Wie entkommen wir dem Verkehrskollaps?

Wie entkommen wir dem Verkehrskollaps?

Der ARD-Film “Mit Vollgas in den Verkehrskollaps” wird aktuell in Publikumsmedien und sozialen Netzwerken gleichermaßen stark diskutiert. Die Reportage zeigt anschaulich, wie es um die aktuelle Verkehrssituation in deutschen Großstädten bestellt ist. Aber wie können wir den Kollaps verhindern?

Der Einstieg des Films ist gut gewählt, fast jeder wird ähnliche Szene kennen - die Bahn fällt unangekündigt aus oder ist überfüllt, die Einfahrten in die Innenstadt sind verstopft, Autos stehen kilometerlang im Stau. “Der tägliche Wahnsinn”, titelt die Frankfurter Rundschau folgerichtig. Im Laufe der Reportage nehmen die Journalisten Heiner Hoffmann und Achim Reinhardt das Zusammenspiel neuer Mobilitätsformen genauer unter die Lupe. Das Ergebnis ist ernüchternd: 76 % der Nutzer von Free-Float-Carsharing-Angeboten gab an, dass sie ohne das Carsharing-Angebot ein öffentliches Verkehrsmittel oder das Fahrrad genutzt hätten. Unabhängig davon, dass der Beitrag mit seinem Ergebnis stark verallgemeinert und einige Carsharing-Angebote überhaupt nicht berücksichtigt (bspw. stationsbasiertes Carsharing), ist dies doch eine wichtige Frage, die diskutiert werden muss: Warum weichen ÖPNV-Fahrgäste auf Carsharing- oder Ridesharing-Angebote aus?

Sorgt Carsharing für mehr Verkehr?

Man kann das Fazit der Reportage so verstehen, dass neue Mobilitätsformen wie Car- und Ridesharing ihr eigentliches Ziel der Verkehrsentlastung verfehlen und - im Gegenteil - tatsächlich zu einem höheren Verkehrsaufkommen führen. Leider wird nur am Rande das Wachstum deutscher Großstädte und deren Vororte thematisiert sowie Versäumnisse im Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur. Überhaupt nicht zur Sprache gebracht werden beispielsweise der boomende Onlinehandel und das daraus resultierende steigende Verkehrsaufkommen oder auch der starke Wohnraummangel in Großstädten, der das Wachstum der Vororte und den Pendelverkehr in dieser Form begünstigen. Allein diese Beispiele zeigen die Komplexität der Debatte.


Neue Mobilitätsformen sollten gemeinsam das Ziel verfolgen das Verkehrsaufkommen zu reduzieren und öffentlichen Raum lebenswerter zu machen. Dabei kann Carsharing einen wichtigen Beitrag zur Entlastung leisten, indem es ein ergänzendes Angebot zum öffentlichen Nahverkehr bietet. Studien haben bereits gezeigt, dass Carsharing eine entlastende Wirkung haben kann und Personen dazu bewegen ihr Auto aufzugeben.

Mobilität spielt eine wichtige Rolle im Alltag vieler Menschen. In der Studie des ADAC und des Zukunftsinstituts heißt es:

“Mobilität [...] ist nicht nur ein Grundbedürfnis, sondern eine zentrale Anforderung moderner Gesellschaften. Das Ergebnis: Die Welt im 21. Jahrhundert ist nicht nur durch einen weiter wachsenden Mobilitätsbedarf gekennzeichnet, sondern vor allem durch eine zunehmende Vielfalt an Mobilitätsformen.”

*Quelle: ADAC/Zukunftsinstitut: Die Evolution der Mobilität, München (2017)

Der Zuwachs an Mobilitätsformen führt zu einem breiteren Angebot für die Bevölkerung, was grundsätzlich gut ist. So sind alle Anbieter gefordert ihre Dienstleistungen ständig zu verbessern und an aktuelle Entwicklungen anzupassen. Ein wesentliches Augenmerk wird sicherlich auf der Handhabung der Dienstleistung liegen. So geben im Film die Befragten mehrheitlich Convenience, also eine möglichst einfache, flexible und intuitive Handhabung und einfache Erreichbarkeit, als primäres Entscheidungskriterium für die Nutzung eines Services an. Wie Convenience zum Gamechanger in der Mobilitätsdebatte werden kann, wird in der Reportage durch die Befragung von Uber-Nutzern in San Francisco eindrucksvoll gezeigt.

