Ein Umzug bedeutet Veränderung, oder zumindest die Chance, sich von Dingen zu trennen, von der nie genutzten Saftpresse vielleicht, oder von der Ikea-Kommode, die spätestens nach dem dritten Auf- und Abbau aus jeder Spanplatte ächzt. Ein Umzug bietet Gelegenheit, sich neu einzurichten, etwas Neues auszuprobieren, frische Farben, ein anderer Stil. Ja, Veränderung kann anstrengend sein, manchen macht sie Angst. Aber sie kann Spaß machen, gar heilend wirken. Das gilt für Orts- und Wohnungswechsel ebenso wie für soziale Netzwerke.

Ich habe den digitalen Umzug vor etwa einem Jahr vollzogen. Noch ein Jahr zuvor, am 28. Oktober 2022, hatte ich mein Profil bei Twitter geräumt, nachdem ein rechtspopulistischer Verschwörungsideologe aus Südafrika die Plattform übernommen hatte. Sämtliche Tweets aus 13 Jahren warf ich unwiderruflich in die Papiertonne und meinen etwa 1.000 Followerinnen und Followern zum Abschied noch ein kurzes "Tschüss" in Form eines animierten Gifs entgegen. Nach einem Jahr Übergangsphase kam schließlich die Zusage für meine neue virtuelle Bleibe: ein Zugangscode für Bluesky.

Bluesky, manche erinnern sich, ist eines von mehreren Refugien, die gerne als "Twitter-Alternative" beschrieben werden, zusammen mit Mastodon und Threads. Die Hoffnung dieser Plattformen ist, dass Menschen, denen die Suppe aus Hass und Hetze inzwischen bis oben in der Timeline von Twitter/X steht, den Umzug zu einem neuen, alternativen Netzwerk wagen. In der Praxis klammern sich allerdings viele Nutzerinnen und Nutzer noch an X, als hätten sie einen alten Mietvertrag, wegen dem sie niemals ausziehen können.

Wie schlagen sich die Twitter-Alternativen?

Die Nutzerzahlen der alternativen Netzwerke bleiben deshalb überschaubar. Das dezentrale und nicht kommerzielle Mastodon zählt Analysen zufolge derzeit etwa neun Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Bei Threads sind es offiziell mehr als 175 Millionen, was aber daran liegen dürfte, dass es sich um eine Schwester-App von Instagram handelt, und sich viele Instagram-Nutzer angemeldet haben, nachdem es verfügbar geworden war. Wie viele Menschen Threads tatsächlich aktiv nutzen, ist eine andere Frage.

Und Bluesky? Dort freut man sich seit dieser Woche über 13 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner. Auch das ist nicht viel, so im Großen und Ganzen, aber wohlgemerkt steht das Netzwerk erst seit Februar dieses Jahres allen Interessenten ohne Zugangscode offen.

Allein im vergangenen Monat sind drei Millionen neue Nutzerinnen und Nutzer dazugekommen; zwischenzeitlich stand Bluesky in den USA auf dem zweiten Platz im App Store. Das lässt sich konkret auf Ereignisse bei X zurückführen: Zunächst wurde X nämlich in Brasilien gesperrt, wodurch zahlreiche der dort ansässigen User zu Bluesky gewechselt sind. Und vergangene Woche hat X die Block-Funktion aufgeweicht, sodass geblockte Nutzer ab sofort weiterhin die öffentlichen Beiträge der Blockenden sehen können. Die Entscheidung, von der jene Benutzer (und jener Besitzer) profitieren, die sich als nicht besonders angenehme Zeitgenossen erwiesen haben, hat offenbar weiteren X-Nutzern den Rest gegeben.

Der Umzug zu Bluesky lohnt sich

Am Donnerstag gaben die Betreiber von Bluesky außerdem bekannt, 15 Millionen Dollar frisches Kapital gesammelt zu haben, das unter anderem in neue Features investiert werden soll. Es tut sich also etwas. Und ohne nun das Blaue vom Himmel versprechen zu wollen, kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Der Umzug lohnt sich. 

Ich war jedenfalls schon lange vor dem Zerfall von Twitter unzufrieden mit der Plattform. Die Anzahl an Bots und Spam-Accounts, Krypto-Scams und Fake-News, Trollen und Demagogen hatte mir die Nutzung schon länger verleidet, weshalb ich zwar aus beruflichem Gehorsam regelmäßig die App geöffnet habe, sie aber seit Jahren nicht mehr privat genutzt habe. Mit der Übernahme von Twitter durch einen transphoben Milliardär hatte ich endlich einen weiteren guten Grund, mich von Twitter zu verabschieden – und meine Social-Media-Gewohnheiten zu überdenken.

Ein Argument, das viele Menschen gegen einen Wechsel von Twitter zu Bluesky oder anderen Alternativen anführen, lautet: Dort sind ja nicht alle meine Kontakte zu finden! Und das stimmt, denn natürlich wechseln nicht alle Leute sofort mit, und deshalb sieht es auf einer neuen Plattform aus wie in einer frisch bezogenen Wohnung: Es fehlt an der Einrichtung. Es hallt. Und was ist ein soziales Netzwerk, wenn niemand zuhört?