Wien für die Welt
Wien, das ist die Stadt von Klimt, von feinen Süßigkeiten und elegantem Porzellan. Doch wussten Sie, dass sich Wiener Unternehmen in den vergangenen Jahren in noch ganz anderen Branchen weltweit einen Namen gemacht haben? Etwa in der Photovoltaik, bei veganem Essen oder recycelter Elektronik.
Dass ein Start-up gut läuft, merkt man üblicherweise daran, dass das kleine Garagenbüro, das bei der Gründung bezogen wurde, aus allen Nähten platzt. So ähnlich ist das auch bei Revo Foods , einem „FoodTech“ aus der Wiener Josefstadt. Will man Unternehmensgründer Robin Simsa sprechen, kann es nämlich passieren, dass man beim Gassenlokal in der Neudeggergasse hineingeht, über den Hausflur ins zweite, gegenüberliegende Büro laufen muss, dann weiter verwiesen wird, hinaus auf die Piaristengasse, die man überquert, um ins dritte Büro zu gelangen. Und ja, es läuft gut bei Revo Foods – die drei Büros wurden Schritt für Schritt aneinandergestückelt, ganz so, wie es das Wachstum des Unternehmens erforderlich machte. „Wir haben mittlerweile 45 Mitarbeiter*innen und gerade in einer ehemaligen Fleischproduktionshalle im Süden Wiens die weltweit größte 3D-Lebensmitteldruck-Anlage eröffnet“, sagt Robin Simsa.
Revo Foods produziert veganen „Fisch“ aus Pilz-Myzelien und Kichererbsenprotein. Damit die Textur an echten Fisch erinnert, wird die vegane Variante im 3D-Drucker hergestellt. Mit der neuen Anlage können künftig bis zu 60 Tonnen pro Monat produziert werden. „Derzeit sind wir mit Supermarktketten in Deutschland in Verhandlung. Unsere Produkte sind neben Österreich auch in Schweden, Ungarn und Spanien erhältlich“, sagt Simsa.
Wien, die Stadt von Klimt, Sacher und Freud
Wien ist weltweit bekannt für seine Süßigkeiten, für Sacher, Manner, @Demel. Wien steht für Kunst, für Gustav Klimt, Adolf Loos und Otto Wagner. Wien, das ist die Stadt von Wiener Porzellanmanufaktur Augarten , Lobmeyr-Glas und Thonet GmbH -Stühlen. In Wien entstanden bahnbrechende Theorien, Friedrich August von Hayek begründete den Neoliberalismus und Sigmund Freud die Psychoanalyse. Wien ist aber auch ein Leuchtturm in Sachen Umweltschutz. Das Kraftwerk Spittelau, gestaltet vom Öko-Aktivisten und Architekten Friedensreich Hundertwasser, zieht bis heute Hunderte Delegationen aus der ganzen Welt an, die die Anlage bestaunen.
„Kaum eine andere Stadt hatte mehr Einfluss auf die Entwicklung der westlichen Welt im 20. Jahrhundert als Wien“, schreibt „The Economist“-Autor Richard Cockett in seinem Buch „Vienna“.
All das ist Vergangenheit, große Geschichte, von der die Stadt bis heute lebt und die sich ständig weiterentwickelt. Blickt man in die Gegenwart, sieht man, dass es in der Stadt auch viele frische Ideen gibt, die weit über Wien hinaus in die Welt getragen werden. Ideen, die genauso bahnbrechend sein können wie die Errungenschaften aus früheren Zeiten. Doch diese neuen Ideen handeln nicht von Süßigkeiten oder Porzellan, sondern von den Herausforderungen unserer modernen Gesellschaft: Energiewende, Digitalisierung, Kreislaufwirtschaft und ja, auch von veganem Fisch. Was das Gestern und Heute gemeinsam haben, ist, dass es oft Unternehmer*innen waren, die gute Einfälle hatten.
Einer dieser Unternehmer*innen ist Martin Putschek . Als der Wiener vor vielen Jahren bei einer Dienstreise auf die Malediven kam, bemerkte er, dass die Hotel-Resorts ihre Energie fast ausschließlich mit Dieselgeneratoren produzieren. Putschek dachte sich, dass man gerade im sonnigen Süden die notwendige Energie ja auch mit Photovoltaik-(PV)-Anlagen erzeugen könnte. Am besten mit schwimmenden – da auf den kleinen Inseln der Platz an Land knapp ist. Zurück in Wien tüftelte er fünf Jahre lang zusammen mit der Technische Universität Wien an einer Konstruktion, auf der PV-Paneele montiert werden können, die Salzwasser verträgt und Wellen und Wind standhält. Er meldete ein Patent auf seine Entwicklung an, gründete die Firma „Swimsol“ und verkaufte 2017 die erste schwimmende PV-Anlage an ein Hotel-Resort. „Seitdem hat Swimsol GmbH 45 PV-Projekte realisiert, vorwiegend auf den Malediven“, sagt sein Bruder Wolfgang Putschek, der 2013 bei Swimsol eingestiegen ist.
