Die rosa Elefanten der Transformation
Wenn es um Transformation geht, reden wir schrecklich gern über Technologie. Künstliche Intelligenz, Blockchain - wir versuchen, die Logik, die Abläufe zu verstehen, damit wir die Einsatzmöglichkeiten und Auswirkungen einschätzen können - so weit, so gut. Das ist der einfache Teil.
Reden wir über das Schwierige. Das, was uns daran hindert, dem Buzzword "Digitalisierung" Taten folgen zu lassen. Die Beschäftigung mit uns selber. Eigentlich ist es selbsterklärend: wir erleben Veränderung in einer Tiefe und Geschwindigkeit, wie sie die Menschheit noch nicht erlebt hat. Natürlich bedeutet das, unsere gewohnten Verhaltensmuster und lieb gewonnenen Gewohnheiten müssen wir überdenken und in Teilen zu den Akten legen. Da, wo schon die Leitz Ordner stehen: im Archiv der Geschichte.
Beginnen wir bei den Visionären.
Tesla, Amazon oder ein Start-Up hatten keine Vergangenheit
Egal ob Tesla, Amazon oder ein StartUp wie retraced: Allen ist gemein, dass die Gründer verstanden haben, zu was Technologie in der Lage ist (siehe oben) und aus dieser Erkenntnis heraus haben sie etwas vollkommen Neues erschaffen. Sie können sich eine Welt vorstellen, die ganz anders ist als alles bisher Dagewesene. Der Klassiker Kodak ist genau daran gescheitert: Aus Angst, das Geschäft mit den Filmrollen aufzugeben, haben sie die Augen verschlossen vor der Welt und den Möglichkeiten der Digitalfotografie. Und das sind wir schon beim ersten rosa Elefanten:
Wo etwas Neues entsteht, muss Altes gehen.
Der erste rosa Elefant: Veränderung bedeutet, Abschied zu nehmen
Abschied nehmen fällt uns extrem schwer. Das ist der große Vorteil der Pioniere, sie haben keine Geschichte und können bei Null anfangen. Dabei wird uns genau diese Fähigkeit immer mehr abverlangt werden, als Gesellschaft, als Unternehmen, in der Politik und auch als Individuum.
Egal, ob es das Ende fossiler Energieträger ist oder ein vollkommen neues Verständnis von Mobilität, bei der das Auto nicht nur eine geringere Rolle spielen wird, sondern vielleicht auch als Besitz gar nicht mehr nötig sein wird. Wir können heute noch gar nicht abschätzen, welche Bedeutung Kryptowährungen wirklich haben werden. Unser Finanzsystem wird vermutlich noch einige Stresstests bestehen müssen. Rezo ist kein akkreditierter Journalist, trotzdem beeinflussen seine politischen Videos Wahlen. Die Liste ließe sich noch unendlich fortsetzen, aber das Prinzip ist klar: Die eigentliche Schwierigkeit besteht nicht darin, Neues intellektuell nicht zu erkennen, sondern zu verinnerlichen, dass die Erfahrungen und gewohnten Reflexe der Vergangenheit eben nicht weiterhelfen. Am Beispiel von Rezo ist es offensichtlich, wie die CDU am eigenen Leib zum ersten Mal bei der Europawahl erfahren hat: eine offizielle Antwort als PDF ins Netz gestellt, funktioniert nur so mittel.
Ich weiß, wie schwer die Aufgabe ist: sie hat mich vielfach begleitet in meiner Lebensgeschichte: Aufgewachsen im Ruhrgebiet der 70er Jahre, stemmte sich eine ganze Region gegen das Unvermeidliche: dass Kohle und Stahl kein Garant mehr sind für Wohlstand. In meine Zeit bei IBM fiel der Durchbruch von Cloud-Computing - in die Welt gebracht nicht von einem etablierten Wettbewerber, sondern vom größten Online-Händler der Welt. Reflexhaft wird das Neue geleugnet, klein geredet, dafür alle Hindernisse, die dem Pionier im Weg stehen, als unüberwindlich dargestellt. Mit anderen Worten: die Realität wird verleugnet, weil wir zu viel Angst haben, über die Konsequenzen nachzudenken.
Beispiel? Automotive: Tesla kriegt die Massenproduktion nicht hin, Elektroautos haben nur dann eine Chance, wenn der Staat die Infrastruktur baut. Banken: Bitcoin wird sich nie durchsetzen, Kryptowährungen sind etwas für Kriminelle. Dieses Gerede ist Zeitverschwendung. Zeit, die dem Pionier bleibt, den Vorsprung auszubauen. Darum steht Amazon da, wo es heute steht.
