Ein Studium in den späten Zwanzigern

Ein Studium in den späten Zwanzigern

Als ich zu den "Erstis KMW" an der Universität Leipzig zählte, den Studierenden im ersten Fachsemester Kommunikations- und Medienwissenschaften, war ich bereits 28 Jahre alt. Und die Erfahrungen, die ich als erwachsene Frau im Studium machen durfte, waren leider unterirdisch. Nicht etwa, weil meine Kommiliton:innen so viel jünger waren – der Onus liegt hier allein bei den Dozentinnen und Dozenten.

Eines vorweg: für Heranwachsende, zu denen ja nun 18- bis 21-Jährige zählen, mag das Konzept der erziehungsbeauftragten Dozentinnen und Dozenten gerade noch funktionieren. Man hat meistens noch wenig Arbeitserfahrung, hatte vorrangig mit klar übergeordneten Personen oder aber mit Gleichaltrigen zu tun, und hat vielleicht noch nicht das Selbstbewusstsein, aus den persönlichen Soft Skills zu schöpfen und der eigenen Intuition zu folgen. Dem gegenüber steht aber eins: altersgruppenunabhängiger Respekt, den jede:r verdient. Und daran mangelt es zumindest vielen Lehrkräften, mit denen ich in meinem Studium zu tun hatte.

Mein Studium habe ich innerhalb von fünf Semestern beendet. Das wäre mir beinahe verwehrt worden, da es genau eine einzige Prüfungsleistung gab, die erst im sechsten Semester angeboten wurde. Mein Studium hätte sich wegen einer einzigen Veranstaltung à 90 Minuten pro Woche um weitere 6 Monate verlängert. Also nahm ich ein Jahr vorher Kontakt mit dem Dozenten auf, der das Seminar leitete, und bat darum, an der digitalen Veranstaltung teilnehmen und die Prüfungsleistung früher ablegen zu dürfen. Das wurde verneint, mit der Begründung, ich solle die Studienzeit genießen! Nie mehr wieder hätte ich so viel Zeit, und später sähe ich wehmütig auf die wunderschönen Studienjahre zurück, die viel zu kurz gewesen seien.

Erstens ist eine solche häufig als 'gutgemeinter Rat' betitelte Bemerkung per se übergriffig, egal, von wem sie kommt. Zweitens: meine "wunderschönen Studienjahre" bedeuten monatlich wachsende Kreditschulden bei Vollzeit-Studium und 50%-Job. Und drittens: ich habe im Studium nichts gelernt, was ich in meinem Beruf anwenden kann. In so einer Konstellation dann unbedarft zu fordern, dass diese Lebensphase länger als nötig herausgezogen wird, ist nach keiner Definition hilfreich oder zielführend. Ich denke heute noch immer wieder an diesen betagten, weißen Dozenten, und wie weit er seine Lehrtätigkeit wohl noch anderen, jüngeren Student:innen gegenüber zur Befriedigung des Egostreichelns ausnutzt.

Das ist nur ein persönliches Beispiel unter den anderen Schikanen in vollem Vorlesungssaal, die ich bei jungen Student:innen miterlebt habe. Seien es schnippische Bemerkungen, weil jemand zu spät kommt und sich leise setzt – dann aber die Vorlesung unterbricht, weil der Dozent sich hierdurch offenbar persönlich angegriffen fühlt und dazu äußern muss. Oder die sichtlich genervte Antwort-Mail, weil Studierende über zwei Wochen ohne Antwort wiederholt nachfragen müssen, ob ihre Abschlussarbeit nun eingegangen sei. Oder das Weiternutzen von Hausarbeiten der Student:innen, auch solche als Negativbeispiel, ohne die Autoren um Erlaubnis zu bitten oder ihre persönlichen Daten aus den Dokumenten zu löschen.

Emotion im Arbeitsalltag ist normal und kann nicht ausgeschaltet werden. Aber besonders, wer sich als Erziehungsbeauftragte:r sieht, sollte diese 'Erziehung' auch schadensfrei und konstruktiv für die Studierenden ausüben. Besonders gravierend ist die Unfähigkeit dazu, wenn eine solche toxische Emotionalität gegenüber Heranwachsenden stattfindet, und noch dazu aus einer klar definierten, strukturellen Machtposition heraus. Wie könnten Studierende je durchsetzen, mit Respekt behandelt zu werden, wenn sie damit ihre Note, im Folgeschluss ihre Karriere und Lebenszeit auf's Spiel setzen? Wer nun argumentieren möchte, dass den Dozent:innen ja irgendwann kein anderer Weg bliebe, solange sich die Studierenden nicht auch respektvoll verhielten, zieht sich damit de facto den Boden unter den eigenen Füßen weg. Natürlich handeln Heranwachsende anders als die doppelt so alten Arbeitskollegen von Lehrenden. Gerade weil Studierende zu einem großen Teil frisch von der Schule kommen ist es umso wichtiger, dass Dozent:innen sich ihrer möglicherweise erziehenden Machtposition bewusst sind. Denn wer sich selbst reif und erfahren nennt, bei dem sollte sich dieser Vorsprung auch im Handeln und Denken zeigen. Wenn das nun einzig dazu genutzt wird, andere Personen kleiner fühlen zu lassen, hat das nichts mit Reife und Erziehung zu tun, sondern einzig mit psychischer Gewalt.

Natürlich gab es einzelne Dozent:innen, die ihren Student:innen menschlich auf Augenhöhe entgegentraten. Aber auch hier gilt: wenn wir nun anfangen Verhalten zu belobigen, das eigentlich schon allein zwischenmenschlich selbstverständlich sein sollte, liegen unsere (Lehr-)Standards irgendwann am Boden und außerhalb jeder Rechenschaftspflicht.

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