Wer Projekte führt, kann auch eine Abteilung leiten – 4. von 10 Irrtümern über Führung
…ist immer noch ein weitverbreitetes Missverständnis. Häufig zu besichtigen in Führungs-Kräfte- Entwicklungsprogrammen, wo es zum Standard gehört, „erst einmal“ eine Projektleitung zu übernehmen, bevor dann die „richtige“ Führungsverantwortung in der Hierarchie beginnt.
Konzepte, die in der Linie erfolgreich und bewährt sind, lassen sich nicht ohne Weiteres auf die Führung im Projekt übertragen, denn Projektleitung unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der Führung in dauerhaften Linienfunktionen.
Die spezifischen Rahmenbedingungen in Projekten sind andere:
- Inhaltliche und zeitliche Begrenzung
Das Projektteam startet zu einem bestimmten Zeitpunkt und arbeitet per definitionem zeitlich begrenzt an einer konkreten Aufgabe. Die Din 66901 (ja die gibt es für Projektmanagement!) definiert ein Projekt als „ein Vorhaben, das im Wesentlichen durch Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, zum Beispiel Zielvorgabe, zeitliche, finanzielle, personelle und andere Begrenzungen, Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben und projektspezifische Organisation“.
Die konkreten Projektziele wie Inhalte, Kosten und Termin erfordern bei hoher Transparenz eine besondere Ergebnisorientierung. In der Linienorganisation kann man schlechte Phasen durch gute ausgleichen. Ein Projekt, das nicht gelingt, in kaum mehr „zu retten“.
2. Organisationsübergreifende Zusammensetzung
Das Projektteam ist gemäß der benötigten Fach-Expertise zusammengesetzt. Oft kommen die Mitglieder aus verschiedenen Orten und Abteilungen der Organisation. Die Zusammensetzung des Projektteams spiegelt die „gelebte Matrixorganisation“ wider. Teilweise treten noch unterschiedliche Hierarchien im Projektteam auf. Dann sitzen dort Sachbearbeiter neben Entwicklern, der Abteilungsleiter der Buchhaltung sitzt neben dem persönlichen Referenten des Marketingvorstandes.
Als Projektkapitän sind sie also mit einer bunt gemischten Mannschaft unterwegs. Die Mitglieder im Projektteam haben zumeist einen unterschiedlichen fachlichen und unternehmenskulturellen Hintergrund. Zeit, sich in der Tagesarbeit kennenzulernen, um auf dieser Basis mit den individuellen Unterschieden professionell umzugehen, ist im Projektkontext knapp, denn enge Zeitvorgaben sind die Regel.
Bereits im Unternehmen bestehende Differenzen zwischen den Organisationseinheiten treffen im Projekt noch direkter aufeinander. Dahinterstehende Interessen- und Machtkonflikte schaffen ein höheres Konfliktpotenzial als in der parallelen Linienorganisation.
Da Projektarbeit besonders stark als Teamarbeit abläuft, muss jeder Einzelne verstärkt über den Tellerrand blicken und sich für das Gesamtergebnis noch verantwortlicher fühlen als in klassischen Hierarchien. In der Linie gibt es Stellenbeschreibungen, Regeln und Prozessanweisungen, welche die Schnittstellen, Verantwortlichkeiten und über 70 Prozent der Fragen des Tagesgeschäfts klären. Im Projekt fehlen diese Erfahrungen. Daher ist ein Projektleiter ständig gefordert, aktive Schnittstellenklärungen einzuleiten, schließlich gibt es für Dinge, die eine Organisation zum ersten Mal macht, keine festen Regeln und Prozessanweisungen.
3. Teilzeitbeschäftigung im Projekt
Projekt- Teammitglieder arbeiten meist parallel in weiteren Projekten und/oder in der Linienorganisation. So kann es zu einem Kampf um Ressourcen kommen, weil die klugen Köpfe nicht nur im Projekt, sondern auch im Tagesgeschäft gebraucht werden. Die Besetzung des Projektteams ist natürlich nicht immer konstant. Je nach Projektphase werden Spezialisten für bestimmte Abschnitte zeitweise eingebunden, um das Projekt nach erfüllter Aufgabe wieder zu verlassen.
4. Führen nach oben und unten
Der Projektmanager nimmt wechselseitig und aktivierend Einfluss sowohl auf die Entscheidungsgremien des Projekts als auch auf die Spezialisten im Projektteam. Er muss nach oben führen und dafür sorgen, vom Auftraggeber die erforderlichen Entscheidungen zu bekommen. Dazu bedarf es politischen Gespürs, intensiver Arbeit im Vorfeld (Stakeholder-Management) und effektiver Mikropolitik. Auf der anderen Seite wirkt der Projektleiter nach unten; er muss das Team lenken und die Spezialisten koordinieren. Das ist ein Balanceakt zwischen manchmal gegenläufigen Interessen.
5. Lateral Führen
Projektmanager sind in der Regel nicht mit den gleichen disziplinarischen Führungsinstrumenten ausgestattet wie die Führungskräfte in der Hierarchie. Sie führen lateral also sowohl seitlich als Kollege als auch zeitlich und inhaltlich begrenzt auf die Projektaufgabe. Insbesondere das Fehlen von formaler hierarchischer Macht wird von unerfahrenen Projektleitern häufig beklagt. Am Ende sei die Hierarchie immer mächtiger, weil sie Belohnungen verteilen und Sanktionen verhängen könne. Komme es zu strittigen Situationen, unterliege man in den meisten Fällen.
Projekte führt man prinzipiell auf Zeit, während die Führung in der Linie auf Dauer angelegt ist. Dies erfordert ein unterschiedliches Repertoire an Führungsinstrumenten und persönlichem Führungsverhalten. Beide „Disziplinen“ sollen voneinander lernen, wenn z.B. Teamentwicklungsinstrumente in der Projektarbeit genutzt und Methoden des projektorientierten Arbeitens in der Abteilung eingesetzt werden. Aber Projekte zu führen ist nicht der kleine Bruder der hierarchischen Führung und schon gar keine Durchgangsstation…
Dieser Beitrag ist Teil der Serie 10 Irrtümer über Führung. Ich schaue dort hinter die gängigen Mythen über das Leben und Arbeiten in der Managementetage. Denn entgegen der aktuellen Bestsellerliteratur, die vor allem auf das „Bashing“ setzt, glaube ich nicht, dass nur Karrieristen, Machtmenschen und andere »Irre« zur Führung geboren sind. Ganz entscheidend ist die richtige Haltung: Dann wird Einfluss wichtiger als Macht und eine Führungskraft kann wirkungsvoll tätig sein. Ein Überblick über alle Beiträge ist hier zu finden…