Zigarette, Stückwerk, Fortschritt – Schmidt und Popper im fiktiven Alster-Dialog

Zigarette, Stückwerk, Fortschritt – Schmidt und Popper im fiktiven Alster-Dialog

Abenddämmerung an der Alster. Das Wasser reflektiert das Rot der untergehenden Sonne, die Luft ist frisch, klar, und doch schwer von den Gedanken, die hier ausgesprochen werden. Zwei Männer gehen nebeneinander, aber nicht Hand in Hand. Jeder bleibt für sich, in seiner Rolle: Helmut Schmidt, der Altkanzler, der Realist, der Macher. Und Karl Popper, der Denker, der Skeptiker, der unermüdliche Mahner vor den Gefahren großer Pläne.

Der Spaziergang könnte ein Traum sein, aber er ist mehr. Ein Essay, ein Diskurs, ein Gedankenspiel.

„Die Welt dreht durch“, beginnt Schmidt, mit seiner unverkennbaren Lakonie. „Jeder will die großen Lösungen, alles oder nichts. Es ist, als hätten sie vergessen, dass echte Veränderung in kleinen Schritten kommt.“

Popper bleibt kurz stehen, wendet den Kopf. Ein Lächeln, das mehr Verzweiflung als Zustimmung ausdrückt. „Genau das ist der Kern meiner Stückwerk-Sozialtechnik. Vergesst die großen, allumfassenden Pläne. Die Welt ist zu komplex, zu chaotisch, um sie mit einem Masterplan zu beherrschen.“

„Pragmatisches Herumprobieren,“ fährt er fort, während sie wieder weitergehen. „Kleine, kontrollierte Schritte. Versuch und Irrtum. Und vor allem der Mut, Fehler zu machen und daraus zu lernen.“

Schmidt zieht eine Zigarette aus der Packung, zündet sie an. Der Rauch verflüchtigt sich schnell in der kühlen Abendluft. „Stell dir vor, ein Politiker gibt zu, dass er nicht alles weiß,“ sagt er, während er den Rauch ausstößt. „Dass seine Entscheidungen oft experimentell sind. Dass er Fehler macht und diese korrigiert. Für viele klingt das utopisch, aber genau diese Radikalität brauchen wir. Kein ideologisches Gezeter, keine großen Reden. Einfach machen. Schauen, was funktioniert und was nicht. Anpassen, weitermachen. Das ist dein Rezept.“

Popper nickt langsam. „Du hast diese Philosophie verstanden, Helmut. Du warst kein Träumer, sondern ein Macher. Ein Pragmatiker durch und durch. Meine Idee der Stückwerk-Sozialtechnik war für dich kein theoretisches Konzept, sondern ein praktischer Leitfaden.“

Schmidt bleibt stehen, dreht sich zum Wasser. „Die Welt verändert sich nicht durch große, revolutionäre Umwälzungen, sondern durch kontinuierliche, kleine Verbesserungen. Meine Politik war nüchtern, empirisch. Keine großen Versprechungen, sondern konkrete Maßnahmen.“

Er nimmt einen weiteren Zug von der Zigarette. „Jede Reform hat unerwünschte Nebenwirkungen. Daher die kleinen Schritte. Jeder Schritt wird genau beobachtet, analysiert und, wenn nötig, korrigiert. Eine Politik, die sich ständig selbst hinterfragt und verbessert. Keine Angst vor Fehlern, sondern die Fähigkeit, aus ihnen zu lernen.“

Popper hebt die Hand, als wollte er widersprechen, aber es ist mehr ein Ergänzen. „Die Stückwerk-Sozialtechnik ist das Gegenteil von planwirtschaftlicher Anmaßung. Sie erfordert eine Politik, die sich nicht als allwissend darstellt, sondern die Ungewissheit als Teil des Prozesses akzeptiert. ‚Wir wissen nicht, wir raten.‘ Das klingt nach wenig, ist aber alles.“

Er blickt Schmidt direkt an. „Es bedeutet, dass politische Maßnahmen immer provisorisch sind, immer zur Diskussion und Verbesserung stehen.“

