Zur Strafbarkeit sog. cum/ex-Geschäfte im Lichte der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung (Forts.)
Die hier am 15.05. d.J. unter der Überschrift “Zur Strafbarkeit sog. cum/ex-Geschäfte im Lichte der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung” aufgestellten Thesen lassen sich deutlich kürzer und prägnanter formulieren:
a) Der Hinweis auf Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG musste im Lichte der den seinerzeitigen (normativen) objektiven Empfängerhorizont der Finanzbehörden bestimmenden nunmehrigen richtigen Erkenntnis des seinerzeit geltenden Rechts zwingend als Hinweis auf Käufe vom Leerverkäufer („Leerkäufe“) verstanden werden. Nach Maßgabe der nunmehrigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH, Urt. v 16.04.2014 – I R 2/12, Rn. 32; Beschl. v. 04.03.2020 – I B 57/18, Rn. 22; Urt. v. 02.02.2022 – I R 22/20, Ls. 1) setzt § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG nämlich einen (cum/ex-) Erwerb vom Leerverkäufer tatbestandlich ausdrücklich voraus:
aa) Da nach dieser Rechtsprechung (im Einklang mit dem Wortlaut des § 20 Abs. 5 EStG, der auf die gesamte Nr. 1 des § 20 Abs. 1 EStG angewandt sein will, und des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG, der gerade nicht von „gekauft“, sondern von „erworben“ spricht) der Käufer Einkünfte im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG überhaupt nur erzielen kann, wenn er (wirtschaftlicher) Eigentümer der ihnen zugrundeliegenden Aktien geworden war (§ 20 Abs. 5 EStG iVm. § 39 AO), kann das Tatbestandsmerkmal „von einem anderen als dem Anteilseigner nach Absatz 5“ denknotwendig nicht den Empfänger der Dividendenkompensationszahlung (d.h. den Käufer der Aktien, der ja gerade Anteilseigner im Sinne des Abs. 5 geworden sein muss) bezeichnen, sondern vielmehr einzig und allein ihren Zahler (d.h. den Verkäufer der Aktien als Schuldner der Dividendenkompensationszahlung; das „von“ wäre also etwa ins Englische nicht mit „by“ sondern mit „from“ zu übersetzen).
bb) Wenn jedoch der Verkäufer gerade nicht „Anteilseigner nach Absatz 5“ – d.h. nicht rechtlicher (§ 39 Abs. 1 AO) oder doch zumindest wirtschaftlicher (§ 39 Abs 2 AO) Eigentümer von Aktien – ist, ist er denknotwendig Leerverkäufer. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG setzt tatbestandlich also ausdrücklich gerade – und nur – den Kauf vom Leerverkäufer in einem cum/ex-Szenario voraus.
cc) Wer im Verkehr mit den Finanzbehörden Einkünfte im Sinne dieser Vorschrift behauptet, trägt den Finanzbehörden dadurch ausdrücklich den Kauf vom Leerverkäufer („Leerkauf“) in einem cum/ex-Szenario vor. Der Hinweis auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG ist einfach nur das präzise juristisch-technische Kürzel für den Sachverhalt eines solchen „Leerkaufs“. Dass nicht dieses Wort verwendet, sondern auf die einschlägige Norm Bezug genommen wurde, stellt daher insoweit jedenfalls keine unvollständige Angabe dar, da die Finanzbehörden das (richtige) Recht zu kennen haben, um es anzuwenden (§ 85 Satz 1 AO, Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG), und dementsprechend wissen, welche Lebenssachverhalte die Tatbestandsmerkmale einer Norm beschreiben. Aus dem objektiven Empfängerhorizont der an das richtig erkannte Recht gebundenen Finanzbehörden war die Bedeutung der Bezugnahme auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG eindeutig (insoweit zutreffend etwa LG Bonn, Urt. v. 13.12.2022 – 62 KLs – 213 Js. 116/20 – 2/20 (Hanno Berger), S. 287: „Durch die mit den Steuererklärungen der Jahre 2009 bis 2011 vorgelegten Berufsträgerbescheinigungen wird […] zum Ausdruck gebracht, dass es Leerverkäufe gegeben habe“).
