Auf lange Sicht: «Eine gewisse Grosszügigkeit zahlt sich immer aus»

Auf lange Sicht: «Eine gewisse Grosszügigkeit zahlt sich immer aus»

«Eine gewisse Grosszügigkeit zahlt sich immer aus»

Warum einzelne Bauten sehr alt werden und andere nicht

Von Andreas Schwander

Bauwerke gehören zu den langfristigsten Dingen, welche die Menschheit erschafft. Der Bau ist eine der wichtigsten Branchen der Schweiz und in Investments-Portfolios gibt es immer auch Immobilien. Ob Privatperson, öffentliche Hand oder Firmen, oft machen Immobilien einen grossen Teil des Besitzes aus. Ihre Pflege und Weiterentwicklung ist entscheidend um Werte zu vermehren und zu erhalten. Doch wie baut man so, dass Immobilien auch für kommende Generationen einen möglichst grossen Wert haben? Wie plant man für eine Zeit, die man selber nicht mehr erleben wird?

Professor Adrian Altenburger macht sich an der Hochschule Luzern in Horw am Institut für Gebäudetechnik und Energie Gedanken zu solchen Themen. Er unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Formen von Immobilien: Wohnbauten und Zweckbauten. Wohnen und Leben und Schutz vor Wetter und Umwelteinflüssen ist ein Grundbedürfnis, das sich auch in Jahrhunderten nicht sonderlich verändert. Entsprechend können Wohnhäuser über sehr lange Zeitperioden genutzt werden.

Eine Halle für die Ewigkeit

Dagegen sind Zweckbauten, seien es Fabriken, Bürogebäude weit weniger «haltbar», weil sich das wirtschaftliche und technische Umfeld, für das sie gebaut wurden, schneller ändert. Das heisst aber nicht, dass sie nicht ebenfalls sehr lange alle möglichen Funktionen erfüllen können, obwohl sich die Welt um sie herum komplett verändert. «Ein gutes Beispiel dafür ist der Zürcher Hauptbahnhof», sagt Adrian Altenburger. «Die alte Haupthalle und ihre Position in der Stadt ist noch immer dieselbe. Der Verkehr ist gewaltig gewachsen seit dem Bau. Doch die Halle hatte immer einen Zweck. Seit sie anfangs der 90er – Jahre von Kinos, Kiosken und Gepäckaufbewahrung leergeräumt wurde, hat sie eine ganz andere Funktion als ursprünglich, als noch die Züge einfuhren. Und doch erfüllt sie diese neue Funktion perfekt». Adrian Altenburger hält Bahnhöfe und Eisenbahninfrastruktur grundsätzlich für gelungene Beispiele von langlebigem und in diesem Sinne nachhaltigem Bauen. Viele Bahnhöfe sind zu Stadtzentren geworden – auch dank den Eisenbahnen. Dieses relativ einfache Transportsystem hat sich als extrem entwicklungsfähig erwiesen, mit riesigen systemischen Reserven für Kapazitäts- und Entwicklungssteigerungen, die zum Teil aber auch von Anfang an absichtlich eingebaut wurden.

So wurde die Gotthardbahn von Anfang an für eine Geschwindigkeit von 80 km/h gebaut, obwohl zur damaligen Zeit noch keine Lokomotiven so schnell fahren konnten und die Standardgeschwindigkeit 30 km/h war. In der Umgebung von Basel wurden die Vorortsbahnen im Birsigtal und im Birseck anfangs des 20. Jahrhunderts absichtlich nach dem höheren Standard der viel leistungsfähigeren Rhätischen Bahn gebaut. Hundert Jahre später ermöglicht dieser Entscheid eine Transportkapazität, die vergleichbar ist mit U-Bahnen in Grossstädten. Für die ursprünglich dörflichen Vororte Basels ist dies heute in gewaltiger Vorteil. Das gilt es auch zu bedenken, wenn bei Abstimmungen über öffentliche Infrastrukturprojekte mit Schlagworten wie «Luxusprojekt» und «Geldverschwendung» argumentiert wird. Tausende von Infrastrukturwerken, welche zu ihrer Bauzeit leicht überdimensioniert waren und als «Luxus» verunglimpft wurden, sparen uns heute dank ihren Kapazitätsreserven Hunderte von Millionen Franken an nachträglichen Erweiterungsarbeiten.

