Die vier Jahreszeiten - eine Kurzgeschichte vom Loslassen und zulassen...

Die vier Jahreszeiten - eine Kurzgeschichte vom Loslassen und zulassen...

Es war einmal ein kleiner Elf, der beschloss es sich heute richtig gemütlich zu machen. Es wurden also Kerzen angezündet, der Kamin war an und spendete wohlwollende Wärme. Das Handy und die Klingel waren ausgeschaltet, denn der kleine Elf wollte sich ganz auf sich selbst konzentrieren- sich zeit geben, in dieser unglaublich schnelllebigen Gesellschaft.

Der Elf kuschelte sich also auf sein bequemes Sofa, deckte sich mit einer weichen und gut riechenden Decke zu, genoss seinen wohlriechenden Kaffee, während seine Gedanken mehr und mehr auf Reisen gingen.

Sie führten ihn zu einem abgelegenen Ort in einem riesigen Wald. Der Elf kannte diesen Ort, er kannte den Geruch, er kannte die Farben und er nahm sich zeit sich diesen Ort ganz genau anzuschauen. Seine Augen wanderten durch den Wald und nahmen jedes kleine Detail auf – die grünen Wiesen, das Moos, die Bäume, die kleinen Vögel, die auf den Baumkronen saßen, den Schmetterling, der vor seinem Gesicht tänzelte- an einem Baum jedoch blieben seine Augen besonders lange hängen … er näherte sich diesem Baum ganz intuitiv, wie von Zauberhand.

Mit jedem Schritt fühlte der Elf eine Sicherheit in sich selbst wachsen, eine wohltuende Wärme. Aus der Ferne sah es so aus, als würde der Baum sich recken und strecken. Seltsam dachte der Elf, so windig ist es hier doch gar nicht, dass sie Zweige sich so stark bewegen müssten.

In der Baumrinde zeigten sich auf einmal freundliche Augen, eine große Knollnase und ein lächelnder Mund! Wahnsinn, dachte sich der Elf und blieb kurz stehen- er fühlte sich sicher und geborgen und auf eine seltsame Art und Weise mit diesem Baum verbunden. Eine warme Stimme hallte zu ihm:

Genau auf dich habe ich so lange gewartet lieber Elf, endlich hast du zu mir gefunden, endlich kann ich dir meine Botschaft überbringen. Der Elf lief weiter auf den freundlichen Baum zu und spürte mit jedem Schritt, wie die eigene Sicherheit und die Wärme ganz tief in ihm wuchsen und wuchsen- ein unbeschreibliches Gefühl.

Der Baum sprach weiter: So lange habe ich auf dich gewartet, so lange habe ich mir gewünscht, dass du endlich den Weg zu mir findest, zu mir und auch zu dir selbst.

Der Elf war aufgeregt und fragte ihn – zu mir selbst? Ich war doch nie verschwunden? Der Baum lächelte ihn an und fragte, bist du dir sicher?

Der Elf hielt inne, es wurde ganz still um sie herum. Als bliebe die Welt für einen kurzen Moment stehen. Nach einigen langen Momenten fragte der Elf den Baum:

Wie kommst du darauf, dass ich verloren war?

Der Baum erwiderte, ich bin du, du bist ich – wir sind eins und in den letzten Jahren blieb ich fortwährend in einer Jahreszeit gefangen- kannst du dir vorstellen welche das ist?

Der Elf kniff die Augen zusammen.

Er wusste genau welche Jahreszeit der Baum meint… seine Lieblingsjahreszeit…

Der Baum sprach weiter: Ich bin nicht dafür geschaffen in einer Jahreszeit zu verweilen…Der Elf schaute den Baum mit großen Augen an, entgegnete aber nichts.

Der Baum sprach weiter: Alles hat seinen Sinn.

Alles erfüllt seinen Zweck.

Alles was es auf dieser Welt gibt folgt Zyklen auch wir.

Verstehst du?

Der Elf schüttelte den Kopf, nein nicht wirklich, ich liebe diese eine Jahreszeit in der ich, in der wir leben!“ Der Baum fragte den Elf , und, nimmst du die Schönheit dieser Jahreszeit immer noch so intensiv wahr wie früher? Nimmt sie nicht von Tag zu Tag ab?

Der Elf erschrak.

Ja, sagte er.

Das ist mir auch schon aufgefallen - Er überlete kurz ob er lügen sollte, doch das wäre wohl zwecklos.

Die Jahreszeit ist nicht mehr so schön, so freudvoll, so berührend für mich. Ein Tag gleicht dem nächsten, jedoch ist alles so bekannt, so sicher und es gibt keine Überraschungen.

Der Baum sprach weiter: Schau dir meine Rinde an, sie hat viele Risse, meine Äste sind geschwächt, meine Wurzeln sind nicht mehr so tief…

Der Elf wunderte sich und fragte: Ist das meine Schuld?

Und der Baum sprach liebevoll weiter:  Es geht nicht um Schuld oder um richtig und falsch. Es geht um uns, um das, was uns gut tut und das tut uns nicht gut.

