Digitale Prozesse gestalten
Wenn wir die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Abteilungen, Mitarbeitenden und Anwendungen verbessern wollen, brauchen wir digitale Prozesse. Eine Process Engine orchestriert, wann wer (Mensch oder Maschine) welche Aktivität ausführen soll und welche Informationen sie/er dazu benötigt. So können Unternehmen ihre Abläufe optimieren, ohne sich an Vorgaben ihrer IT-Anwendungen zu binden. Die Anwendungen sind nämlich auch nur orchestrierte Akteure, die dem digitalen Prozess folgen.
In diesem Beitrag lesen Sie, worauf Sie beim Design digitaler Prozesse achten sollten. Ein Leitfaden in 9 Schritten hilft Ihnen, die wichtigsten Aspekte im Auge zu behalten.
Wozu digitale Prozesse?
Niemand hat Lust, unnötige Arbeit zu erledigen, Dinge mehrmals zu tun oder stumpf Daten von einer Anwendung in eine andere zu übertragen. Wir pflegen Daten in Benutzerdialoge, ohne zu verstehen, was die angezeigten Felder bedeuten, tragen kryptische Kürzel in unverständliche Masken ein, weil die Standardsoftware das so vorgibt. Zur Einarbeitung sitzen Mitarbeitende in Schulungen und schreiben Notizhefte voll mit Schritt-für-Schritt-Anweisungen zum Erstellen von Buchungen. Ingenieure befüllen lange Excel-Tabellen, um Teilelisten für den Einkauf aufzubereiten. Das ist keine Digitalisierung, das ist Verschwendung!
Fachpersonen leisten sinnvolle Arbeit
In einem digitalen Geschäftsprozess erledigen Benutzer nur Tätigkeiten, die aus fachlicher Sicht Sinn machen. Überall da, wo Herz und Hirn eines Kundenbetreuers oder das fachliche Wissen einer technischen Expertin gefordert ist, sollen Benutzer mit den IT-Systemen interagieren. Sie sollen Wissen abrufen, neues Wissen hinzufügen oder analoge Entscheidungen treffen.
Der digitale Prozess sorgt dafür, dass sie alles bereits vorhandene Wissen finden, das sie dafür brauchen. Er trifft Entscheidungen, die anhand der Daten und der gegebenen Regeln eindeutig sind. Wo digitale Regeln nicht zum gewünschten Ergebnis führen, entscheiden die Fachleute. Der digitale Prozess fordert Transaktionen wir Buchungen in den Kernsystemen des Unternehmens an.
Wir werden in Zukunft die knappen Fachpersonen nicht mehr für stupide Erfassungstätigkeiten missbrauchen können.
Wie gestalten wir wirksame digitale Prozesse?
Start und Ende definieren
Die Abgrenzung, wo ein Prozess beginnen und wo er enden soll, ist eine Herausforderung für alle Organisationen. In der Regel starten wir einen digitalen Prozess, wenn alle Auftragsdaten dafür in digitaler Form vorliegen. Aber die "Inputstrecke" vom Kundenwunsch bis zum Datensatz erfordert Aufmerksamkeit. Hier liegt ein großes Fehlerrisiko.
Wertschöpfung vom Kunden her definieren
Was erwarten Kunden von unserer Prozessleistung? Wie wollen sie mit uns interagieren? Wie sollen sie die Kommunikation mit dem Prozess erleben? Diese Erwartungen bestimmen, welche Wertschöpfung für unseren Prozess relevant ist.
Wertstrom: die wesentlichen Schritte
Daraus leiten wir ab, welche Schritte für den Erfolg des Prozesses wesentlich sind. Arbetisschritte, wo wir Ergebnisse für die Kunden erwirtschaften, solche, in denen wir mit Kunden interagieren. Die Punkte im Prozess, wo wir entscheiden und die Punkte, wo wir auf Entscheidungen von außen reagieren.
Entscheidungen
Die Entscheidungen im Prozess spielen eine Schlüsselrolle. Wir stellen dar, wo wir im Prozess auf Entscheidungen der Umwelt reagieren (z.B. Auftrag erhalten oder nicht erhalten). Wir nennen die Entscheidungsoptionen und die Abhängigkeiten für unsere Reaktion. Für Entscheidungen, die wir aktiv im Prozess treffen, legen wir fest, nach welchen Kriterien und Regeln wir entscheiden und welche Informationen für eine Entscheidung vorliegen müssen. Dann können wir festlegen, ob wir eine Entscheidung automatisieren wollen oder nicht.
Benutzerinteraktionen
Überall da, wo menschliche Unterscheidungs- und Entscheidungskompetenz gefragt ist, gestalten wir Benutzerinteraktionen. Dazu müssen wir aufstellen, welche Informationen ein Benutzer an dieser Stelle benötigt, welche Informationen sie/er verändern oder neu hinzufügen soll. Diese Zusammenstellung ist der Bauplan für ergonomisch optimierte Benutzerdialoge im digitalen Prozess.