Von 500 auf 2000 Studenten und es passt noch immer

An den Bahnen und ihren Bauten zeigt sich denn auch exemplarisch, was es braucht, damit Bauwerke lange ihren Dienst tun. «Grosszügigkeit zahlt sich immer aus», sagt Adrian Altenburger. Das gilt sowohl für Wohnbauten, wie auch für Gewerbebauten. Er erklärt das am Beispiel seines Arbeitsplatzes, der Hochschule Luzern in Horw. Bei der Eröffnung in den späten 1970er Jahren gab es da 500 Studenten. Heute sind es 2000. Zwar gibt es nun einen Erweiterungs-Masterplan, doch bisher wurde kaum etwas geändert. Doch die breiten Korridore, die grosszügigen Freiflächen, die flexiblen Räume haben eine Vervierfachung der Studentenzahl problemlos zugelassen.

Grosszügigkeit hilft aber auch bei Wohnbauten. Am schlechtesten gebaut wurde laut Altenburger Ende der 1960er anfangs der 1970er Jahre, in der «Hochkonjunktur» und vor dem ersten Ölschock. Damals wurde optimiert und gespart wo es nur ging – mit dem Ergebnis, dass die Häuser aus jener Zeit heute weitgehend wertlos sind und sehr oft abgerissen statt aufwändig erneuert werden. Dagegen sind vor allem Bauten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg extrem beliebt. Dort sieht man sie, die Grosszügigkeit mit sanft ansteigenden Treppen, breiten Korridoren und geräumigen Eingangsbereichen.

Raumhöhe ist Lebensqualität

Egal ob Wohnbau oder Zweckbau, wichtig ist immer auch Licht und Luft. Wenn man mit der Raumhöhe überall ans unterste Limit geht, lässt sich vielleicht ein zusätzliches Geschoss in die maximale Gebäudehöhe quetschen. Doch damit verliert das ganze Gebäude mitunter massiv an Wert. Denn hohe Räume werden als viel angenehmer empfunden, vor allem von grossgewachsenen Menschen. Ein Besuch auf einem Pausenplatz eines Gymnasiums zeigt, dass die Menschen immer grösser werden. Und die heutigen Gymnasiasten werden die minimal-hohen Rendite-Wohnungen der letzten Jahrzehnte meiden sobald sie es sich leisten können.

Die Kunst liegt dabei auch in den Proportionen, beziehungsweise dem Verhältnis von Raumhöhe und Raumtiefe. Kleine, aber zu hohe Räume werden als «Türme» wahrgenommen, grosse Räume mit niedrigen Decken als Höhlen. So können Grossraumbüros mit minimal- bis normalhohen Geschossen so unangenehm wirken, dass man als Besucher unwillkürlich den Kopf einzieht. Doch während man das unangenehme Gefühl bei zu hohen Räumen mit einer untergehängten Decke einfach beheben kann, gibt es bei zu tiefen Räumen keine Lösungen. Man sieht es schon heute an den zunehmend leerstehenden Bürogebäuden: Am schwierigsten zu vermieten sind jene, in denen angenehmes Arbeiten bedingt durch die Architektur nur mühsam möglich ist. Oft sind es Gebäude, bei denen von Anfang an überall gespart wurde. Da hilft meist nur der Abriss.

Aus den Augen aus dem Sinn – und immer ein Problem

Noch wichtiger wird das etwas grosszügigere Bauen bei allem, was man nachher nicht mehr sieht: bei Kanalisationen, Erschliessungen, Wasserversorgungen und auch Strassen. Unter Strassen, Parks oder Parterre-Ladenlokalen verlaufen Gas-, Telekommunikations-, Wasser-, Strom- und Abwasserleitungen. Wenn nun jeder Nutzer auf solchen vielfachgenutzten Grundstücken nur mit knapper Marge plant, ist dauernd irgendetwas kaputt, so dass immer jemand die Strasse aufreissen muss. Viele Gemeinden, in denen früh vorausschauend und etwas grosszügiger als nötig geplant wurde, profitieren noch Jahrzehnte später davon. Umgekehrt ist fehlende, überlastete oder schlechte Infrastruktur ein massives Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung.