b) Dass in dieser Konstellation grundsätzlich – nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge – der Käufer nicht Anteilseigner iSd. § 20 Abs. 5 EStG geworden und dementsprechend auch nicht gem. § 36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG KapESt-entlastungsberechtigt sein konnte, ist (im Lichte der nunmehrigen höchstrichterlichen Rechtsprechung) von Rechts wegen unzweifelhaft (BGH, Urt. v. 28.07.2021 - 1 StR 519/20, Rn. 87). Dem Antrag des Käufers auf KapESt-Entlastung wäre daher mangels hinreichender Behauptung (geschweige denn Darlegung) der Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG (i.V.m. § 31 KStG bzw. § 11 Abs. 2 InvStG) – der eben nun einmal notwendig voraussetzt, dass Einkünfte der dort genannten Art erzielt (§ 20 Abs. 5 EStG) worden waren, da nur dann insoweit die Einkommensteuer durch Steuerabzug erhoben sein kann (BFH, Urt. v. 15.11.2022 – VIII R 21/19 Rn. 16; siehe auch Zimmermann in Lademann, § 36 Rn. 64) – jedenfalls nicht zu entsprechen gewesen.
aa) Aufgrund des (durch die Bezeichnung der Einkünfte als solche im iSd. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG und damit entweder des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG oder § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG) erteilten ausdrücklichen Hinweises darauf, dass möglicherweise (für den Fall, dass es sich um Einkünfte iSd. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG handelte) der Verkäufer ein Leerverkäufer war, von dem nach nunmehriger richtiger Erkenntnis des seinerzeit geltenden Rechts (wirtschaftliches) Eigentum grundsätzlich nicht abgeleitet werden kann, war (im Lichte der nunmehrigen richtigen Rechtserkenntnis) das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG ausdrücklich offen gelassen, und durfte daher die begehrte KapESt-Entlastung zunächst einmal – bis zum Nachweis, dass der Käufer auf irgendeine Weise doch Anteilseigner iSd. § 20 Abs. 5 EStG geworden war – nicht gewährt werden.
bb) Ab VZ 2009 war aufgrund des ausdrücklichen Erklärungsinhalts der Steuerbescheinigungen und Berufsträgerbescheinigungen (so wie diese vor dem Hintergrund der nunmehrigen richtigen Erkenntnis des seinerzeit geltenden Rechts objektiv zu verstehen waren) – deren Vorlage zwingende Voraussetzung der KapESt-Entlastung war – darüber hinaus sogar ausdrücklich vorgetragen, dass und in welcher Höhe die beantragte KapESt-Entlastung auf „Leerkäufen“ in einem cum/ex-Szenario beruhte und dementsprechend insoweit die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG grundsätzlich prima facie gerade nicht vorlagen.
c) Daran ändert sich auch nichts, wenn man mit BFH, Urt. v. 02.02.2022 – I R 2/12 Rn. 26 annehmen möchte, dass abweichend vom Wortlaut des § 20 Abs. 5 EStG in den Fällen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG für den Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums an den zugrundeliegenden Aktien durch den Käufer ein Zeitpunkt nach Trennung des Kupons vom Stammrecht entscheidend sein könnte.
aa) Anders als im Falle der dinglichen Lieferung (Settlement) noch am Hauptversammlungstag selbst – mit der Folge, dass der Käufer als rechtlicher Eigentümer grundsätzlich auch wirtschaftlicher Eigentümer ist und nur im Ausnahmefalle nicht – ist im Falle des cum/ex-Erwerbs vom Leerverkäufer das Regel-Ausnahme-Verhältnis insoweit doch eben nun einmal so, dass der „Leerkäufer“ grundsätzlich gerade nicht ohne Weiteres wirtschaftlicher Eigentümer wird, und dieses daher im Einzelfall festzustellen ist (wobei den Käufer die Feststellungslast trifft).
bb) Im Falle der Kenntnis des „Leerkaufs“ hatte die Finanzbehörde die begehrte KapESt-Entlastung daher jedenfalls zunächst einmal – bis zum Nachweis ihrer Voraussetzungen – zu versagen.