Im Wandel erfolgreich zu sein heißt also: die Realität akzeptieren und nicht versuchen, sie zu leugnen. Verhindern lässt sie sich sowieso nicht.
Der zweite rosa Elefant: das Neue willkommen heißen
Bei vielen meiner Vorträge und Workshops zu Zukunftsthemen erlebe ich immer wieder die gleiche Reaktion: “Wie können wir das verbieten?” “Das” ist hier ein Platzhalter für alles, was sich nicht mit alten Mustern vereinbaren lässt. Meine kurze, schmerzhafte und realistische Antwort: “Gar nicht.” Die Realität ist wie sie ist und richtet sich nur bedingt nach dem, wie wir sie gerne hätten.
Dieser Verbotsreflex ist gerade in Deutschland stark vertreten. Der Automobilbau hat uns unglaublichen Wohlstand gebracht. Wir wünschen uns also, die Welt möge doch bitte weiterhin viele Verbrenner kaufen. Alles andere macht uns Angst und hindert uns daran, aktiv diese Zeit zu gestalten. Stellvertretend für die meisten anderen Branchen zeigt sich hier, dass wir in zwei von drei Innovationsarten (siehe Clayton Christensen, The Innovator’s Dilemma) sehr gut sind:
Deutschland ist in zwei von drei Arten von Innovation richtig gut
Die erste Art: Innovationen, die bestehende Produkte besser machen, also das aktuelle Geschäftsmodell stützen
Die zweite Art: Innovationen, die es ermöglichen, mehr mit weniger Aufwand zu produzieren - also die Margen erhöhen, die Effizienz steigern.
Die dritte Art der Innovation ist die, die uns in die Zukunft trägt. Sie kostet Geld (davon haben wir genug), erfordert Kreativität, Risikofreude und eine Vorstellung des Möglichen. Wer disruptiv ist, sieht die Welt von der Zukunft aus. Genau hier fehlt es in den meisten Unternehmen. Weil wir uns zu sehr auf äußere Sicherheiten (bestehende Geschäftsmodelle, hohe Gehälter, Planzahlen) stützen.
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Disruption verlangt Kapital und innere Sicherheiten
Für Disruption braucht es innere Sicherheiten: Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in die der Kollegen und eine Zuversicht, in unübersichtlichen Zeiten aus dem Meer der Möglichkeiten zu schöpfen.
Und da ist er: der dritte rosa Elefant, der immer im Raum ist, der aber beharrlich ignoriert wird.
Der dritte rosa Elefant: ohne Vertrauen keine Chance auf digitale Transformation
Wir sind beim schwersten Punkt, weil er der größte Paradigmenwechsel ist. Dabei kommt er so schön kuschelig daher und ist doch so brutal: den hier schlagen wir knallhart auf dem Boden der Realität auf - denn wir müssen uns mit uns selbst beschäftigen.
Wir kommen aus der industriell geprägten Arbeitswelt: der Mensch als Rädchen im Getriebe der Organisation, in der er arbeitet. Wir könnten auch sagen als Erfüllungsgehilfe - egal ob Mitarbeiter oder Führungskraft. Alle müssen vor allem eins: Ziele erreichen, die in KPIs gemessen werden. Der Boden, auf dem die Bestandsinnovationen gedeihen konnten - die Sicherheiten der planbaren Welt. Führung war konsequenterweise Befehl und Kontrolle, das ist systemimmanent.
Wenn nun diese Führungskräfte plötzlich von Vertrauenskultur reden, schauen sie oft in leere Augen - und beklagen sich dann darüber. Hier beginnt nämlich das große Missverständnis. Vertrauen lässt sich leider nicht befehlen, jeder Einzelne von uns muss einen Vorschuss an Vertrauen geben - sonst ist es nur eine Worthülse.
Heißt konkret: Wir müssen uns also mit uns selbst auseinandersetzen. Vertraue ich? Können andere mir vertrauen? Was muss ich an mir selber ändern, damit ich andere inspiriere?
Was noch? Kommunikation. Die haben wir verlernt. Befehle austeilen und annehmen ist nur ein Fragment von Kommunikation, sie ist kein Dialog, vor allen Dingen wohnt ihr keine Wertschätzung inne. An der Veränderung der Kommunikationskultur lassen sich die Macher von den Schwätzern unterscheiden
Wie sich Macher von Schwätzern unterscheiden: die Art der Kommunikation
Wer nur einen Tischkicker aufstellt, wer schicke Lounges eingerichtet hat, ohne den Mitarbeitern Freiheitsgrade zu gewähren, wird scheitern. Sehr offensichtlich ist der Widerspruch in modernen Bürowelten, in denen kein W-Lan bereitgestellt wird und nur die Vertriebler über mobile Arbeitsgeräte verfügen. Da bekam ein abbruchreifes Haus einen schicken Anstrich. Wir spüren die Unstimmigkeit meist schon beim Betreten des Gebäudes.
