Wunsch oder Wille?

Wunsch oder Wille?

Es gibt für mich zwei Gründe, warum Change-Vorhaben scheitern. Erstens sind sie meist nicht durchdacht, und zweitens werden sie nicht konsequent umgesetzt. Mit dem detailliert beschriebenen 1. Schritt meines Prozesses zur Werteetablierung wird für beides systematisch gesorgt.

Kolbusas Werteetablierung – Schritt 1:Wunsch oder Wille?

Veränderung ist Arbeit! Erziehungsarbeit braucht Geduld und Aufmerksamkeit. Es ist wie bei der Kindererziehung. Oder ein noch prägnanterer Vergleich: Jeder hat schon einmal an sich gearbeitet – mal mit mehr und mal mit weniger großem Erfolg. Verhaltensweisen oder gar eingeschliffene Gewohnheiten sollten verändert werden, da sie einem unpassend erschienen. War das einfach? Nein! Veränderungsarbeit ist harte Arbeit. Da reicht kein mal eben aus der Erkenntnis heraus gefasster Neujahrsvorsatz. Es braucht echten Willen! Manchmal eisernen Willen.

Diese Konsequenz bzw. diesen eisernen Willen, der ein Durchhaltevermögen braucht und Aufmerksamkeit für die zu verändernden Aspekte benötigt, bringen Sie und die Manager, die die Veränderungen herbeiführen wollen, in Ihrer Organisation nur dann auf, wenn es sich lohnt. Das heißt nur dann, wenn die Früchte der Arbeit einen spürbaren Mehrwert liefern, unternehmerischen Nutzen und echten Stolz auf diese Arbeit ermöglichen. Dafür gilt es, wie in der Abbildung links gezeigt, zwischen einem Wunsch, den mit Blick auf das veränderte Verhalten in der Organisation (Change) jeder Manager aus dem Stand heraus äußern kann, und echtem Willen zu differenzieren. In den meisten Change-Vorhaben wimmelt es nur so vor Wünschen und diesen folgenden Lippenbekenntnissen. Aber es wird nichts daraus! Warum? Weil es keinen wirklichen Willen gibt, daran hart und kontinuierlich zu arbeiten.

Woraus speist sich echter Wille? Aus dem „Wozu“! Das „Wozu“ ist es, was aus einem diffusen Wunsch echten Willen entstehen lässt. Wie bei der Arbeit an sich selber: Wenn Sie sich einfach nur wünschen, abzunehmen oder mehr Sport zu treiben, dann gibt es vielleicht eine kurze Anfangsmotivationswelle, der jedoch eine dauerhafte Ebbe folgt. Sie bleiben nicht dran! Setzen Sie sich aber intensiv damit auseinander und klären a) das „Wozu überhaupt“ und b) den Preis, den Sie bereit sind, dafür zu zahlen, dann und nur dann kann (!) daraus etwas werden. Sie haben also meinetwegen geklärt, dass Sie nicht an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung sterben wollen und mehr Schwung und Energie in Ihrem Alltag verspüren möchten. Um sich dies zu verdeutlichen, sprechen Sie beispielsweise mit Ihrem Arzt und mit Patienten, die einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt erlitten haben. Sie betreiben Aufwand und Mühe, um sich emotional, sei es durch Angst, Leidenschaft, Neugier oder Neid, mit Situationen auseinanderzusetzen, die Ihnen das „Wozu“ klarmachen. Sie müssen den Sinn dahinter klar haben. Eventuell kommen Sie zu einem Punkt, an dem Sie sagen: „Nein, das werde ich nicht ändern, weil ich nicht bereit bin, den Preis dafür zu bezahlen.“ Ich, der eine Histamin-Intoleranz hat und dank dieser nach dem Konsum von Wein, Meeresfrüchten und Tomaten die eine oder andere schlaflose Nacht hat, wünscht sich zwar ab und zu, dass dies nicht so wäre. Aber ich habe in der Abwägung eine Entscheidung getroffen: Ich habe keine Lust, meine Ernährungsgewohnheiten derart einzuschränken, und bin bereit, die Konsequenzen zu tragen – ohne zu jammern. Der Preis ist mir zu hoch!

Genauso sollten Sie dies bei einem Change-Vorhaben tun:

1. Auseinandersetzung mit dem, was Sie eigentlich wollen (Zielzustand)

2. Klärung des möglichen unternehmerischen Nutzens (Mehrwert)

3. Ermittlung des Preises, der gezahlt werden muss, das heißt Zeit, Ressourcen und Konsequenzen (Preis)

4. Abwägung, ob sich das lohnt (Entscheidung)

Zu jedem dieser vier Schritte nachstehend ein paar Hinweise.

1. Zielzustand

Zunächst legen Sie das Kernteam für diesen Prozess fest. In der Regel ist dies die Mannschaft, die für das Herbeiführen der Veränderung verantwortlich ist und die den Willen dazu haben muss. Es sind meist Geschäftsführer und Vorstände und/oder die Bereichsleitung (manchmal auch nur in Teilen). Diese Mannschaft hat die oben skizzierte Abwägung für sich vorzunehmen. Die ideale Teamgröße besteht aus fünf bis sieben Personen. Maximal sollten es zwölf Personen sein, sonst ist in einer Kaskade zu arbeiten.