Neue Ideen aus Wien
Die Planung und Vorproduktion der schwimmenden Plattformen erfolgt in Wien, genauer gesagt in einer kürzlich bezogenen Produktionshalle am Rande der Stadt. Vor Ort werden die Plattformen von einem lokalen Team zusammengebaut und an das Inselnetz angeschlossen. Künftig will sich Swimsol, das auch eine Niederlassung in Malé unterhält, vor allem als Technologielieferant und Planer für Großprojekte positionieren. Das Unternehmen erhält derzeit viele Anfragen aus anderen Erdteilen, etwa aus der Golfregion, Südamerika, Europa und Indien für Projekte von mehreren hundert Millionen Euro. „Wir haben gut drei bis fünf Jahre Technologievorsprung“, sagt Wolfgang Putschek . „Das liegt daran, dass unsere Technologie im Salzwasser funktioniert und die Mitbewerber sich eher auf Süßwasser konzentrieren.“
Auch im Kraftwerk Donaustadt ist man der Zeit voraus. Das Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk wird derzeit noch mit Erdgas betrieben. In naher Zukunft allerdings soll die Anlage auch mit einer Beimischung von grünem Wasserstoff laufen. Wie das genau funktioniert, wurde kürzlich in einem weltweit einzigartigen Betriebsversuch in der Donaustadt getestet. Über mehrere Tage lang wurde dem Erdgas grüner Wasserstoff beigemengt – im ersten Schritt waren es 15 Volumenprozent. Dafür musste die Brennkammer im Kraftwerk umgerüstet werden. Das Ergebnis war positiv. Im zweiten Schritt, der voraussichtlich 2028 stattfindet, soll der Anteil auf mindestens 30 Volumenprozent erhöht werden. Projektpartner des Versuchs sind RheinEnergie AG , Siemens Energy und VERBUND . „Der Versuch ist für viele Anlagenbauer und Kraftwerksbetreiber auf der ganzen Welt interessant“, sagt Martin Höller , Senior Advisor Neue Technologien bei Wien Energie. Warum?
International wichtiger Betriebsversuch in der Donaustadt
Die Anlage im Kraftwerk Donaustadt ist ein Standard für viele Kraftwerksbetreiber. Von dem in der Donaustadt eingesetzten Gasturbinenmodell sind in Europa über 115 im Einsatz, weltweit über 360. Die am Betriebsversuch beteiligten Partner konnten bereits wichtige Erkenntnisse zur Effizienz und zu den Emissionen der Wasserstoffmitverbrennung gewinnen. Diese Erkenntnisse sind zudem zur weiteren Entwicklung der nächsten Generation an Gasturbinen hochrelevant. Bis Turbinen entwickelt sind, die ausschließlich mit grünen Gasen wie Wasserstoff betrieben werden und diese in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, gibt es eine Übergangsphase. Höller: „In dieser Zeit brauchen wir Kraftwerke, die mit einer Mischung aus Erdgas und Wasserstoff betrieben werden können. Dafür werden bestehende Kraftwerke umgerüstet.“
Innovation bei Wärmespeichertechnologie
Am Standort des Kraftwerks Donaustadt arbeitet Wien Energie an einem weiteren, europaweit einzigartigen Forschungsprojekt: einem unterirdischen, innovativen Wärmespeicher, Projektname: „ScaleUp“. Der mit Wasser gefüllte Speicher soll bis zu 30 Meter tief und in Spezialtiefbauweise errichtet werden sowie eine nutzbare Deckeloberfläche besitzen. Die Pilotanlage mit einem Volumen von 40.000 Kubikmeter soll die überschüssige Wärme aus Geothermie, Abwärme und Müllverbrennung einspeichern und dem Erfahrungsgewinn für die Errichtung größerer derartiger Speicher dienen. „ScaleUp wäre von der Bauweise her einzigartig, da durch die unterirdische Errichtung mit nutzbarer Deckeloberfläche keine oberirdischen Flächen beansprucht werden und das Stadtbild nicht beeinträchtigt wird“, sagt Lisa Sophie Weginger von Wien Energie.
Bauen ist auch das Metier von Michael Anhammer . Der Wiener ist Gründungsmitglied des Architekturbüros Franz&Sue. Das Büro hat sich auf die Planung öffentlicher Gebäude wie Schulen spezialisiert. In Wien entwarfen Franz&Sue etwa die Stationen der neuen U-Bahn-Linie U5. Die Architekten mit Sitz in Favoriten haben aber auch Projekte in Berlin und Nürnberg. „Wir mussten in Deutschland viel Lehrgeld bezahlen“, sagt Anhammer. „Wir hatten nicht erwartet, dass es zwischen Österreich und Deutschland doch relativ große interkulturelle Unterschiede gibt.“
Hands-on-Mentalität
Nachhaltigkeit und Holzbau sind auch in Deutschland große Themen. „Die deutschen Kolleg*innen sind viel tiefgreifender in den Analysen, oft fehlt dann aber die Kraft in der effizienten Umsetzung. Wir Österreicher*innen haben eine starke hands-on-Mentalität. Bei Problemen setzen wir uns hin und lösen sie, ohne lang zu fragen wer Schuld ist“, sagt er. Was Anhammer an der Internationalisierung seines Architekturbüros sehr schätzt: „Wir bleiben bei unseren Stärken, lernen aber auch sehr viel von deutschen Projektpartner*innen. Wir werden genauer und besser in den Prozessen.“
So ist das in einer Weltstadt: Wien liefert neue Ideen und Produkte in die Welt, bekommt aber auch sehr viel von dieser Welt zurück.