#03 | Warum Vermissen so wichtig ist

#03 | Warum Vermissen so wichtig ist

Es ist Reisetag 228 und ich beantworte nach wie vor Eure Fragen. Weil es gut an den letzen Beitrag anknüpft, gehe ich diesmal auf die Fragen von Leona Grulich und Heiko Bauersfeld ein.

Leona fragt:

„Wie sehr vermisst du die kleinen Dinge? Also z.B. die eigene Wohnung? Oder den Raum zum zurückziehen und Wohlfühlen?“

Und Heiko Bauersfeld wollte wissen:

„Was vermisst du am meisten?“

Vermissen. Das ist ja dieses Gefühl, dass man spürt, wenn man sich nach etwas sehnt, was man mal hatte und jetzt nicht mehr. Ich nehme Vermissen sozusagen als „2k-Gefühl“ wahr. Da ist einmal die Komponente Sehnsucht oder Verlangen, dem Bewusstsein, dass es mir an irgendetwas mangelt. Und dann gesellt sich die zweite Komponente, Trauer oder Bedauern, dazu und macht erst richtiges Vermissen draus. Ich meine damit diese Erkenntnis, dass sich dieser Mangel grade nicht beheben lässt. Vielleicht stimmst du mir zu, dass Vermissen meist ein unerwünschtes Gefühl ist. Für mich hat es jedoch eine wichtige Bedeutung.

Bevor ich dazu komme möchte ich noch festhalten, dass das Gefühl natürlich unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Und ist, zumindest bei mir, stark von den Umständen abhängig. Ein einfaches Beispiel: Nach ein paar Wochen Laos mit Toiletten mit Schöpfkelle statt Spülung und Mülleimer für benutzes Papier, denke ich anders über das deutsche Wasserklosett nach als nach einigen Wochen mit japanischen beheizten Hightech-Edel-Thronen.


Frage zum Einsieg an dich: Wen oder was hast du zuletzt vermisst?


Da das Gefühl von den inneren und äußeren Umständen abhängig ist, ist dem Vermissen meiner Meinung nach auch nicht immer ganz zu trauen oder zu viel Bedeutung beizumessen (Bin ich vielleicht grade einfach nur gelangweilt? Genervt? Hungrig?). Aber nach sieben Monaten unterwegs habe ich genug Daten gesammelt, um einige Erkenntnisse zu teilen. Also legen wir los. Denn das war ja die ursprüngliche Frage.

Während meiner Reise sind mir Dinge aufgefallen, die ich immer wieder vermisse. Zum Beispiel: Neulich roch ich in Kyoto Holzkohle und dachte daran, wie schön es wäre, wieder einmal mit guten Freunden an einem Sommerabend zusammenzusitzen und das Leben zu genießen. Besonders in Japan erinnert mich das Klima stark an den deutschen Sommer, im Gegensatz zum tropischen Inselleben in Thailand. Wenn ich dann noch sehe, wie die Daheimgebliebenen auf Instagram ihre EM-Grillabende teilen, spüre ich manchmal Sehnsucht.

Ich vermisse auch regelmäßig mein Leben und meine Freunde in Berlin: Den guten Döner und ordentlichen Techno, Samstage im Mauerpark, Sonntage im Sisy, Abende am Ostkreuz, Joggen durch die Großstadt und überhaupt den ganzen Vibe und das Lebensgefühl dieser Stadt. Ja, ich muss aufpassen hier nicht ins Schwelgen zu geraten.

Des Weiteren finde ich es schade meine Freunde nicht zu sehn. Und insbesondere bedaure ich bei denen, die kleine Kinder haben oder während meiner Abwesenheit welche bekommen, immer weniger an deren Lebensrealität teilzunehmen. Hier muss ich viel bewusster aktiv Kontakt halten, was mir leider nicht immer gelingt.

Und ja, dann gibt es die kleinen Dinge beim Essen: Gutes Brot, ordentliches Müsli, einen gescheiten Salat. Lange habe ich alkoholfreies Bier gesucht und mich sehr gefreut, in Japan endlich fündig geworden zu sein.

Was ich inzwischen gelernt habe ist das: All diese Dinge haben wenig mit physischen Objekten zu tun. Es geht eher um die Emotionen und Gefühle, die ich damit verbinde. Lass mich unten noch einmal darauf zurück kommen.


