen und ihre Wirkungsweise beleuchten.

Wir behaupten nun:

1.     Transformationen werden heute gerne als Leitmotiv für komplexe Veränderungsprozesse angeführt. (Digital, Mobilität, Gesundheit, …) Allerdings ist der Grad des Gelingens in Relation zum damit verbundenen Aufwand deutlich zu niedrig, oder es vergeht zu viel Zeit ohne sichtbare Fortschritte.

2.     Wir beobachten eine Überfrachtung der Organisation mit Transformationen und damit verbunden zu vielen Veränderungen gleichzeitig. Damit geht einher, dass man der Umsetzung bis zum messbaren Gelingen keine oder nicht genügend Zeit lässt. Ein Effekt der globalisierten Welt, in der alles Wissen und die meisten Produkte und Services jederzeit und unmittelbar verfügbar sind.

3.     Transformationen sollen Treiber der Entwicklung und des Wandels von Unternehmen und Organisationen sein, und letztlich deutliche und nachhaltige Effizienz- / Produktivitätssteigerungen oder Neuausrichtungen mit sich bringen. Dies gelingt allerdings nicht im erforderlichen Ausmaß, da die betroffenen Menschen nicht (hinreichend) an den Veränderungsprozessen beteiligt werden, bzw. erforderliche Veränderungen nicht tiefgreifend im Arbeitsverhalten von Einzelnen und Gruppen verankert werden.

4.     Soziologisch betrachtet kann man von einer Vernachlässigung der grundlegenden „sozialen Konstante“ im betrieblichen Zusammenleben sprechen. Während es einerseits unzählige Beispiele gelingender Kooperation und des sozialen Zusammenhaltes gerade auch in gesellschaftlichen Krisen gibt, werden die Stärken der Gemeinsamkeit und Team-Kreativität bei der Problemlösung und Innovation in Veränderungsprozessen in Unternehmen allzu oft vernachlässigt.

5.     Werden für tiefgreifende Transformationen beobachtbare Verhaltensänderungen benötigt, wird dieser Wandel blockiert, da die maßgeblichen Komponenten der Veränderung auf äußerliche Elemente und Aspekte gelegt wird. Zynisch gesagt: Wir brauchen uns nicht zu ändern, denn wir sind geschützt durch den Prozess. Und der Prozess wird immer effizienter und hilft uns, im Zustand der ‚Comfort Zone‘ zu verharren. Keine Anstrengung, keine Unlust, kein Ungleichgewicht ist erforderlich. Und ganz nebenbei entsteht auch kein Bedrohungsszenario oder wie auch immer gearteter Veränderungsdruck. – Wirklich?

Zur Überprüfung unserer Hypothesen werden wir wie folgt vorgehen:

In einem ersten Abschnitt versuchen wir eine Begriffsbestimmung. Welche Veränderungen bezeichnet man als ‚Transformationen‘ insbesondere in Abgrenzung zu ‚Change‘ oder ‚Wandel‘? Daran schließt ein kurzer historischer Abriss der jüngeren Change und Transformations-Geschichte an.

Im nächsten Abschnitt tauchen wir in die unternehmerische Praxis des Veränderungsmanagement ein, liefern Illustrationen von Gelingen und Nicht-Gelingen der Prozesse, und beleuchten die Rolle der Führungskräfte im Change.

Schließlich fragen wir, warum wir so oft von misslingenden Transformationen sprechen, um zum Schluss mit einer Neubewertung von ‚Gelingen‘ und ‚Misslingen‘ einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma zu formulieren

 

I.  Transformation – was bedeutet das eigentlich?

In einer ersten allgemeinen Definition kann man unter Transformation eine deutliche Veränderung einer grundlegenden Eigenschaft, zum Beispiel der Form verstehen.

Eine Transformation kann physisch wie psychisch stattfinden, sie findet sich in den Naturwissenschaften (von der Raupe zum Schmetterling) bis hin zu komplexen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, wie z.B. der Energieversorgung.

Wikipedia grenzt den Begriff der Transformation auf die Betriebswirtschaft ein und definiert:

„Unter Transformation versteht man den Prozess der Veränderung, vom aktuellen Zustand (IST) hin zu einem angestrebten Ziel-Zustand in der nahen Zukunft. Eine Transformation repräsentiert einen fundamentalen und dauerhaften Wandel.