Informationsaustausch mit der Umwelt
Aus den Informationsbedarfen von Entscheidungen und Benutzerinteraktionen können wir ablesen, wann im Prozess welche Informationen benötigt werden. Alle Informationen, die bereits im Unternehmen vorhanden sind, müssen bereitgestellt, alle neuen Informationen durch Benutzer oder durch Input von außen hinzugefügt werden.
Kompetenzen und Rollen
Wer sind die besten Personen, um die vorgesehenen menschlichen Tätigkeiten auszuführen? Welche Qualifikation, welche Berechtigung, welches Wissen ist dazu erforderlich? Wo müssen die Tätigkeiten ausgeführt werden? Mit diesen Informationen können wir gestalten, welche Tätigkeiten wir zu einer Rolle zusammenfassen oder auf mehrere Rollen verteilen. Wollen wir Übergaben reduzieren, dann integrieren wir Tätigkeiten - auf die Gefahr hin, dass höher qualifizierte Personen auch solche Arbeitsschritte übernehmen, die auch andere Personen tun könnten. Wollen wir hingegen knappe Fachpersonen entlasten, dann differenzieren wir Tätigkeiten nach Qualifikation - bekommen dann aber mehr Übergaben im Prozess mit allen Folgen für mögliche Informationsverluste und Unterbrechungen.
BPMN-Modell des digitalen Prozesses
Mit diesen Design-Schritten gewinnen wir einen schlüssigen Ablauf für den digitalen Prozess, den wir leicht in ein maschinell lesbares Prozessmodell nach dem Standard BPMN (Business Process Model & Notation) abbilden können. Dieses Modell hat folgende zentrale Elemente:
- Benutzeraktivitäten - hier muss später ein Benutzerdialog anhand der oben aufgeführten Informationsliste erstellt werden
- Geschäftsregelaktivitäten - hier gilt es, die Regel für Entscheidungen in einem Geschäftsregelmodell zu hinterlegen. So, dass die Regel immer dann "aussteuert", wenn ein Mensch in die Entscheidung eingreifen soll.
- Service-Aktivitäten - hier fordert der digitale Prozess Services der Datenintegration an: Informationen, die in Systemen des Unternehmens bereits vorhanden sind oder Transaktionen, die in den Kernsystemen ausgeführt werden sollen.
Serviceverträge zwischen Fachprozess und IT-Integration
Die Achillesferse des digitalen Prozesses ist die Kompetenz im IT-Service, die Daten und Transaktionen in den unterschiedlichen Kernanwendungen des Unternehmen nach Vorgabe des Prozesses zu orchestrieren. Als Prozessdesigner haben wir die fachliche Aufgabe, die Anforderungen an diesen Datenaustausch präzise zu formulieren. Es gehört NICHT zur Aufgabe des Prozessdesign, den Weg der Daten durch die Systeme nachzuvollziehen oder zu wissen, welche Daten wo in welchem System bereitgehalten werden. Das ist das Wissen der IT-Integration.
Trennung von Fachprozess und IT-Integration
Gerade diese Trennung zwischen Fachprozess und IT-Integration ist der entscheidende Wettbewerbsvorteil einer prozessgesteuerten Digitalisierung. Denn der Fachprozess ist damit unabhängig von Änderungen in der IT-Landschaft. Wir können unsere Prozesse dank dieser Trennung so individuell und kundenzentriert gestalten, wie es für unsere Kundenbeziehungen passend ist - und unsere Kernsysteme in der IT bleiben gleichzeitig nah am Standard. Ohne übertriebenes Customizing oder Individualanpassung.
Die Leistungsfähigkeit der IT bewahren
Die IT kann sich darauf konzentrieren, Standardsysteme zu betreiben und Daten aus diesen Systemen zu integrieren. Das sichert die Leistungsfähigkeit der IT auf Jahrzehnte.
Sowohl eine Process-Engine, die den digitalen Prozess nach BPMN-Standard ausführt, als auch die Integrationssoftware, die die Daten aus den Systemen orchestriert, sind pure Standardsysteme. Da ist nichts geschraubt, verdreht und verschlimmbessert.
CTO exentra GmbH & EXP GmbH | Code Culture Podcast | THI
1 JahrDass du den Fokus auf einen klar definierten Scope in Form von Anfang und Ende des Prozesses legst, gefällt mir sehr. Ich würde sogar noch weitergehen: Der Digitalisierungsexperte muss den Start und das Ende des Prozesses möglichst gut vorab definieren, um bei der Anforderungserhebung und -dokumentation auch genau den richtigen Personenkreis einladen zu können. Sonst ist die Gefahr der digitalen Verzettelung extrem groß.