Zwischenfrage an dich: Was würdest du auf so einer Reise wohl vermissen? Und wie gut kümmerst du dich jetzt grade um diese Dinge, wo sie noch da sind?


Wo wir schon bei Gefühlen sind, so geht es bei Leonas zweiter Frage - so interpretiere ich sie zumindest - ja in die Richtung sich zu Hause fühlen. Da geht es meiner Ansicht nach um zwei Aspekte: Zum einen Geborgenheit und Verbindung und zum anderen um Sicherheit. „Home is not a place, it’s a feeling“, klebt sogar auf einem MacBook.

Ich vermisse es nicht eine eigene Wohnung zu haben. Ich habe letztlich seit Mai 2022 keine Wohnung mehr und es seither nicht vermisst eigene Dinge zu besitzen oder im eigenen Bett zu schlafen. Im Gegenteil. Der Prozess, mich von allem Hab und Gut zu trennen, war vor dieser Reise sehr positiv und befreiend. Dazu gerne in einem anderen Beitrag mehr.

Was aber nicht zu leugnen ist, ist dass mir ein Raum zum zurückziehen wichtig ist. Das Ruhe und vor allem Privatsphäre ein hohes Gut sind. Für mich muss der Ort aber nicht immer der gleiche sein. Schon in Berlin ging ich lieber in ein Café oder in den Park statt ins Wohnzimmer. So ist es auch jetzt und viele Hostels haben außerdem Gemeinschaftsräume, die auch Möglichkeiten bieten, mal für sich zu sein.

Was ich mehr und mehr merke ist, dass es schön wäre, eine gewisse Basis zu haben – einen Ort, an den ich bedingungslos und jeder Zeit zurückkehren kann. Wenn ich alle zwei, drei Tage das Lager wechsle und manchmal nicht weiß, wo ich übermorgen schlafe, fühle ich mich oft getrieben. Fast wie auf der Flucht. Ich frage mich oft, wie es wäre, obdachlos zu sein, denn das Gefühl kann sehr bedrückend werden. Im Zweifel kann ich zum Glück irgendwo für länger einchecken und alles mit Geld kurzfristig lösen. Das ist ein großartiges Privileg.


Frage: Gab es in deinem Leben auch schon mal Phasen ohne eine Basis. Wie bist du damit umgegangen?


Mein abschließender Gedanke ist folgender: Diese Reise lässt mich viel über Vergänglichkeit nachdenken. Das Positive am Vermissen ist, dass es ein guter Indikator dafür ist, dass einem etwas wichtig ist oder war. Es ist eine Binsenweisheit, dass wir Dinge erst schätzen, wenn sie bedroht oder fort sind. Banale Dinge sind häufig unterrepräsentiert. Um unseren Wohlstand sorgen wir uns, weil alle davon reden, dass er bedroht sei. Aber wie steht es um die leisen Dinge: Familie, Freunde, Freiheit, körperliche und mentale Gesundheit? Mein Vermissen wahrzunehmen ist mir wichtig, denn es lässt mich fragen, wem oder was ich echten Wert beimesse. Und im Zweifel auch, wo ich mich in Akzeptanz und Loslassen üben darf. Diese Fragen beschäftigen mich mehr denn je. Lass mich gerne in den Kommentaren wissen, wie es dir damit geht.


Roam free, live bold!

Sebastian


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Tobias Leisgang

Achtung - Zukunftslust kann ansteckend sein #tobimistic

5 Monate

Danke für die Inspiration am Sonntag morgen. Bei der Frage nach dem was ich vermisse musste ich lange überlegen. Eingefallen ist mir nur die Schnelligkeit (und die Form 🙈) meines jugendlichen Körpers, was mir regelmäßig beim Basketball bewusst wird. Viel spannender fand ich die Frage, was ich vermissen würde wenn es nicht mehr da ist. Das waren überwiegend Menschen und Eigenschaften, wie z.B. meine Neugier. Und fairerweise landeten nach einiger Zeit noch paar materielle Dinge auf der Liste, die es braucht um die Eigenschaften zu behalten oder mit Menschen in Kontakt zu bleiben.

Judith Kemper

UX Research at Siemens Healthineers

5 Monate

Vielen Dank fürs Teilen 🙏

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