Permanente Transformationsprozesse sind im heutigen Zeitalter für Unternehmen aufgrund der revolutionären Entwicklung (durch Digitalisierung, Globalisierung, etc.) und dem schnellen Wirtschaftswachstum unumgänglich. Unter anderem soll der Transformationsprozess dazu dienen, den Veränderungen des digitalen Zeitalters gerecht zu werden und sich immer wieder schnell wandelnden Märkten anpassen zu können.

Während die Wirtschaft als Ganzes schon immer einem gewissen Transformationsdrang unterlag, der sich vor allem in volkswirtschaftlichen Entwicklungen abzeichnete, lässt sich auf betriebswirtschaftlicher Ebene ein konkreter Handlungsrahmen für Veränderungsprozesse abbilden. Dieser betrifft neben einer gesamten Branche auch das Unternehmen an sich.“ (Wikipedia.de, Stand 10-2022)

Dass der Transformationsbegriff sehr umfassend ist, lässt sich bereits an der Vielzahl von Synonymen in verschiedenen Sinnzusammenhängen ablesen:

 

Gestaltwandel

o   Metamorphose (fachspr.): Veränderung oder Umwandlung von Form oder Zustand; angewandt in Zoologie, Botanik, Geologie. Aber auch in der Philosophie oder der Kunst

Umgestaltung

o   Umwandlung: Übergang in eine andere Form; Schach Ersetzung eines Bauern an der gegnerischen Grundlinie durch eine andere Figur

o   Verwandlung: die Veränderung, das Umformen von etwas, sowohl physisch als auch psychisch

Verwandlungsprozess

o   Wandlung: grundlegende Veränderung, Anderswerden; wie das rückgängig Machen eines Kaufvertrags oder die Wesensverwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi bei der Eucharistiefeier

o   Veränderung/Wandel: der Wechsel von einem (alten) Zustand in einen anderen (neuen); Übergang von einem Zustand zu einem anderen; auch Veränderung des Lebenswandels, der Lebensführung

o   Wechsel: das Austauschen von Personen oder Gegenständen; eine regelmäßige Aufeinanderfolge von Ereignissen; eine Veränderung in einem Zustand;

o   Änderung: Wechsel eines Zustandes

o   Abbildung: etwas bildlich, grafisch, durch optische oder elektronische Verfahren oder symbolisch Dargestelltes.

o   Überführung: Handlung, jemand oder etwas an einen anderen Ort zu bringen; Nachweis einer Verfehlung; Maßnahme, etwas zu etwas anderem zu machen

(Quelle: OpenThesaurus)

Zusammengefasst verstehen wir unter einer Transformation einen grundlegenden Wandel. In gesellschaftlicher Perspektive werden mit dem Begriff sprunghafte Veränderungen in der politischen, wirtschaftlichen oder technologischen Entwicklung beschrieben.

Dies lässt sich leicht an aktuellen Beispielen beleuchten: An erster Stelle wird immer wieder die „digitale Transformation“ genannt, ebenso die „energiepolitische Transformation“, die „Transformation der Mobilität“, mit Auswirkungen nicht nur auf die Automobilbranche, sondern z.B. auch auf die „Transformation der urbanen Lebensräume“.

Jede Transformation ist ein längerfristiger, oft mehrere Jahre andauernder Lern- und Suchprozess, der mit vielen Unsicherheiten verbunden ist. Er kommt erst dann zum Abschluss, wenn sich neue Systemstrukturen dauerhaft etabliert und stabilisiert haben.

Auslöser einer Transformation können neue technisch-wirtschaftliche Möglichkeiten als auch deutlich veränderte gesellschaftliche Bedürfnisse sein.  Transformationen finden immer in einem relevanten Kontext mit eindeutigen Treibern für die Veränderung statt. Dies lässt sich an folgendem Schaubild veranschaulichen:

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Übertragen wir dieses Modell auf die Unternehmensrealität, so lassen sich drei Schlüsselelemente festhalten:

 1.     Transformationen sind tiefgreifend und brauchen Zeit von der ersten Zieldiagnose bis zur erfolgreichen Umsetzung.

2.     Haupteinflussgröße der Transformation wird immer ein wesentlicher treibender Faktor entsprechend des Kontextes des Unternehmens sein. Diesen zu kennen und entsprechend mit einzuarbeiten ist eine wesentliche Erfolgskomponente.