Im Rahmen der Klärung von „Wunsch oder Wille“ hat dieses Team zunächst die Herausforderung zu meistern, zu einem klaren und einigermaßen einheitlichen Bild zu kommen, wie die Zusammenarbeit in dem zu verändernden Spektrum (Unternehmen, Ressort, Bereich) auszusehen hat. Zu diesem Zweck hat es sich bewährt, dass sich jedes Teammitglied im Vorfeld ca. zwei Stunden Zeit nimmt und in Prosaform (!), also Fließtext und keine PowerPoint-Datei, beschreibt, wie sie oder er die Zusammenarbeit nach einem gelungenen Change sieht. Sie retropolieren sozusagen. Jeder begibt sich ein Jahr in die Zukunft und schreibt einen guten Zeitungsartikel darüber, was anders (nur der Unterschied zählt!) ist als heute. Was „sehen“ Sie, wenn Sie sich in der Zukunft in Meetings treffen, in Lenkungsausschüssen sitzen, durch die Werkshalle marschieren oder den Mitarbeitern im Service zuschauen? Dies hat jeder niederzuschreiben. Was zeichnet einen guten Artikel aus? Genau: Sie bekommen beim Lesen ein Bild, ein Film läuft vor Ihrem geistigen Auge ab. Keine abstrakten Beschreibungen, dass es neue Prozesse gibt und dass das Miteinander offener geworden ist. Bullshit! Das erzeugt kein Bild! Konkrete Situationen und Erlebnisse in der Zukunft sind gefragt, die aneinandergereiht einen Film bilden. Abstrakte Umschreibungen sind hier fehl am Platz. Wenn der Change nachher gelungen ist, zählt auch nur Wahrnehmung. Wahrnehmung ist Realität.

Um dem skizzierten Anspruch gerecht zu werden, braucht es erfahrungsgemäß zwei bis drei Feedbackschleifen mit entsprechenden individuellen Nacharbeiten der beteiligten Manager. Nicht selten wird mir Frust entgegengebracht, der sich in einem Unverständnis für diesen Aufwand äußert. Ihm begegne ich mit einer sehr einfachen Logik: „Sie meinen, nicht in der Lage zu sein, beschreiben zu können, was nach einem gelungenen Change konkret (!) anders ist! Wie glauben Sie denn dann, etwas herbeiführen zu können, von dem Sie keine Vorstellung haben?“

Wenn eine entsprechende Qualität gegeben ist, dann ist es unabdingbar, dass das Team die Zielbilder untereinander austauscht und sich jeder in Vorbereitung auf ein Abgleichsmeeting mit den Zielbildern der anderen auseinandersetzt: Was verstehe ich nicht? Was sehe ich anders? Ohne diese konkrete vorherige Auseinandersetzung mit allen anderen Zielbildern wird es keinen guten Zielbildabgleich geben. Treffen Sie sich bloß nicht zu einem Workshop, bei dem jeder sein Zielbild vorstellt, worüber dann jeweils kurz gesprochen wird. Nichts ist ermüdender! Anhand der konkreten Fragen entwickeln Sie sodann im Rahmen der Diskussion sukzessive ein Zielbild. Je nach Notwendigkeit und Belieben kann dies auch in Form eines gemeinsamen Textes festgehalten werden – dies ist jedoch nicht zwingend. Notwendig ist das allgemeine „Gefühl“, gemeinsam ein klares Bild des Zielzustandes nach dem Change zu haben.

2. Mehrwert

Ist das Zielbild klar, führen Sie eine Diskussion (bitte auch anhand individueller Vorüberlegungen) darüber, was der konkrete unternehmerische Nutzen hinter diesem Zielbild ist bzw. sein könnte. Denn wenn es, um es überspitzt darzustellen, nur darum geht, dass Manager und Mitarbeiter sich wohler fühlen, man einander mehr Vertrauen entgegenbringt und respektvoller miteinander umgeht, sich daraus aber keine konkreten unternehmerischen Effekte ableiten lassen, wird sich die Investition (siehe nächster Punkt) schlicht nicht lohnen. Diskutieren Sie Ihre Vermutungen bezüglich der Effekte untereinander im Kernteam aus und einigen Sie sich auf eine gemeinsame Einschätzung. Die Abbildung links zeigt Ihnen ein Beispiel dazu.

3. Preis

Wie auch bei jedem anderen Projekt gilt es, den Aufwand für den Change abzuschätzen. Wir tun dies nur nie vernünftig, weil wir schlicht zu wenig Übung im Vergleich zu klassischen Projekten darin haben. Ich möchte Ihnen ein paar Faustregeln dazu geben, die ich aus meinen Erfahrungen ableite. Gehen wir einmal davon aus, dass Ihr Unternehmen von vier Geschäftsführern geleitet wird. Auf der nächsten Ebene haben sie 20 Bereichsleiter (BL) und weitere 100 Manager auf der Abteilungsleiterebene (AL). Sie wollen acht Schlüsselwerte etablieren: Mut, Vertrauen, Offenheit, Geschwindigkeit, Transparenz, Wertschätzung, Kundenorientierung und Sparsamkeit.