Ein weiterer Punkt beim Umgang mit unsichtbaren, aber wichtigen Elementen ist die Trennung von primären, sekundären und tertiären Strukturen. Primär sind Decken und Stützen, sekundär sind nicht tragende Wände und Leitungen und tertiär Technik wie Motoren, Fenster, Filter und andere System mit Lebenserwartungen zwischen zehn und zwanzig Jahren. Primärstrukturen halten am längsten, Tertiärsysteme am wenigsten lange. Sie sollten austauschbar sein, ohne dass man den Boden aufreissen muss. Allerdings kann das nicht überall so durchgezogen werden. Wenn beispielsweise keine Rohre in Betondecken oder Wänden verlaufen sollen, sind sie sichtbar unter Decken oder an Wänden entlang. Das braucht zusätzlichen Platz und schön ist es oft auch nicht.

Welches sind die Bedürfnisse von morgen?

Bei aller vorausschauenden Planung darf man aber nicht unbedingt von heute auf morgen schliessen, betont Adrian Altenburger. Für die heute 30 bis 40jährigen ist Wohneigentum praktisch nicht mehr finanzierbar, während es die 50jährigen vielleicht gerade noch geschafft haben, bevor die Preise durch die Decke gingen. Gleichzeitig stagnieren die Löhne. Das schafft andere Situationen. Genossenschaftswohnungen sind bei jungen Familien wieder populär, die pro Person beanspruchte durchschnittliche Wohnfläche stagniert, nachdem sie jahrelang stetig gewachsen ist und sich alle Planungen danach gerichtet haben.

Es ist auch denkbar, dass wir die heutigen grossen Strassenräume und vor allem die noch viel grösseren Räume für Parkplätze dank selbstfahrenden Autos gar nicht mehr in diesem Masse brauchen werden. Damit wären auch die nun angeschobenen Ausbauten des Strassennetzes unnötig. Wenn man nämlich insgesamt weniger Autos braucht, welche dafür aber dauernd in Bewegung sind, eröffnet das auch raumplanerisch neue Möglichkeiten. Ein Beispiel dafür, welche raumplanerischen Konsequenzen die Verbannung (oder die Nichtzulassung) des Autos hat, ist Zermatt. Im «autofreien» Ort erledigen 600 Elektromobile den Verkehr, der in einem vergleichbaren Tourismus-Ort von rund 8000 Autos erbracht würde. Diese stehen aber meist herum. Die Bereitstellung der nötigen Strassen und vor allem der Parkplätze hätte die alte Dorfstruktur komplett zerstört. Weniger Autos, die dafür aber selber fahren, würde deshalb ein dichteres und billigeres Bauen ermöglichen, weil weniger Strassen und Zufahrten und vor allem auch viel weniger unterirdische Parkhäuser und Einstellhallen gebraucht würden.

Beispielhafte Altstädte

Schon heute ist die «autogerechte Stadt» der 1960er und 1970er Jahre nicht mehr gefragt. Dagegen erweisen sich historische Altstädte und Altstadtquartiere als geradezu zukunftsweisend. Trotz vieler Nachteile wie schlechter akustischer und thermischer Komfort, engen Räumen, steilen Treppen und fehlenden Liften sind Altstadtwohnungen sehr beliebt. Die Altstädte sind zudem Musterbeispiele für hoch verdichtetes Bauen und Durchmischung von Wohnen und Arbeiten. Und weil Altstadthäuser so dicht stehen, die Oberfläche im Verhältnis zum Volumen klein ist und die Häuser sich gegenseitig vor dem Wind schützen, brauchen Altstadthäuser oft viel weniger Energie als sie das rechnerisch sollten.