(1) Die KapESt-Entlastung war schon dann nicht einfach antragsgemäß zu gewähren, wenn das Finanzamt um die Käufe vom Leerverkäufer(„Leerkäufe“) mit der Folge der „Gefahr einer mehrfachen Bescheinigung von Kapitalertragsteuer im Sinne des des § 45a Abs. 3 EStG, obwohl nur einmal Kapitalertragsteuer zu Lasten des rechtlichen Eigentümers der Aktien einbehalten worden ist und kein weiterer Abzug von Kapitalertragssteuer nach § 44 Abs. 1 Satz 3 i.V. mit § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG erfolgte“ (BMF-Schreiben vom 05.05.2009, BStBl. 2009 I S. 631) wusste; das Finanzamt hatte dann nämlich eine materielle Prüfung der Voraussetzungen der KapESt-Entlastung durchzuführen und diese endgültig abzulehnen, wenn nach entsprechender Aufforderung (§ 90 Abs. 1 AO) die insoweit erforderlichen Nachweise nicht beigebracht wurden.
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(2) Entscheidend ist, dass durch den Hinweis auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG ausdrücklich auf einen Kauf vom Leerverkäufer in einem cum/ex-Szenario ("Leerkauf") hingewiesen worden war und dementsprechend nicht einfach ohne Prüfung der Anrechnungsvoraussetzungen KapESt-Entlastung gewährt werden durfte (vgl. BFH, Urt. v. 29.04.2008 - VIII R 28/07 unter II 3 b aa) (4): „im Veranlagungsverfahren die wirkliche Rechtslage geprüft und die bescheinigte Steuer beim wirklich Berechtigten angerechnet wird‘ (so wörtlich Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 30. April 1992 - Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Zinsbesteuerung, BT-Drucks 12/2501, S. 20“).
(3) Vor Gewährung von KapESt-Entlastung war daher zu prüfen, ob der Käufer trotz des cum/ex-Erwerbs vom Leerverkäufer im relevanten Zeitpunkt (was auch immer dieser sein mag) Anteilseigner iSd. § 20 Abs. 5 EStG war und dementsprechend grundsätzlich die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG vorlagen.
d) Die von dem Antragsteller zugleich aufgestellte konkludente Rechtsbehauptung, Anteilseigner iSd. § 20 Abs. 5 EStG geworden zu sein, war (im Lichte der nunmehrigen höchstrichterlichen Rechtsprechung) objektiv unzutreffend, betraf aber gerade schon keine Tatsache und konnte zudem (wiederum im Lichte der nunmehrigen höchstrichterlichen Rechtsprechung) für den in tatsächlicher Hinsicht vorgetragenen Fall des „Leerkaufs“ evident nicht ohne Weiteres zutreffen. Die unzutreffende rechtliche Würdigung durch den Steuerpflichtigen begründet jedenfalls keine Verletzung der Mitwirkungspflicht (siehe etwa Rätke, in Klein, AO, 16. Aufl., § 90 Rn. 6, § 150 Rn. 24).
e) Sonstige Umstände waren bei richtiger Sachbehandlung jedenfalls schon keine steuerlich erheblichen Tatsachen, weil es auf sie von Rechts wegen nicht mehr ankam: Wenn es bereits an einer Behauptung der Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG fehlt, weil offen bleibt, ob überhaupt gem. § 20 Abs 5 EStG Kapitalerträge iSd. § 20 Abs. 1 EStG erzielt worden waren, oder gar (ab VZ 2009) ausdrücklich Tatsachen vorgetragen werden, die prima facie das Vorliegen der Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG ausschließen, kommt eine KapESt-Entlastung ja auch selbst dann nicht in Betracht, wenn eine weitere Entrichtung von KapESt iSd. § 44 Abs. 1 Satz 3 Var. 2 EStG tatsächlich erfolgt ist.