Jede Jahreszeit erfüllt einen Zweck lieber Elf.

Was meinst du damit sprach der Elf.

Und der Baum erklärte: Jede Jahreszeit hat eine Aufgabe.

Der Frühling sorgt für neue Kräfte, für neue Knospen, Triebe und Neues hier sähen wir.

Der Sommer sorgt für Sonne, für Freude hier wachsen wir.

Der Herbst mit seiner vollen Farbenpracht schenkt uns so viel hier ernten wir.

Der Winter macht die Welt ganz ruhig hier verabschieden wir, damit der nächste Frühling erneut im vollen Glanze erstrahlen kann.

Der Elf schüttelte den Kopf – das will ich nicht!

Und der Baum sprach mit einer warmen Stimme weiter: Nichts existiert ohne Gegengewicht mein lieber Elf.

Kein Licht ohne Schatten.           

Keine Freude ohne Schmerz.                

Kein Neuanfang ohne Abschied.

Der Elf wurde leise und auch etwas traurig. Er dachte an das, was er alles verloren hat, an alles was er so lange versucht hat zurückzuhalten, in dem er an der einen Jahreszeit festhielt.

Er schaute sich auch die Konsequenzen dafür an.

Es ging ihm ein Licht auf.

In dem er versuchte das eine so stark festzuhalten, hat er beides verloren.

Das Licht und den Schatten, die Freude und den Schmerz, den Neuanfang und den Abschied.

Er blieb in einer Zwischenwelt stecken, die oft einfach leer war.

Leer und grau und wenig lebendig.

Gleichbleibend, ja das stimmt.

Ohne große Tiefen aber eben auch ohne große Höhen.

Der Baum schaute den Elf an und sah wie die Filme voller Trauer, voller Schmerz und voller Abschiede in seinem Gesicht aufblitzten- alle auf einmal und auch der Baum spürte diesen Schmerz.

Der Elf schaute den Baum wütend an und sagte, siehst du, deshalb halte ich an der einen Jahreszeit fest!!!

Und der Baum sagte mit einer warmen Stimme zu dem Elf:

Du wirst die Trauer, den Schmerz und die Abschiede nicht aufhalten lieber Elf. Der Baum schaute den Elf liebevoll an und sprach weiter: Du staust sie nur auf, damit raubst du uns Energie. Du beraubst uns unserer Lebendigkeit und wenn sie dann alle auf einmal kommen, und das werden sie, dann werden wir nicht standhalten können.

Denn ich habe keinen neuen Frühling erlebt, ich konnte keine neuen Triebe entwickeln

Ich konnte im Sommer keine Sonne speichern und meine Wurzeln tiefer und tiefer in die Erde bringen.

Ich konnte die alten Blätter im Herbst nicht loslassen und im Winter den Abschied durchleben…

Der Elf schaute den Baum an, mit Trauer in den Augen, Freude im Herzen, Lächeln im Gesicht und saß plötzlich wieder auf seinem Sofa, mit Kaffee in der Hand in einer wohligen Wärme und um Tonnen leichter.

Melissa Lobert 

Stefanie Maasland

Mehr brillante Mitarbeiter - mehr Sinn, Spaß und Erfolg für alle | Professionalität und Menschlichkeit im Einklang | system(at)isch - analytisch - empathisch

2 Jahre

Ein kleine Trance-Geschichte - wie wundervoll! Weißt Du eigentlich, dass ich den Winter liebe und der Dezember mein "heiliger Monat" ist. Nicht immer religiösen Sinne, sondern ganz im Licht der Reflexion, Innensicht und Neuausrichtung stehend? 😊

Anne Hohaus

-Herz und Verstand Hand in Hand

2 Jahre

Eine wunderschöne Geschichte, der Kreislauf der Natur würde sich selbst regeln, wenn der Mensch nicht ständig eingreifen würde und viel zerstört würde, was hinterher mit viel Aufwand und für teures Geld korrigiert werden muss .Alles hat seinen Sinn, lass die Natur doch mal machen, sie weiß, wie es gemacht wird. Muss erst der Mensch aussterben, damit die Erde gerettet werden kann? Wann wird man je verstehen? Vielleicht kriegen wir irgendwann die Erleuchtung  ,bevor es zu spät ist. Schön wärs!

Wunderschöne Metapher, Liebe Melissa, und so gut geschrieben und leicht zu lesen. Mir kam dazu 'Alles hat seine Zeit' in den Sinn, Prediger Salomo aus dem Alten Testament. Und natürlich Hermann Hesses 'Stufen': "Wir müssen weiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen, Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, Er will uns Stuf um Stufe heben, weiten..." www.lyrikline.org/de/gedichte/stufen-5494 ,hier von ihm selbst gesprochen. Darüber muss man wirklich immer und immer wieder Nachdenken..Der Elf in der Komfortzone ist eine tolle Analogie die im Gedächtnis bleiben wird. Jedenfalls in meinem.🧚♂️Danke dafür!😀

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