3.     Eine Veränderungsdynamik wird nicht entstehen, ohne Berücksichtigung der sozio-kulturellen Rahmenbedingungen sowie (eher intern) des „Human Faktors“.  

Während sich die Transformation als übergeordnete Kategorie der Veränderung hin zu einem neuen Ziel(-zustand) verstehen lässt, können in einer Transformation multiple und komplexe Veränderungsprozesse ablaufen. Diese Veränderungsprozesse werden in der Regel projektmäßig organisiert und mit den Methoden des Change-Managements mehr oder weniger gut implementiert. Eine detailliertere Betrachtung der Change-Prozesse und Methoden nehmen wir weiter unten in Abschnitt II. vor.

Mit Blick auf die sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen der Veränderung und dem Human-Faktor verstehen wir die Veränderung, den Wandel oder Change, als grundlegende Verhaltensänderung, die erfolgskritisch für die Umsetzung der Veränderungsprozesse und für jede Transformation sind.

Mit diesen Begriffsbestimmungen wenden wir uns nun der historischen Entwicklung der Transformationen zu.


Change und Transformationen im Rückblick der letzten 40 (50) Jahre

Mit dem folgenden Abriss beanspruchen wir keine Vollständigkeit oder historisch exakte Beschreibung. Diese basiert auf eigenen Beobachtungen und Erfahrungen im Laufe eines langen Berufslebens in der HR- Praxis und in der Management-Beratung.

Nach vergangenen großen Epochen der industriellen Beherrschung und Optimierung der Produktionsmittel, war die Phase der Verfügbarkeit finanzieller Mittel prädominant um ein Business erfolgreich zu betreiben.

Bereits vor und während, aber insbesondere nach dem 2. Weltkrieg fand Innovation insbesondere technologisch statt, Und ohne die Verfügbarkeit der erforderlichen Investitionsmittel gab es keinen Weg, sein Unternehmen positiv und wettbewerbsstark für die Zukunft zu positionieren.

Ende der 50er und insbesondere in den 60er Jahren begann die große Phase des Marketings. Um Kunden wurde zwar auch schon früher geworben. Aber jetzt wurde mit wissenschaftlicher Akribie das Verhalten der Kunden analysiert, um ihre Wünsche und Bedürfnisse zu verstehen und das eigene Portfolio von Produkten und Services darauf auszurichten. Über das vertrieblich orientierte Direktmarketing hinaus entstanden neue Disziplinen wie das Produktmarketing oder das strategische Marketing, mit dem die Positionierung des Unternehmens auf dem / den Märkten bestimmt wurde.


Change Prozesse . . .

Bemühungen den Change Prozess zu gestalten, setzten in den 80er Jahren ein. Es wurde das Zeitalter der Human Resources als entscheidendem Wettbewerbsfaktor ausgerufen. War Personal bis dato vor allem eine Kostengröße und eine Ressource, die möglichst effizient eingesetzt werden musste, galten jetzt Kenntnisse und Erfahrungen sowie die Motivation von Mitarbeitern und Teams als Differenzierungsfaktor im Wettbewerb.

McKinsey läutete mit einer Studie zum ‚Cultural Change‘ eine Revolution ein. Mit dieser Studie betonten sie die zentrale Bedeutung der Unternehmenskultur, nicht nur für die Identität eines starken Unternehmens, sondern als neues, nicht ausgeschöpftes Asset für die Produktivität und wirtschaftliche Kraft des Unternehmens.

Die 90er waren einerseits gekennzeichnet durch Mega-Fusionen. Diese jedoch fast immer einhergehend mit tief schneidenden Restrukturierungsprozessen. Interessanterweise waren diese Restrukturierungsprozesse für die Autoren die erste intensivere Begegnung mit Change-Projekten, die aufgesetzt wurden, um die Mitarbeiter für die Veränderungen mitzunehmen. Was jedoch daraus resultierte, illustriert das folgende Schaubild:

 

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Nach unserer Erfahrung ist bis heute noch kein positiver Weg gefunden worden, einem Mitarbeiter die Bedrohungsszenarien einer Restrukturierung bis hin zum Jobverlust, und damit verbunden womöglich Existenzverlust, positiv nahezulegen. – Die praktische Arbeit in dieser Zeit hat gezeigt, wie außerordentlich wichtig es ist, offen zu kommunizieren (soweit es geht) und den Betroffenen entsprechend ihrer Bedürfnisse konkret zu helfen. Sei es bei einer neuen Jobsuche, Re-Qualifizierung oder anderer Maßnahmen.