aa) Wer die steuerliche Erheblichkeit der weiteren Entrichtung gem. § 44 Abs. 1 Satz 3 Var. 2 EStG behauptet, geht entgegen der Rechtsprechung des BFH (Urt. v 16.04.2014 – I R 2/12, Rn. 32; Beschl. v. 04.03.2020 – I B 57/18, Rn. 22; Urt. v. 02.02.2022 – I R 22/20, Ls. 1) von einem Anwendungsvorrang des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG vor § 20 Abs. 5 EStG aus und lässt letztere Vorschrift dementsprechend außer Betracht. Nur dadurch wird es nämlich überhaupt möglich, in den grundsätzlichen Anwendungsbereich des § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG zu gelangen, der steuerbare Einkünfte im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG ausdrücklich voraussetzt (s. BFH, Urt. v. 15.11.2022 - VIII R 21/19 Rn. 16). Lagen mangels Anteilseignereigenschaft iSd. § 20 Abs. 5 EStG die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht vor, so war die KapESt-Entlastung auch dann ausgeschlossen, wenn tatsächlich einbehalten worden war (vgl. Jachmann-Michel in Brandes/Heuermann (vormals Blümich), Ertragsteuerrecht, 2022, zu § 43 unter 2. Beteiligungserträge Rn 25 m.N.), weil der Einbehalt eben nun einmal nur und ausschließlich für unbestimmt fremde Rechnung des Anteilseigners iSd. § 20 Abs. 5 EStG erfolgt. Dementsprechend kann die weitere Entrichtung gem. § 44 Abs. 1 Satz 3 Var. 2 EStG keine steuerlich erhebliche Tatsache sein, wenn es bereits an der Anteilseignereigenschaft iSd. § 20 Abs. 5 EStG fehlt (s. BFH, Urt. v. 15.11.2022 - VIII R 21/19 Rn. 16).
bb) Nach LG Bonn, Urt. v. 13.12.2022 – 62 KLs – 213 Js. 116/20 – 2/20 (Hanno Berger), S. 287 ist durch die Vorlage der Berufsträgerbescheinigung allerdings nicht nur vorgetragen, dass „es Leerverkäufe gegeben habe“, sondern sogar auch, dass bei diesen „§ 44 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG keine Anwendung gefunden hat“, d.h. die weitere Entrichtung gem. § 44 Abs. 1 Satz 3 Var. 2 EStG nicht erfolgt ist. Die angebliche Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit der Angaben soll dann entscheidend wohl auf dem fehlenden Hinweis auf Absprachen iSd. des BMF-Schreibens vom 05.05.2009 beruhen, auf die es allerdings (wie das LG Bonn auf S. 291 der Urteilsgründe selbst erkennt) für die fehlende Rechtfertigung der KapESt-Entlastung von Rechts wegen gar nicht ankommt. Tatsachen, auf die es von Rechts wegen für die Entscheidung nicht ankommt, können aber gem. § 85 Satz 1 AO, Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG nicht steuerlich erheblich sein. Auf Absprachen im Sinne des BMF-Schreibens vom 05.05.2009 käme es für die fehlende Rechtfertigung der KapESt-Entlastung von Rechts wegen selbst dann nicht an, wenn man insoweit unzutreffend ausschließlich auf die fehlende weitere Entrichtung gem. § 44 Abs. 1 Satz 3 Var. 2 EStG abstellen möchte, denn ob diese erfolgt ist oder nicht hängt nicht vom Vorliegen von Absprachen ab. Unabhängig davon, ob man diesen Gedanken bei § 42 AO oder aber bei § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 EStG verortet, wäre dafür nämlich vorausgesetzt, dass die Voraussetzungen der KapESt-Entlastung grundsätzlich vorliegen, da sie nur dann durch diese Vorschriften ausnahmsweise ausgeschlossen sein könnten. Für die Tatbestandsmerkmale der auf die Prüfung der Rechtfertigung der KapESt-Entlastung anwendbaren Normen spielen Absprachen keine Rolle.