Dies deckt sich auch mit unseren Erfahrungen bei Drivy, dass das Vereinfachen von Prozessen innerhalb des Services einen direkten Einfluss über die Nachfrage haben kann. So ist beispielsweise die Nutzung von Drivy in Berlin seit Einführung unserer Drivy-Open-Technologie, die das Öffnen des Autos mit dem Smartphone ermöglicht, stark gestiegen. Verantwortliche bei Bus und Bahn müssen sich daher die Frage gefallen lassen, wie sie ihre digitalen Angebote an die Bedürfnisse einer digitalen und urbanen Zielgruppe anpassen, um wieder an Attraktivität gegenüber anderen Mobilitätsformen zu gewinnen.


Carsharing als Chance aus dem Verkehrskollaps

Massenmobilität muss aus meiner Sicht in erster Linie zwei Kriterien erfüllen: Sie muss bezahlbar und zuverlässig sein. Carsharing als Marketingtool der Automobilhersteller abzustempeln und als Einstiegsdroge zu titulieren wird der aktuellen komplexen Problematik nicht gerecht. Vielmehr müssen Städte, Kommunen, ÖPNV und Mobilitätsanbieter gemeinsam den Menschen ein multimodales Mobilitätsangebot schaffen, das ihre Bedürfnisse nach bequemer individueller Mobilität nachhaltig abdeckt, um Städte endlich wieder lebenswerter zu machen.


Unser Ziel bei Drivy ist die effizientere Auslastung und gemeinsame Nutzung von Fahrzeugen, um Parkraum und Verkehr zu entlasten in Anwendungsfällen, die mit dem ÖPNV kaum oder nur unzureichend abgedeckt sind. Wir müssen Menschen gute und attraktive Alternativen bieten und wir müssen sie zur Diskussion stellen - von den Nutzern bewerten lassen, um sie gemeinsam mit ihnen besser machen zu können. Das ist ein Ansatz, den wir bei Drivy verfolgen und zu dem wir jeden einladen, daran teilzunehmen und mit uns in die kritische Diskussion zu gehen. “Mit Vollgas in den Verkehrskollaps” macht die aktuellen Herausforderungen und die dringende Einleitung einer Mobilitätswende mehr als deutlich. Es ist wichtig, dass wir uns kritisch damit auseinandersetzen und Lösungen finden, um einen Verkehrskollaps abzuwenden.

Ein “weiter so” kann und darf es nicht geben.



Heiko Barnerßoi

what are we missing in future mobility???

6 Jahre

Da muss ich DIr ein bisschen widersprechen, Nils. Die ersten 10 Minuten sind voll von Kritik am ÖPNV und dem Versäumnis Ausbau zu betreiben etc.. Mehrfach kommt der Verweis auf das Wachstum der Städte als Ursache für mehr Verkehr. Dass aber vor allem one-way Angebote nicht unbedingt direkt zur Reduktion von Autofahrten beitragen bzw. aktuell gar nicht ist genauso richtig wie kein Geheimnis. Mehr als 60% der FreeFloat Kunden haben ein eigenes Fahrzeug und die Studien belegen, dass stationäres Carsharing auch direkt entlastende Effekte hat - aber eben auch nur stationäres. Was mir fehlt ist die Lösung, denn was alle Studien und die Praxis zeigen, ist dass es ohne guten, flächendeckenden (und dann gerne auch mal ausgebauten und modernen) ÖPNV gar kein nachhaltiges Carsharing gibt bzw. geben kann. Dann bleiben wir bei den Effekten die FreeFloat hat - nämlich einfach nur mehr Individualverkehr. Als Gesamtlösung gedacht und konsequent verfolgt und umgesetzt aber, ist FreeFloat ein genauso wichtiger wie am Ende dann auch entlastender Teil wie es auch P2P, stationsbasiert, hailing etc. sein wird. Der Nutzer auf der Strasse muss am Ende jederzeit und für jedes Bedürfnis eine einfache, bequeme und bezahlbare Lösung haben. Dann, und nur dann, werden die Menschen anfangen in substantieller Anzahl auf Fahrzeuge zu verzichten - und erst dann werden die Verkehrsprobleme auch weniger werden.

Oje: 1% aller Fahrten sind in carsharing Autos weltweit, wir sind noch so weit weg von Massenakzeptanz. Nils Roßmeisl ist die ard reportage online verfügbar?

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