Energetisch kommt den Altstadthäusern eine Eigenschaft des traditionellen Bauens entgegen: die so genannte thermische Trägheit. Steine, Beton, Lehm, Ziegel oder Fachwerk – kurz Massivbauweise ist in der Lage, sehr viel Wärme zu speichern. Einmal aufgewärmt, kühlt die Masse so schnell nicht mehr ab. Das hat nicht nur im Winter deutliche Vorteile, sondern hilft auch im Sommer eine Überhitzung zu vermeiden. Dem steht das so genannte «Barackenklima» gegenüber. Leichtbauten wärmen sich sehr schnell auf und kühlen schnell ab, was sehr unangenehm sein kann. In modernen Holzhäusern baut man deshalb die energetisch träge Masse bewusst ein: mit Steinböden, einzelnen gemauerten Wänden oder Lehmplatten an den Wänden.

Auch Leichtbauten können ewig halten

Allerdings ist auch Holz ein extrem dauerhafter Werkstoff. In der Schweiz gibt es viele Holzhäuser, die mehrere Hundert Jahre alt sind. Und auch gut geplante Leichtbauten können trotzt gewisser Nachteile ewig halten, selbst wenn sie nur als Provisorium gedacht sind. So stellte man in Zürich vor ein paar Jahren erstaunt fest, dass ein Kindergartenpavillon beim Hornbachschulhaus im Jahr 1904 als Bausatz in Deutschland gekauft und mehrmals umplatziert worden war, je nachdem in welchem Quartier gerade Schulraum knapp war.

Das «Providurium» erlebte schliesslich mehr als 100 Jahre Schulbetrieb, bevor es einer neuen Wohnüberbauung weichen musste. Allerdings wurde der Pavillon nicht abgebrochen, sondern verschenkt, zerlegt, und an einem neuen Ort wiederaufgebaut.  

Möglichst wenig Technik

Neben sorgfältiger Planung, etwas Grosszügigkeit, thermischer Trägheit und ausreichend Licht und Luft gibt es noch andere Punkte, auf die man achten sollte, wenn man langlebig bauen will, betont Adrian Altenburger. Ideal ist, wenn man mit möglichst wenigen technischen Systemen auskommt, welche eine viel kürzere Lebensdauer haben als das eigentliche Gebäude: Klimaanlagen, Motoren und viele andere Anlagen.

Vieles was heute als «Smart» gilt und über einen Touchscreen bedient wird, ist in zehn Jahren hoffnungslos veraltet, während das Bauwerk selber noch immer relativ neu ist. Dagegen veraltet «smarte Planung» nie, wie viele Gebäude aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg zeigen. So können Mauern und Decken die Rolle von Wärmespeichern übernehmen. Mit geschickter Positionierung der Fenster kann man Häuser effizienter lüften oder im Sommer während der Nacht kühlen. Lehm an den Wänden kann die Luftfeuchtigkeit konstant und komfortabel halten und Kalk vermeidet Schimmel. Das alles geht auch mit komplizierten technischen Systemen.

«Da würde ich gerne wohnen!»

Egal ob Bahnhof, Schulhaus, Wohnblock, Einfamilienhaus, Brücke oder Tramsystem, gute Bauwerke erkennt man in der Regel sofort – am Flair, das sie ausstrahlen und an der Funktionalität, die man erlebt. Dabei gilt überhaupt nicht, dass früher alles besser war. Auch neue Anlagen und selbst solche aus den verschmähten 1970er Jahren haben es bisweilen. Wenn man es schafft, dieses Flair einzufangen, mit einem Gebäude, von dem wildfremde Menschen sagen: «Da würde ich auch gerne wohnen» oder «Das ist aber ein toller Arbeitsplatz», dann hat man etwas geschaffen, was noch während Generationen seinen Wert halten und steigern wird.

 

Adelheid Koria

Cardiology Nurse at German Heart Center Wellness Coach (IHK). Professional Practitioner of Classic and Sport Massage

7 Jahre

Stimmt genau.

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