Schmidt wirft die Zigarette ins Wasser. Ein kleiner Kreis breitet sich aus. „In der Praxis bedeutet das: Einführung kleiner Reformen, Pilotprojekte, Feedbackschleifen. Statt ein riesiges, alles umfassendes Programm zu starten, setzen wir auf modulare Veränderungen. Wenn etwas nicht funktioniert, wird es angepasst oder verworfen, ohne dass das gesamte System ins Wanken gerät. Das ist echte politische Flexibilität.“

Die Alster wird dunkler, der Himmel zeigt erste Sterne. Schmidt deutet auf ein entferntes Licht, das über das Wasser tanzt. „Nehmen wir die Klimapolitik,“ sagt er, während sie weitergehen. „Anstatt ein alles umfassendes Klimapaket zu schnüren, könnten wir mit einzelnen Maßnahmen beginnen: Pilotprojekte für erneuerbare Energien, lokale Initiativen zur Reduktion von Emissionen, steuerliche Anreize für umweltfreundliche Technologien.“

Er dreht sich kurz um, als wolle er sicherstellen, dass Popper ihm folgt. „Jede dieser Maßnahmen wird getestet, evaluiert und, wenn nötig, angepasst. Keine Angst vor dem Scheitern, sondern der Mut, aus Fehlern zu lernen und weiterzumachen.“

Popper schmunzelt. „Die beste Klimapolitik ist eine, die ständig in Bewegung bleibt, die sich kontinuierlich verbessert und anpasst. Keine dogmatischen Festlegungen, sondern flexible, empirisch fundierte Entscheidungen. Das ist die Essenz der Stückwerk-Sozialtechnik.“

Sie erreichen eine Bank, setzen sich. Der Wind weht stärker, aber sie ignorieren ihn. Schmidt spricht leiser, fast wie zu sich selbst. „Hinter jeder politischen Idee, hinter jeder Vision oder schnell artikulierten Reformforderung muss ein praktikabler Plan zur Umsetzung stehen. Das sehen wir doch gerade am Gebäudeenergiegesetz.“

Popper nickt, blickt in die Dunkelheit. „Wie oft haben wir erlebt, dass Fachkenntnisse allein nicht ausreichen, um in der Politik erfolgreich zu sein? Sie sind am wenigsten notwendig, um ein Spitzenamt in der Politik zu erreichen.“

Er schaut Schmidt an, fast herausfordernd. „Und das hat sich bewährt. Expertenregierungen mögen in Krisenzeiten hilfreich sein, aber auf Dauer brauchen wir Politiker, die über die fachliche Eignung hinausgehen.“

Die Diskussion geht weiter, dreht sich um Verwaltung, Bürgerbeteiligung, die Macht der Medien. Popper spricht von der Gefahr des Slogan-Denkens, Schmidt von der Notwendigkeit klarer, ehrlicher Kommunikation.

Zum Schluss stehen beide auf, blicken noch einmal über die Alster. Schmidt sagt: „Schluss mit dem heroischen Getue. Es lebe der pragmatische Fortschritt. Es lebe das Stückwerk. 2025, das Jahr der kleinen Schritte, der ehrlichen Politik, der wahren Reformen im Geiste von Popper und Schmidt. Es ist Zeit für eine Revolution des Pragmatismus.“

Das wünschen wir uns für das neue Jahr. Wir bedanken uns für Eure Treue und hoffen auf weitere Abonnenten. Über Weiterempfehlungen wären wir mehr als begeistert. Man hört, sieht und streamt sich im Netz. Eure Bonner Söhne.

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Inga Raunheimer

Unternehmerin | Mentorin I Executive Sparring I Expertin für wertschöpfende Arbeitsbeziehungen 🧨Anstifterin zum Denken * Fühlen & Handeln 💥

1 Tag

Ein Aufruf zur Revolution in kleinen, unaufgeregten Schritten, gut verpackt und so einfach erklärt - herrlich 🙌🏼 Vielen Dank!

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