Spannend ist, welche Rolle HR und Change-Berater in dieser Zeit zu spielen hatten. Kam man doch aus einer Phase der Betonung von „soft Skills“ und Fokus auf den Menschen im Unternehmen, und befand sich im Übergang zu einer Phase der „härteren Skills“. War man bisher als Organisation dicht an den Märkten und damit dicht am Kunden aufgestellt, kam es nun zu einer Rückbesinnung auf die Optimierung und Effizienzsteigerung. Alles wurde ‚lean‘.

 

Ende der 90er und Anfang der 2000er hatten Figuren wie Lopez bei VW ihre große Zeit. Man kann vielleicht sagen, dass der Fokus jetzt fast ausschließlich auf der Optimierung der Mittel lag, allerorten wurden mögliche Kostensenkungen gesucht, welches Potenzial der Mensch mit seinem Wissen und seiner Kreativität freisetzen könnte, war in dieser Epoche eher unerheblich.

Parallel dazu begann zudem ein neuer IT Hype, der die Grundlage für die weiteren Entwicklungen bis zur heutigen Digitalisierungswelle legte. Die technologischen Entwicklungen sollten das Zusammengehen von Hardware und Software ermöglichen, gefolgt von der Integration von Text, Ton und Bild, der Miniaturisierung von Devices, der Entstehung von Netzwerken, dem Ausbau des Internet, usw. Der Hype endete bekanntlich im Jahr 2000 in einer nicht unerheblichen Wirtschaftskrise, nachdem die ‚Dotcom Blase‘ geplatzt war, und viele (Klein-)Anleger erhebliche Vermögensverluste erlitten haben.

 

Aus Change wird Transformation….

Web 2.0 und die Entstehung der sog. ‚sozialen Medien‘ haben sodann den Schub zur Digitalisierung und damit die digitale Transformation befeuert. Das bereits in der ‚Marketing-Epoche‘ entwickelte Knowhow der Datenauswertung wurde mit den neuen digitalen Mitteln zu ‚Big Data‘ Analysen erweitert, deren Möglichkeiten quasi unerschöpflich erschienen. Die weltweite soziale Vernetzung ging einher mit einer weltweiten Nutzung von immer feiner ausgearbeiteten Kundenprofilen, mit bisher nie da gewesenen Möglichkeiten der Kundenansprache. (Bedenke: Facebook gibt es erst seit 2010!)

Es gibt nahezu keinen administrativen Bereich oder Geschäftsprozess im b-2-b wie im b-2-c, der nicht von der Digitalisierung betroffen wäre. Digital macht die Welt klein. Wissen, Information, jegliches Knowhow wird zur Commodity und ist immer und überall verfügbar.

Die Welt ging 10 Jahre lang durch eine Phase der Globalisierung verbunden mit enormen Know-how Transfers. All dies mit dem Ziel bessere Unternehmen aufzubauen, eine bessere, prosperierende Welt des Wohlstands zu entwickeln. Auf welche Weise diese nun globale Welt fragil und unbeständig gebaut ist, mussten wir alle in den letzten Jahren der Corona-Krise lernen. Und wie angreifbar uns die moderne Technologie gleichzeitig macht, führen uns (nicht nur) die Russen mit regelmäßigen Cyber-Attacken vor. – Letztlich sehen wir im Lichte dieser neueren globalen Entwicklungen durchaus eine gewisse Rückentwicklung der globalen Prozesse und Lieferketten.

In der Binnenperspektive müssen wir eine Zerklüftung und Desegregation wahrnehmen, die derzeit laufende gesellschaftliche Transformation wird bei weitem nicht von allen als positive Entwicklung wahrgenommen.

In den Unternehmen kann man derzeit so etwas wie eine „Und-und-Phase“ beobachten. Menschen sollen zugleich hochindividuell und kompetent (im Home-Office) arbeiten. Gleichzeitig werden Elemente des New Work propagiert, in denen sich durchaus Elemente der „Human Resource-Epoche“ wiederfinden, in denen sich neue Formen des Teamwork an den neuen sozio-kulturellen Anforderungen einer stärker individualisierten (post-)modernen Gesellschaft ausrichten. Zugleich sollen damit wohl Defizite in der Umsetzung von Change-Prozessen ausgeglichen werden.

Doch tauchen wir zunächst tiefer in die betriebliche Praxis von Transformationen und deren Umsetzung ein, bevor wir ihr Gelingen oder Nicht-Gelingen analysieren.

 

II.         Change und Transformationen in der betrieblichen Praxis

Greifen wir den oben entwickelten Gedanken über die Notwendigkeit gesellschaftlicher Transformation auf und übertragen ihn auf die betriebliche Praxis. Hier spielen Change Prozesse als Elemente komplexer Transformationen eine zentrale Rolle. Und auch dabei gilt der Satz, dass die damit verbundenen Projekte nicht immer als positive Eingriffe und Chancen durch die Betroffenen wahrgenommen werden. Und trotzdem haben wir keine Alternative, als es immer wieder zu versuchen, auch wenn der Theorie nach 70% aller Change Projekte scheitern und nur 30% gelingen. Was ist da dran? Wie werden diese Daten erhoben? Schauen wir in die Praxis.

 

Ein „fiktives“ Transformationsbeispiel zum Thema „Agilität“

In den vergangenen Jahren haben sich aus der Software- Industrie kommend, agile Methoden und Ansätze verbreitet. Die Arbeitsweisen und Organisationsformen werden dazu auf andere Industrien übertragen und angewendet.

Ein deutsches Unternehmen steht vor den Herausforderungen eines überalterten Personalstamms, hohen regulativen Anforderungen, Beharrungsvermögen und Trägheit der Organisation, Erweiterung des Geschäfts durch Übernahmen und hohen technischen Anforderungen durch eine veraltete IT Infrastruktur. Eine komplexe Herausforderung!

Die Antworten auf die Herausforderungen bestehen u. a. darin, eine IT-Strategie zu entwickeln und in verschiedene Workstreams zu übersetzen und die Organisation in Richtung Agilität zu entwickeln. Übersetzt in den Alltag bedeutet das, dass Mitarbeiter „empowert“ werden, mehr Entscheidungen zu übernehmen und sich selbst zu organisieren. Gleichzeitig bedeutet es die Abschaffung des Mittelmanagements d.h. die Ebene der fachlichen Teamleiter wird mit Projektbeginn eingespart. Kostenseitig ein erster Erfolg. Im Alltag ergeben sich dabei Spannungen, wie z.B. bei abteilungsübergreifenden Prozessen, die nicht gelöst werden, weil außerhalb der Abteilung die „alte“ Hierarchie im Stablinien-Modell einschließlich der damit verbundenen Eingruppierungen und Karrieremodelle überlebt haben. Die Spannung zwischen der Anforderung an ein Team sich selbst zu organisieren und der erfahrenen Ohnmacht an der Abteilungsgrenze, führt zu Stress. Überforderung und einem hohen Krankenstand.

Das fiktive Beispiel zeigt bereits, wie bedeutsam die Beantwortung der folgenden Fragen ist: War dieses Projekt erfolgreich? Wie definiert man den Erfolg eines Change Projekts? Wie wird auf die Wechselwirkungen reagiert? Welche Rolle spielen die betriebswirtschaftlichen Faktoren? Wann ist ein Change Projekt beendet?

 

Ein Beispiel für eine gelungene Transformationen

Die Suche nach Beispielen für gelungenen Transformationen führt mich u.a. zu dem Autor Frederic Laloux, der in seinem Buch „Reinventing Organizations“ (München 2015) mit dem Untertitel „Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit“ Beispiele für Unternehmen in Europa gefunden hat, die sich erfolgreich auf den Weg gemacht haben, eine evolutionäre Organisation zu werden.

Eine zweite Spur führt mich zum Unternehmen Netflix und dem Transformationsprojekt, das verräterischer weise „Keine Regeln“ (Berlin 2020) heißt, obwohl die Regeln vorhanden, aber ungewöhnlich sind. In diesem Buch wird die Entwicklung der Unternehmenskultur von 2001 bis heute vom CEO und Gründer Reed Hastings und der Professorin Erin Meyer nachgezeichnet. Der Rückblick ist einerseits faszinierend, weil er strukturiert und planvoll erscheint. Ob das Unternehmen dabei einem Masterplan oder einer vagen Idee von „high Performance“ gefolgt ist, müssen sie als Leser selbst entscheiden. Fakt ist, dass einige besondere Faktoren aus unserer Sicht bei diesem Beispiel eine wesentliche Rolle für die Transformation spielen.

Dabei ist die Stabilität in Person des CEO, der sich als kulturstiftend und gestaltend begreift, als erster Faktor zu nennen. Diese Stabilität über eine normale Amtszeit von mehr als 3-5 Jahren ist ungewöhnlich. Der zweite Faktor neben dieser Konstante ist die Tatsache, dass der CEO täglich die Unternehmenskultur als seine Aufgabe versteht, die sich über die Zeit, zwar mit Hochs und Tiefs, aber in eine Richtung bewegt. Der dritte Faktor ist die kritische Reflektion, die immer wieder eine Rolle spielt, weil Fehler im Alltag gemacht werden. Der CEO hört zu und setzt sich mit verschiedenen Personen im Dialog kritisch auseinander, um dann zu korrigieren. Ich denke, dieses Transformationsbeispiel ist einen Blick wert.


Warum scheitern Transformationen?

Bevor wir uns den Gründen des Scheiterns zu wenden, greifen wir den oben entwickelten Gedanken über die Arten der Veränderungsprozesse auf. Der inflationäre Gebrauch des Begriffs erfordert zunächst einen kurzen Halt bei dem Thema der Typologien von Change Projekten:

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Ob Unternehmenskauf, Turnaround oder die Einführung eines neuen Workforce-Managementsystems (WFM) stellen Verantwortliche, Berater und Betroffene vor unterschiedliche Herausforderungen. Ein Faktor, der uns dabei besonders wichtig ist, ist die Auseinandersetzung mit der Unternehmenskultur und dem Unternehmensgedächtnis, in dem sich individuelle Erfahrungen sammeln, speichern und verdichten. Jede Veränderung bedarf deshalb einer besonderen Zusammenstellung der Werkzeuge und der Prozessgestaltung.

Eine besondere Rolle spielt der betriebswirtschaftliche Aspekt der Change Projekte. Ich habe Zweifel, wie konsequent Firmen relevante Indikatoren erheben und welche Modelle dabei genutzt werden. Gehen Zahlen ,wie z.B. die Krankenquote mit ins Projekt ein, oder werden Kosten aus- und eingeblendet, so wie es die Story oder die Situation erfordert? Wenn diese Zahlen erhoben werden, können sie eine Erfolgsgeschichte beschreiben oder aber eine toxische Wirkung entfalten, die nicht ohne Folgen für die Karriere und weitere Entwicklung von verantwortlichen Führungskräften bleibt.

Es gibt also mehr als einen guten Grund, Intransparenz nach innen und nach außen zu wahren und Nebelkerzen bei Bedarf einzusetzen. Wieviel Millionen EURO eine Discounterkette in ein SAP Projekte investiert hat, bevor das Projekt gestoppt worden ist, ist nicht bekannt. Der Mut, so ein kostspieliges und prestigeträchtiges Projekt zu stoppen, ist aus meiner Sicht höher zu bewerten, als der, ein Projekt um jeden Preis umzusetzen.

Neben dem Typ und den betriebswirtschaftlichen Aspekten bietet die Change-Literatur neben den Versprechen und den Werkzeugen auch Überblicke über mögliche Fehlerquellen, die verschiedene Autoren auf einer Metaebene ausgemacht haben, warum Projekte bis heute in großer Anzahl scheitern können. Neben der gemeinsamen Entwicklung und Verpflichtung auf ein gemeinsames Ziel, drehten sich die Beobachtungen immer wieder um das Thema Führung und Kommunikation. Allein Kotter baut die Brücke zur Unternehmenskultur.

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Zum einen scheint es einen Konsens darüber zu geben, welche Faktoren eine kritische Rolle für den Erfolg von Projekten spielen. Ist diese Übersicht der Faktoren und die hohe Übereinstimmung der verschiedenen Autoren umfassend? Sind alle Aspekte erfasst? Beim erneuten Durchdenken fällt ein Aspekt auf, der in dieser Übersicht fehlt. Welche Wechselwirkungen haben die verschiedenen Change Prozesse und Projekte innerhalb des Unternehmens? Die Spezialisierung in einer Abteilung oder einer Business Unit verbunden mit spezifischen Zielen führen zu einer Entkoppelung. Die erforderliche Zusammenarbeit auf ein übergeordnetes Ziel erfordert Aufmerksamkeit der verantwortlichen Manager und kann erhebliche psychologische, prozessuale und betriebswirtschaftliche Auswirkungen haben. Im schlimmsten Fall stehen Abteilungs- oder individuelle Ziele sogar in Konkurrenz zueinander. Für Mitarbeiter oder Führungskräfte ist klar, wie in einem solchen Fall entschieden wird, wenn die Ziele nicht angepasst werden.