cc) Ebensowenig spielt es insoweit eine Rolle, ob die zugrunde liegenden Erwerbsvorgänge OTC oder börslich erfolgten. Die Vorstellung von der Relevanz dieses Umstandes steht im Zusammenhang mit der längst aufgehobenen Börsenklausel des seinerzeitigen § 50c Abs. 10 EStG. Für die Tatbestandsmerkmale der auf die Prüfung der Rechtfertigung der KapESt-Entlastung anwendbaren Normen spielt diese Frage keine Rolle.
f) Die ungerechtfertigte KapESt-Entlastung wäre daher jedenfalls niemals erfolgt, wenn nur die Finanzbehörden auf den zutreffend erklärten Sachverhalt einfach das seinerzeit geltende (wenn auch erst später höchstrichterlich richtig erkannte) Recht angewandt und dementsprechend bis zum Nachweis der Anteilseignereigenschaft iSd. § 20 Abs. 5 EStG an den zugrunde liegenden Aktien durch den Käufer diesem die KapESt-Entlastung versagt hätten.
g) Dass zeitgleich in den formularmäßigen Steuererklärungen erklärt wurde, dass hinsichtlich der auf die Dividendenkompensationszahlungen entfallenden Beträge ein zuzurechnender Einbehalt von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag stattgefunden habe, ist vor diesem Hintergrund irrelevant, da es insoweit mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG schon nicht um eine steuerlich erhebliche Tatsache geht (vorstehend 3. e) aa)) Zudem wurde diese auf den nicht individuell abänderbaren amtlichen Vordrucken (die seinerzeit nicht einmal ein Freitextfeld für zusätzliche Erklärungen vorsahen) formularmäßig abgegebenen Erklärung ja nach Maßgabe des BMF-Schreibens vom 05.05.2009, BStBl. 2009 I S. 631 gerade durch die mittels der beigefügten Steuerbescheinigungen und Berufsträgerbescheinigungen gemachten weiteren Erklärungen richtig gestellt. Das BMF-Schreiben vom 05.05.2009, BStBl. 2009 I S. 631 verbietet gerade nicht, diese Beträge in die prima facie dafür vorgesehen Felder der einschlägigen Formulare einzutragen, sondern gebietet insoweit lediglich die Abgabe zusätzlicher Erklärungen mittels der Steuerbescheinigungen und Berufsträgerbescheinigungen, welche – soweit sie steuerlich erhebliche Tatsachen betreffen – zutreffend abgegeben wurden. Die (konkludente) Erklärung, dass die materiellen Anrechnungsvoraussetzungen vorlagen, ist im Übrigen sowieso nicht tatsächlicher Art, sondern eine Rechtsbehauptung.
h) An diesem Ergebnis ändert auch die Unterscheidung von Anrechnungsverfahren und Festsetzungsverfahren nichts: Es gibt hier nämlich gerade keine Bindungswirkung zwischen dem Steuerfestsetzungs- und dem Erhebungsteil (Anrechnungsteil), denn ohne steuerbare Kapitalerträge der in § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG genannten Art gibt es von vorneherein keine KapESt-Entlastung, weil die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht vorliegen. Den Finanzbehörden standen daher (auf der Grundlage des nunmehr höchstrichterlich als einzig richtig erkannten Verständnisses der anwendbaren Vorschriften) vor und im Zeitpunkt der relevanten Entscheidung sämtliche Angaben tatsächlicher Art zur Verfügung, um die begehrte KapESt-Entlastung abzulehnen.Die von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle von unrichtigen Angaben im Sinne des § 370 AO in Folgebescheiden, die auch dann steuerlich erhebliche Tatsachen sein und nicht lediglich deklaratorische Wirkung haben sollen, wenn diese Angaben (auch) in einen Grundlagenbescheid aufzunehmen sind (s. dazu Jäger in Klein, AO, 16. Aufl., § 370 Rn. 43) sind auf die hiesige Konstellation nicht übertragbar. Zwar stellt § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG eine gewisse inhaltliche Verknüpfung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren her, so dass die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen nicht