Wie sich das Fehlen einer Obergrenze fatal auswirkt

Wie sich das Fehlen einer Obergrenze fatal auswirkt

Ein beliebter „Sprech“ in den Medien in diesen Tagen ist: Nicht nur die Ampelregierung habe „gelost“, sondern auch die vor- hergehende Große Koalition. Die Bundesregierung Merkel IV habe viele Versäumnisse zu verantworten, etwa bei der Vernachlässigung der Infrastruktur und der Verteidigung. Das möchte ich an dieser Stelle nicht bewerten, dafür aber in aller Deutlichkeit sagen:

Koalitionsvertrag von 2018 vorbildlich

In einem Punkt hat die letzte Große Koalition vorbildlich agiert: bei der Stabilisierung und Begrenzung der Sozialversicherungsbeiträge. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD von 2018 stand wörtlich: „Die Sozialabgaben wollen wir unter 40 Prozent stabilisieren.“ An diese Zusage haben sich die drei Parteien während ihrer vierjährigen Regierungszeit nicht nur gehalten, sie haben ein Weiteres getan: Sie haben sogar gesetzlich, nämlich mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz, dafür gesorgt, dass auch 2022 die Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent blieben.

Schon 2023 negative Trendwende

Die Ampelkoalitionäre dagegen haben 2021 bewusst auf eine entsprechende Zielsetzung für die Jahre 2023 ff. verzichtet. Folge: Schon 2023 wurde die 40-Prozent-Grenze erstmals „gerissen“ und mit 40,45 Prozent deutlich verfehlt. Ab 1. Januar 2025 beträgt der Gesamtversicherungsbeitragssatz 41,9 Prozent.

Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitskosten. So kosten 0,1 Prozent-Punkte Sozialversicherungsbeiträge allein die deutsche Versicherungswirtschaft rund 11 Millionen Euro pro anno.

So würde sich eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze auswirken

Gleichwohl denken Teile des politischen Spektrums darüber nach, für den Sozialstaat dadurch noch mehr Geld zu generieren, dass man die Beitragsbemessungsgrenze in der Kranken- und Pflegeversicherung von aktuell 62.100 Euro auf das Niveau der Rentenversicherung von aktuell 90.600 Euro anhebt.

Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) hat in ihrer am 9. Dezember vorgestellten Studie „Sozialversicherung und Lohnzusatzkosten“ vorgerechnet, welche Lohnzusatzkosten dadurch bei ausgewählten Beschäftigungsgruppen für die Arbeitgeber entstehen würden:

  • Bei einem Maschinenelektroniker (Einkommen: 67.171 Euro) würden die Lohnzusatzkosten von 6.117 Euro auf 6.616 Euro (plus 8,2 Prozent) klettern.
  • Der Arbeitgeber einer Controllerin mit 81.099 Euro Jahreseinkommen müsste einen neuen Arbeitgeberbeitrag von 7.988 Euro aufbringen. Das entspricht einem Anstieg von 30,6 Prozent. Bei einem Softwareinformatiker mit 92.006 Euro Jahreseinkommen wäre der Anstieg sogar 45,9 Prozent.
  • Eine Stadt als Arbeitgeberin einer Leiterin einer Kita mit langjähriger Berufserfahrung (zwei Kinder, Einkommen: 70.643 Euro) wäre von einem Anstieg der Lohnzusatzkosten in Höhe von 13,8 Prozent betroffen.
  • Ein kommunales Krankenhaus als Arbeitgeber einer Fachärztin im siebten Jahr müsste Lohnzusatzkosten von 8.924 Euro gegenüber aktuell 6.117 Euro stemmen, eine Arbeitgeber-Mehrbelastung von 45,9 Prozent.

vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt sagte zu Recht, dass eine solche Aktion eine „Zusatz- oder Sondersteuer auf qualifizierte Arbeit“ sei. Und selbstverständlich wären auch die Arbeitnehmer betroffen, sie würden künftig über ein deutlich geringeres Nettoeinkommen verfügen.

Besorgniserregende Prognosen

Die deutsche Sozialversicherung droht in eine echte Schieflage zu geraten. Der Wirtschaftsweise Professor Martin Werding und Finanzwissenschaftler Professor Thies Büttner, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, bestimmen regelmäßig die künftige Höhe der Sozialversicherungsbeiträge voraus. Demnach werden im Jahr 2030 die Beitragssätze zur gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung bei zusammen 45,2 Prozent des Bruttoeinkommens liegen. Das bedeutet im Vergleich zum laufenden Jahr mit einem Gesamtsozialversicherungsbeitrag von 40,9 Prozent einen Anstieg von 4,3 Prozent Beitragssatz in nur fünf bis sechs Jahren.

Die Wirtschaftswissenschaftler Professor Stefan Fetzer und Professor Christian Hagist prognostizieren, wie es nach 2030 weitergeht. Das ist noch besorgniserregender! Denn: Bei Fortschreibung der heutigen Leistungsansprüche in der Sozialversicherung wird der Gesamtbeitragssatz bis zum Jahr 2050 auf über 50 Prozent ansteigen, aber schon vorher würde die Sozialversicherung auf einen „Kipppunkt“ zulaufen, etwa im Jahr 2030. Ab diesem Zeitpunkt sei der Sozialstaat im heutigen Umfang weder finanzierbar noch reformierbar.

Schon heute Hochlohnland

Deutschland ist schon heute ein Hochlohnland par excellence: Die Arbeitskosten sind bei uns laut Statistischem Bundesamt mit 41,30 Euro je geleisteter Arbeitsstunde (2023) rund 30 Prozent höher als im EU-Durchschnitt. Deutschland belegt nach einer im letzten Jahr veröffentlichten Studie des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Ländervergleich und in den führenden Wirtschaftsnationen zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit Platz 18 von 21. Im Jahr 2020 hatte Deutschland noch den 14. Rang belegt! Wie man angesichts dieser Zahlen die These vertreten kann, bei den Sozialversicherungsbeiträgen sei noch „Luft nach oben“, um beispielsweise die soziale Pflegeversicherung zu einer Pflegevollversicherung auszubauen, erschließt sich mir nicht.

Ihr

Michael Niebler

Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des AGV


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