In den Aufzählungen spielt das Verhalten der Führungskräfte eine zentrale Rolle, die wir abschließend kurz beleuchten möchten. Welches Konzept von Menschen und der Organisation haben Manager? Als Personaler arbeite ich (W. Runge) mit beiden Elementen tagtäglich. Mein Menschenbild prägt dabei nicht nur die Zusammenarbeit mit Kollegen, sondern auch besonders mit dem Betriebsrat. Trotz gemeinsamer Unternehmensgrundsätze bleibt viel Raum bei der Operationalisierung. Begegnet man sich auf der vielbeschworenen Augenhöhe, bei der der Mitarbeiter eine aktive Rolle spielt, oder nimmt man das Gegenüber als lästigen Störfaktor war? Ignoriert man das kollektive Gedächtnis der Organisation oder ist das ein relevante Größe in der Art, wie man Veränderungen gestaltet? In der Betriebsratsarbeit spielen beide Themen eine zentrale Rolle. Wie gleichen wir die Instabilität der Veränderung durch Stabilität in anderen Bereichen so aus, dass sich Mitarbeiter darauf einlassen können?

O-Töne aus Betrieben der vergangenen 3 Jahre über Change-Projekte :

„Die Berater sind ein paar Wochen wieder weg.“

„Die Berater kommen in 2 Jahren wieder und verkaufen denselben Ansatz noch einmal.“

„Meine Führungskräfte wissen gar nicht, was wir machen. Sie ignorieren die Komplexität und ich erfahre dafür, dass ich das gewachsene System am Leben erhalte, damit die Ware rausgeht, keine Anerkennung.“

„Der Zeitplan wird nicht eingehalten und am Ende sind wir mehr statt weniger Leute.“

„Ich fühle mich schlecht? Habe ich bisher einen schlechten Job gemacht?“

„Die Mannschaft läuft am Limit, um Systeme und Prozesse am Lauf zu halten. Ressourcen für die Energie sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, fehlt.“

„Wir haben zuviel investiert, um noch umkehren zu können!“

…..

 

Was lässt sich daraus lernen?

1.     Die Analyse der Unternehmenskultur und des Unternehmensgedächtnisses sind das Bühnenbild vor dem das Veränderungsprojekt inszeniert wird.

2.     Das Drehbuch ist komplex und hat viele Kapitel, die aufeinander abgestimmt sein sollten.

3.     Die Akteure der Führungsmannschaft leben Ihre Rollen mit Leib und Seele. Neben demselben Verständnis des Ziels geht es auch um das Abgleichen des Menschenbilds, um ein gemeinsames Fundament zu legen.

4.     Die Ziele und die Kategorie des Veränderungsprozesses sind festzulegen. Sie sind für den Scope und die Vorgehensweise relevant.

Die Umkehrung der Reihenfolge erfolgt hier nicht zufällig. Ab hier greift das umfangreiche Change Handwerkszeug. Wir kennen die Faktoren, die Fehlerquellen und haben umfangreiche Handwerkskästen mit Werkzeugen. Am Handwerk liegt es nicht, oder?

 

Fazit mit Blick auf die Rolle der Führungskräfte

Es gibt keine Alternative auf die Veränderungen von innen oder außen als Verantwortlicher zu reagieren und sich und das Unternehmen auf neuen Herausforderungen hin anzupassen, als Veränderungen zu bewerten, zu planen und anzugehen. Eine natürliche Skepsis gegenüber einer Veränderung und eine Abwehrreaktion sind menschlich. Es gibt keine „Silver Bullet“ bei der Vielzahl der Arten von Change-Projekten. Die Vorschläge, die sich aus diesem Artikel ergeben, sind nicht komplexitätsreduzierend, sondern erhöhend; zumindest muss immer wieder eine Wahl für das weitere Vorgehen getroffen werden. Es gibt keine einfache Lösung! Es geht um Ziele, Dialoge, Zweifel, Emotionen, Fehler, Korrekturen. Es geht um die Haltung und den Respekt vor der Aufgabe, Mitarbeiter mit auf eine Reise zu nehmen.

 

III.       Zusammenfassung und Ausblick

Fragen wir schließlich, warum wir so oft von misslingenden Transformationen sprechen, um zum Schluss mit einer Neubewertung von Gelingen und Misslingen einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma zu formulieren.

Wenn wir von misslungenen Transformationen oder Change-Prozessen in Unternehmen sprechen, dann geschieht dies offensichtlich ausfolgenden Gründen:

o   Jegliche Veränderung wird dem  Primat der Wirtschaftlichkeit unterworfen. Letztlich soll der Erfolg im Unternehmensergebnis (nachhaltig) sichtbar werden. Ob dabei immer objektive quantitative Kriterien herangezogen werden, lässt sich bezweifeln.

o   In einer naturwissenschaftlich / ökonomisch geprägten Sicht führt eine kritische Analyse allzu leicht zu einer Negativitätsverzerrung. Die Kritik fokussiert zu stark auf Elemente des Nicht-Gelingens oder des Misserfolges.

o   Die von uns oben aufgezeigten Elemente des Human Faktors, der Unternehmenskultur oder des Unternehmensgedächtnis werden nicht hinreichend als Erfolgsfaktoren beachtet. Hier bedarf es einer Anpassung der Management-Scorecards hin zu qualitativen Elementen, in denen es nicht nur um Messbarkeit sondern um Beurteilung und Bewertung geht. Die Sozialwissenschaften führen uns deren Geltung in der Praxis vor.

o   Das Change-Werkzeug ist in verschiedenen Varianten vorhanden. Leider ist immer wieder zu beobachten, dass die Führung der entsprechenden Projekte „im methodenfreien Raum“ arbeitet, d.h. die Einsichten und Empfehlungen zum Change werden vernachlässigt, oder es werden Abkürzungen zwischen Prozessschritten vorgenommen, die unweigerlich zu Misserfolg führen müssen. Beliebtes Beispiel ist der Sprung zur Implementierung unmittelbar nach Zieldefinition. Ohne Betrachtung des ist-Zustandes und der vorzunehmenden Veränderungsschritte.

Erfolgreiche Veränderung gelingt nur in der Verbindung beider Hemisphären. Auf der einen Seite ist die Erreichung von „Hard Facts“ erforderlich. Ohne die konkrete Messung von Fortschritten und Ergebnissen blieben die Prozesse offen mit dem Risiko als ungesteuerte und unkontrollierte Prozesse weiter zu laufen und kontraproduktiv im wahrsten Sinne des Wortes zu werden.

Andererseits geht es nicht mehr nur darum, Menschen in der Veränderung mitzunehmen, und dafür relevante „Soft Facts“ als Erfolgs-Indikatoren zu bilden. Es geht vielmehr um das fundamentale Verständnis, das ein Wandel grundlegend nur durch und mit den Menschen erfolgen kann. Dies mag in Zeiten des Hypes um k.I. und dem Fokus auf technologischen Wandel vielleicht etwas merkwürdig klingen. Wir nehmen die wissenschaftlichen Einsichten zum Unterschied der künstlichen (und technologischen) Intelligenz zum menschlichen Denken und Handeln ernst.

Im Rückblick auf unseren kurzen historischen Abriss mag man sagen, es sind weder die Finanzen noch die Maschinen, die ein Unternehmen ausmachen. Es sind die Menschen, und da Menschen grundlegend soziale Wesen sind, ihr Zusammenspiel und ihre Interaktionen.

Gewiss, Menschen und Gesellschaft verändern sich, und damit auch die Gestalt von Unternehmen. So zeigt sich dieser Wandel in der Suche nach neuen Arbeitsformen ebenso wie in neuartig formulierten Ambitionen der jüngeren Generationen für Ihre berufliche Perspektiven.

In diesem Sinne plädieren wir dafür, den Blick zu erweitern und sozusagen „beide Augen zu öffnen“. Dann eröffnet sich nicht nur die Chance für einen erfolgreich umgesetzten Wandel, sondern auch dafür, Erfolg als konkrete, positiv wahrgenommene Veränderung im Verhalten der Beteiligten wahrzunehmen.

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