ohne Bindung an das Veranlagungsverfahren erfolgt (dazu BFH, Urt. v. 10.01.1995 – VII R 41/94, BFH/NV 1995, 779; vgl. auch BFH, Urt. v. 21.02.2003 – VI R74/00, BStBl. II 2003, 496: Anrechnung von KSt setzt voraus, dass die Einnahmen bei der ESt-Veranlagung der Gesellschafter erfasst werden; Steuerabzüge, die auf Einkünfte entfallen, die bei der Veranlagung nicht erfasst worden sind, sind von der Anrechnung ausgeschlossen, so Rüsken in Klein, AO, 16. Aufl., § 218 Rn. 19). In den von Jäger in Klein, AO, 16. Aufl., § 370 Rn. 43 angesprochenen Fällen der Grundlage- und Folgebescheide geht die Finanzbehörde jedoch davon aus, dass der in letzterem Bescheid aufgrund der ESt-Erklärung angesetzte Einkünftebetrag nach Grund und Höhe „richtig“ und auch dem einheitlichen und gesonderten Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) zugrunde gelegt und zu legen ist. Dies ist in den Fällen der Beantragung von KapESt-Entlastung gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG im Zusammenhang mit Einkünften aus gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG erworbenen Aktien gerade nicht der Fall. Hier ist die Finanzbehörde allein aufgrund der ihr zutreffend erklärten Tatsache (der Möglichkeit) eines Erwerbs qua „Leerkauf“ in einem cum/ex-Szenario in der Lage, die beantragte KapESt-Entlastung abzulehnen. Der Antrag beruht nämlich evident auf einer (am Maßstab der nunmehrigen richtigen Erkenntnis des seinerzeit geltenden Rechts) unzutreffenden Rechtsmeinung im Hinblick auf die Frage der Anteilseignereigenschaft iSd. § 20 Abs. 5 EStG und damit der Erzielung von Kapitalerträgen im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Die Finanzbehörden wussten hier bereits aufgrund des objektiven Inhalts der vorgelegten Formulare sowie (ab VZ 2009) Steuerbescheinigungen und Berufsträgerbescheinigungen, dass keine steuerbaren, dem Kapitalertragsteuerabzug unterliegenden Einkünfte erzielt worden waren, die Grundlage einer KapESt-Entlastung bzw. eines Abrechnungsbescheids iSd. § 218 Abs. 1 AO sein konnten.
[1] Mangels (wirtschaftlichen) Eigentums an den Aktien im relevanten Zeitpunkt waren die vereinnahmten Beträge in Höhe der Nettodividende keine Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, sondern vielmehr sonstige Einkünfte iSd. § 22 Nr. 3 EStG bzw. gewerbliche Einkünfte iSd. § 15 EStG, § 8 KStG, die nicht nur ex praemissione nicht zu einer KapESt-Entlastung gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG berechtigten, sondern vielmehr ihrerseits noch zu versteuern gewesen wären (insoweit ist allerdings jedenfalls bereits Verjährung eingetreten). Der seinerzeitige § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG (nunmehrige § 20 Abs. 3 EStG) enthält lediglich eine Klarstellung des Umfangs der Einkünfte gem. § 20 Abs. e 1, 2 EStG und ist dementsprechend nicht anwendbar, wenn solche Einkünfte schon gar nicht vorliegen.
Baker Tilly 4 Perspektiven. 1 Lösung. Weltweit.
1 JahrLieber Herr Schaffelhuber, ihre Ausführungen sind auf den Punkt - das heute durch pro-fiskalische Kommentatoren (Iwersen et al.) geschaffene Narrativ (vielfach oder mindestens zweifach erstattete Kapitalertragsteuer) ist bis heute weder empirisch noch akademisch (hier wären gefordert Prof. Spengel u.a.) beweiskräftig erbracht. Frau Brorhilker (Task Force/Staatsanwaltschaft Köln) wird ja mittlerweile durch „Halbierung“ ihrer internen Wertigkeit auf Normal-Niveau zurück gezogen … Sina lege nulla poenä muss weiter gelten - in den betroffenen (frühen) VAZ kann weder ein Berater noch ein Investor kriminalisiert werden …, sonst bewegen wir uns im Märchenwald, den Staatsanwaltschaft, Professoren und Politik sich bisher herbei wünschen und framen lassen … Kenntliche Grüsse, CJ