Wie sollen wir kreativ, selbständig und vernetzt arbeiten, wenn wir das nie gelernt haben und dies auch nie erwünscht war? Dies geht ausschließlich in einer Umgebung, in der wir innere Sicherheit spüren: Das Vertrauen, wir selbst sein zu dürfen, Fehler zu machen, andere Sichtweisen zu haben.
Das ist eine große Aufgabe und sie ist vor allen Dingen eins NICHT: rosarote Selbstverwirklichung. New Work wird oft romantisiert, dabei ist es das Gegenteil: Perspektivenvielfalt, Entwicklung eigener Ideen, Eigenverantwortung sind anstrengend. Wir werden Konflikte austragen müssen, lernen zuzuhören und uns mit unseren eigenen Schwächen auseinandersetzen müssen.
Der erste Schritt: Die Erkenntnis, dass Veränderung sehr viel mit Emotion zu tun hat.
Die drei großen Emotionen des Digitalen: Abschiedsschmerz, Abenteuerlust, Vertrauen
Klaus Schwab, Gründer und CEO des Weltwirtschaftsforums, hat es einmal auf den Punkt gebracht
Wie das konkret klappt? Mehr davon im nächsten Artikel.
Digitalisierung ist Haltung.
Über mich:
Ich mache Digitalisierung greifbar durch konkrete Geschichten: Zu Technologien, Menschen und Organisationen. Immer mit Fokus auf den Chancen. Die Herausforderungen kommen noch früh genug. Sprechen Sie mich einfach an: Für Keynotes und Workshops.
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Transdisciplinary | Strategy/Business Development | Communications | Market Analysis | PR Texts | (e)Mobility | Automotive | Energy | StartUp | Digital Transform. | I4.0 | Advisory | T-Shaped | Climate Action | 320ppm
3 JahreVielen Dank! Gedanken: Die genannten Innovationen Erster und Zweiter Art sind in meinem Verständnis keine Innovationen. Denn sie bringen den Kund:innen (oder der Umwelt) nichts Neues oder Besseres, sondern sind nur "Innovationen" für die Innensicht, für das Unternehmen, und auch nur zum Vorteil für das Unternehmen. Natürlich ist es innovativ für das Unternehmen, z.B. dem Fahrwerk mit verbesserten Materialien bei geringeren Kosten etwas mehr Federungskomfort abzuringen. Für die Kund:innen ist es aber keineswegs innovativ, denn ein leicht verbesserter Komfort liegt bei einem Facelift nun einmal in der Grunderwartung. Eine Innovation muss bei den Kund:innen oder Nutzer:innen ankommen und dort wirken. Wie es Airbags waren und heute noch sind: tot oder lebendig, das sind Realitäten in der höchsten Dimension, welche eine Innovation auszeichnen. Die Innovationen Erster und Zweiter Art sehe ich als Evolutionen. Genau das, was Automotive in Perfektion beherrscht und zur Perfektion der Produkte geführt hat. Aber keinen Schritt voran bringt, weil nur bestehendes optimiert wird. Nur die Innovation der Dritten Art taugt zur Zukunftsgestaltung.
⭐️ Visionen verwirklichen, Veränderungen gestalten, Erfolgsgeschichten schreiben – Management und Consulting auf den Punkt gebracht. ⭐️
3 JahreToll geschrieben! Spannend fand ich noch mal die Sicht auf die großen Startups. Stimmt, sie haben keinen Ballast aber die „das kann nicht funktionieren“- Bedenkenträger. Mein Sohn ist mit einem Tesla von Berlin bis Barcelona gefahren - stressfrei. Der Kundenservice bei Amazon ist einfach top! Wir können nur staunen und lernen.
Board Level CMO I Head of Customer Experience & Innovation I Digital, Technology, Brand Building, B2B & B2C Marketing, OmniChannel Strategy & Execution, Scale-Up I Open for contracts in the Middle East & Europe incl. CH
3 Jahre3 Elefanten, die ich unterschreibe
Human Interface Architect / Pioneer / Life-long-learner / Teamlead Strategy / Digitalization and Innovation in Marketing
3 JahreDorothee Töreki Der Beitrag hat mich sehr angesprochen. Vielen Dank 😊