Sowohl die Geschäftsführung als auch die Bereichsleiter müssen dabei im Laufe von 9 Monaten in die Schritte Werteklärung, Phänomenbestimmung und Konsequenzmechanik ca. 10 Stunden Eigenleistung und im Schnitt 3 Workshoptage investieren (je nach Rollenaufteilung der eine mehr und der andere weniger). Demnach wären wir hier also bei 24 x 10 Std. + 24 x 3 Workshops à 8 Std. = 816 Managerstunden (ca. 102 Tage; ca. 4,25 Arbeitstage je Manager verteilt auf 9 Monate). Dazu kommt der Aufwand zur Fortschrittskontrolle, Erziehung und Sozialisierung. Dieser schlägt im Durchschnitt (variiert stark je Manager; auf GF-Ebene ist das weniger!) mit ca. 3 Stunden pro Monat zu Buche. Somit sind hier auf die 9 Monate Laufzeit: 24 x 3 Std. x 9 Monate = nochmals 648 Managerstunden (ca. 81 Tage) hinzuzurechnen. Gehen wir von einem durchschnittlichen Satz von 810 EUR/Tag aus, kommen wir auf ca. 150 TEUR. Auf der Abteilungsleiter-Ebene sind dies bei einem Satz von durchschnittlich 550 EUR/Tag und der Laufzeit über 9 Monate mit jeweils 5 Stunden Invest pro Monat gut 300 TEUR. Insgesamt entstehen also interne Kosten von ungefähr 450 TEUR! Hinzu kommen noch die Kosten für die externe Unterstützung, für einige Locations für die Workshops etc. Schnell sind Sie hier bei 600 bis 700 TEUR. Eine Menge Geld! Das muss sich erst einmal rechnen. Und über mögliche Opportunitätskosten haben wir noch gar nicht gesprochen.

Warum ist es mir so wichtig, dies – in einem solchen Kontext recht unüblich – haarklein zu berechnen? Weil mich die Erfahrung in diesem Zusammenhang zweierlei gelehrt hat: Veränderungsziel und Zustände sind schnell gewünscht, jeder ist dabei und gibt Lippenbekenntnisse ab, hierbei mitzuwirken, da jeder es auf alle Fälle für lohnend und vernünftig hält. Eine häufig zu naive Aussage, da überhaupt nicht klar ist, was an persönlichem Engagement erforderlich ist, um die gewünschten Änderungen auch tatsächlich herbeizuführen. Der zweite Punkt ist: Nur auf diese Art kann ich ein wirkliches Commitment für die notwendige Mitarbeit in dem Prozess bekommen. Nur so kann die Entscheidung für oder gegen das Veränderungsprojekt von jedem Einzelnen und dem Management in Summe getroffen werden. Jeder muss wissen, was sowohl der Preis als auch der Nutzen sind. Bei jeder anderen Investitions- und Projektentscheidung verfahren wir nicht anders.

Neben dem Aufwand müssen Sie sich noch über einen anderen Preis klar werden, der nachher viel schwerer wiegt: Wären Sie im Extremfall bereit, sich von Leuten zu trennen, die sich mit der von Ihnen angestrebten Kultur, dem von Ihnen entwickelten Zielbild nicht anfreunden können oder wollen? Würden Sie im Zweifel ein Hire-and-Fire-on-Values vornehmen? Ich kann jedem nur anraten, das an dieser Stelle im Prozess einmal geistig im Extrem durchzuspielen. Ich will Ihnen auch hier nichts vormachen: Wenn Sie das ernst angehen und es sich nicht um einen „kleinen Change“ handelt (i.d.R. wird das nicht der Fall sein, da sich dafür der Aufwand nicht lohnen würde), werden Sie 1 bis 3 Prozent der Mannschaft nicht halten können!

4. Entscheidung

Nachdem Zielzustand, Mehrwert und Preis klar sind, ist eine Entscheidung zu fällen: Lohnt sich der Case mit Blick auf die nächsten drei Jahre? Ja oder nein? Klar, man könnte an der Anzahl der Werte drehen (häufig ein sinnvoller Ansatz, um den Aufwand zu reduzieren) und vielleicht auch die dritte Managementebene den Prozess einfach erleben lassen, aber man wird den Nutzen nicht „for free“ bekommen.

Diese Entscheidung ist bei einem Change, der ernst gemeint ist, von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Damit ist klar geregelt, was man erwartet und was man zu bezahlen bereit ist. Wie bei jedem anderen Projekt auch erfordert dies in der Folge zwei Dinge: Erstens ist mit einer durchdachten Fortschrittsmechanik kontinuierlich (alle 4–6 Wochen) zu bewerten, ob man vorankommt (d.h. sich dem Zielzustand nähert). Zweitens kann sich niemand mehr herauswinden und sagen, er hätte etwas Wichtigeres zu tun. Denn das Thema hat nun wirkliche Priorität, weil es Effizienz und Wettbewerbsstärke gemäß dem Case zu liefern hat!



Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen