Work Smart not Hard? Jetzt erst recht!

Kommentar zum EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung

Früh morgens e-Mail mit einer Lösungskonzeption vom indischen Softwareentwickler, spät abends noch Telefonkonferenz mit Kunden in den USA: Dass Arbeit in gewisser Regelmäßigkeit außerhalb von 'Kernzeiten' stattfinden muss, wird sich nicht verhindern lassen in einer globalisierten Welt. Insofern kann ich den Aufschrei nachvollziehen, der nach dem EuGH-Urteil heute durch die Reihen der Verfechter 'moderner Arbeitsformen' und New Work geht. 

Das Kernproblem ist nämlich nicht Regulierung und Arbeitszeiterfassung. Das Problem sind vielmehr Arbeitsorganisation und Führung, das Problem sind Arbeitsplatzkulturen voller sinnfreier Meetings, stumpfem Anwesenheitsstundenkult und wilhelminischer Tugenden: "Opfer müssen gebracht werden“. Ohne Schweiß kein Preis.

Und nun will uns auch noch eine EU-Behörde zurück an die Stechuhren zwingen? Nein.

Denn: Drehen wir's doch mal rum.

  1. Das Urteil des EuGH gibt uns die Chance, erfinderisch und unternehmerisch aktiv zu werden, um smarte Lösungen fürs faires Arbeitszeit-Monitoring und wirksame Selbstkontrolle zu entwickeln. 
  2. Dieselben Smartphones, die wir zum Schritte-Zählen und Gesundheits-Tracking nutzen, lassen uns selbstbestimmt und ohne Big-Brother-Überwachung zwischen 'Arbeit' und 'Freizeit' gleiten. Clever gestaltet, lassen sie dabei auch Mischformen zu: Heute bin ich vier Stunden Zug gefahren, und habe dabei 'gefühlt' 60% gearbeitet, 40% entspannt. Schieberegler, Fingertipp: erfasst.
  3. Die entstehende Transparenz erlaubt es uns, zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern endlich fair und auf Augenhöhe zu betrachten, was geschieht: Haben wir Ineffizienzen in Arbeitsprozessen? Eine toxische Präsenzkultur, eine ungesunde Meetingpraxis? Stimmt die Relation von Input zu Output? Habe ich vielleicht ein persönliches Thema mit meiner Work-Life-Balance? Was motiviert mich, zu leisten?

Und — noch zwei-drei Jahre weiter gedacht: Was, wenn überhaupt erst durch die flächendeckende (weil bald verpflichtende) Zeiterfassung die lückenlose Datenbasis entsteht, die uns zeigt, wie tatsächlich gearbeitet wird, egal ob auf der Baustelle, am Schreibtisch, in der Fabrikation? Und was, wenn erst auf dieser Grundlage die Gesetzgeber endlich vernünftige, zeitgemäße Regelungen fürs digitale Zeitalter treffen können, z. B. für Pausen, Ruhezeiten und arbeitsfreie Tage?

Das wäre bitter nötig, denn "einfach weiter so" ist garantiert keine Option. Globalisierung und Digitalisierung gehen ungebremst weiter und sorgen weiter dafür, dass Arbeit mobiler und flexibler werden kann. Und, Hand aufs Herz, unter diesen Rahmenbedingungen: Wer hat denn stets 11 Stunden Ruhepause, wer hat jede Woche einen arbeitsfreien Tag, z. B. einen Sonntag also, an dem er nicht mal in Ruhe ein Konzept liest oder ein paar Meetings durch die kommende Woche schiebt? Die vielen kleinen Rechtsübertritte sind längst allgegenwärtig, es schert nur niemanden. Wo kein Kläger, da kein Richter. Bis gestern.

Wir können dem EuGH also dankbar sein, dass er dieses heiße Eisen anpackt. So gestalten wir die Arbeitswelt der Zukunft auf europäische Art: Wir sind global konkurrenzfähig, aber eben auch menschlich und fair.

Ich freue mich drauf. Packen wir’s an.

#ThinkPositive #LookForward

#WorkSmartNotHard #NewWork #NewLeaders #GlobalScale

#Digital #Flexible #Agile

David Hirsch

#gerneperDu Senior Berater / Senior Consultant (Future Workplace) bei ALH Gruppe

5 Jahre

Hallo Jochen,  auch von mir erstmal DANKE für den schönen Perspektivwechsel. Mir sind noch zwei/drei (Gegen-)Gedanken gekommen, die ich Dir schreiben wollte: - Die Zeiterfassung ist für mich eben kein Instrument der Selbstkontrolle, sondern ein Instrument, welches ich nicht freiwillig wählen würde. Im Begriff steckt ja schon, dass Zeit erfasst wird und keine Arbeit. Weiterer Gedanke: Müssten wir das denn dann nicht direkt mal umbenennen? - Auch ich kann mir sehr schöne Lösungen zum "Zeiterfassen" vorstellen, aber wer und wo zieht man denn die Grenze, was nun Arbeit und Freizeit ist.  Beipsiel: Wir "stechen" hier immer für die Mittagspause aus - allerdings drehen sich gefühlte 80% der Mittagsgespräche um dienstliche/geschäftliche Belange. Dann ist das doch eigentlich doch wieder Arbeitszeit oder? - Selbst diesen Post hier würde ich als "Arbeit" werten, da es mich in einer beruflichen Situation weiter bringt und dem Arbeitgeber einen hoffentlich besser informierten und mündigen Arbeitnehmer beschert. Ich kann mir aber sehr leicht vorstellen, dass eine sehr große Zahl der aktuellen Kollegen nicht im Traum daran denken würde, diesen Post als Arbeit zu definieren... was machen wir als damit? 

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