Das „Worst-Case-Szenario“: Eine Situation virtuell und lustvoll gegen die Wand fahren lassen.
Diese Methode eignet sich hervorragend zur Aktivierung der verschütteten Energien von lethargischen, demotivierten Einzelpersonen oder Teams. Meist befinden sich die Menschen, denen diese Intervention hilft, schon in einem langen Erosions-Prozess, in dem der Großteil von Mut, Zuversicht und Energie für die anstehenden Aufgaben aufgerieben wurden. Dann ist der „Worst Case“ nicht mehr weit: Teams scheitern und lösen sich auf, einzelne Menschen resignieren, Unternehmen schlittern in bedrohliche Situationen. Die Intervention funktioniert regelrecht paradox.
Ich bitte die Klienten, sich folgender Frage mit Lust und Energie zu widmen:
„Was würden Sie tun – absichtlich, vorsätzlich und mit großer Lust – um das Team, das Unternehmen, sich selbst (Alternativen) vollends in die Kacke zu reiten, sodass diese dampft?“
Nach einer kurzen Phase der Ungläubigkeit entlädt sich meist ein Tsunami an Wut und Destruktion. Aber auch ein Beben des Lachens und der Erleichterung breitet sich aus, so wie neulich bei einem Team von Geschäftsführern, die weder untereinander und schon gar nicht in das Unternehmen hinein zu einem inspirierenden Modus gefunden hatten.
Die Beiträge brachen nur so aus den einzelnen Personen heraus und bewegten sich in einem von den Teilnehmern als endlich befreiend empfundenen Wettbewerb der Boshaftigkeiten.
Da kommen dann Ideen wie
- Wir beleidigen und enttäuschen unsere wichtigsten Kunden
- Wir demotivieren unsere besten Leute
- Wir überlassen unseren Eigentümern endgültig die Führung des lokalen Geschäfts
- Wir sabotieren die Server
- Wir löschen die wichtigsten Dokumente
- Wir leasen eine Flotte von Ferraris
- Wir informieren einander absichtlich falsch
In einem Einzel-Coaching hat eine zutiefst entnervte Kundin einmal bei dieser Übung neben vielen anderen bitteren Ansagen die folgenden „Worst-Case-Desaster“ aufs Flipchart geschrieben:
- Ich ärgere mich den ganzen Tag über mich und meine Mitarbeiter
- Ich werfe die Störer raus
An diesem Beispiel lässt sich der Mechanismus der Übung sehr gut verdeutlichen. Nachdem die Klienten sich ordentlich ausgetobt haben, wird die von vielen auch körperlich spürbare (negative) Energie ins glatte positive Gegenteil gedreht.
Das heißt: Man nimmt sich jede negative Idee einzeln vor und dreht sie nach Kräften in das glatte positive Gegenteil. Da hatte meine Klientin anfangs noch kleine Startprobleme, nachdem diese überwunden waren, stürzte sie sich mit Feuereifer auf die noch ungelösten Negativismen.
Sie hatte ursprünglich die Ansage „Ich ärgere mich den ganzen Tag über mich und meine Mitarbeiter“ reflexartig in „Ich ärgere mich nicht“ gedreht, was aber nur die Negation des Schlechten ergab und keine positive Umkehrung.
Auf meinen Hinweis hin reagierte sie mit „Na gut, dann freu ich mich halt!“ und war selbst überrascht von der positiven Energie, die sich trotz anfänglichen Trotzes in ihr breitmachte.
Auf dieser Basis machte sie sich auf die Suche nach den auch heute schon vorhandenen Anlässen, sich zu freuen und definierte vor allem jene Gelegenheiten, über die sie sich ab morgen freuen wollte. Erstmals seit langem hatte sie wieder ein Erreichungs-Ziel.
Dann drehten wir „Ich werfe die Störer raus“ um und auch hier gab es anfangs kleine Blockaden zu überwinden, weil sie die Perspektive, die Störer endlich loszuwerden, durchaus gefreut hatte. Schließlich entdeckte sie das positive Gegenteil:
„Ich mache die Störer zu Helfern!“ Bei der konkreten Umsetzungsarbeit entdeckte sie dann einen Mitarbeiter, der mit seiner peniblen Art alle KollegInnen genervt hatte, die sich auf die Entwicklung neuer Dienstleistungen konzentrieren wollten. Meine Kundin zog ihn aus diesem „Biotop“ heraus und bot ihm eine Stelle im Projektmanagement an, wo sich der Mitarbeiter sehr schnell sehr wohl fühlte und auch seinen früheren Kollegen durchaus hilfreiche Dienste leisten konnte.
Diese Methode funktioniert auch bei großen Teams.
Ich habe einmal ein Projekt für ein Team von 43 Personen betreut.
Über Kärtchen-Abfrage kam eine große Menge von Schrecklichkeiten an die Pinnwand.
Dabei kam die absolute Killer-Applikation zum Vorschein:
- Wir lassen alles so, wie es ist
Wir haben gemeinsam die Verwüstungen geclustert und dann die daraus entstandenen sechs Themenpakete in Gruppenarbeit übergeben.
Die Gruppen sollten nicht nur die positiven Gegengewichte erarbeiten, sondern auch konkrete Maßnahmen entwickeln, wie diese Gegengewichte auch im Alltag ankommen sollten.
Auch wenn diese Übung tatsächlich den gewünschten Erfolg hatte und im Augenblick der Entwicklung sogar noch übertraf, so bleibt doch aus dieser und vielen anderen Erfahrungen eine Erkenntnis unübersehbar klar:
Die Realisierung der Erkenntnisse verlangt ein hohes Maß an Disziplin und Ausdauer und vor allem auch beherzte Leadership, um die Themenpakete auch mit den entsprechenden Lizenzen bedienen zu können.
Wir haben es hier mit echtem „work in progress“ zu tun, der nur dann erfolgreich sein kann, wenn er nachgehalten und ständig an die neu entstehenden Gegebenheiten adaptiert wird.
„Lernende Organisationen“ haben den unschätzbaren Vorteil, sich kontinuierlich weiterentwickeln zu können. Der Preis: Achtsamkeit, Ausdauer, Kontinuität.