Studentische Leitbilder
Hattest Du (implizit) ein Leitbild in Deinem Studium?
Ein Text von Isabel Steinhardt und Phil C Langer legt nahe, dass Studierende studentische Leitbilder haben. Diese Leitbilder sind am Ende eines Forschungsprozesses in einem Lehrforschungsprozess entstanden. Die wichtigste Erkenntnis: Die ersten Tage und Wochen an der Universität wurden von allen Studierenden als chaotisch, unübersichtlich, verwirrend und zum Teil überfordernd wahrgenommene. Egal, welches eigene Leitbild sie als Orientierung hatten. Mit Leitbildern sind in dem Zusammenhang sozial geteilte, mental verankerte und verinnerlichte Orientierungsmuster gemeint, die sich aus Vorstellungen von einer erwünschten und realisierbaren Zukunft speisen. Diese Leitbilder prägen Wahrnehmung, Denken und Handeln derjenigen, die das Leitbild teilen. Auch wenn sie sich des Leitbilds nicht bewusst sind.
Und ich frage mich nun, wie wirken sich diese Leitbilder auf studentische Partizipation aus?
Da ist zunächst das Leitbild Universität und Studium als Ort von Freiheit und aktiver Teilhabe. Das bezieht sich sowohl auf politische Teilhabe an der Uni als auch darauf, dass die Uni den Lebensmittelpunkt darstellt und diese Studierenden zum Teil auch ihre Freizeit an der Uni verbringen. Das Studium wird dann als Ort der freien Zeiteinteilung und großer Wahlmöglichkeiten wahrgenommen. Studierende, die dieses Leitbild haben, sehen es als ihre Entscheidung an, welche Texte sie für die Univeranstaltungen für wichtig halten und zu welchen Veranstaltungen sie hingehen oder wie sie ihre Zeit stattdessen verbringen. Sie sind sich bewusst, dass das Studium mit zeitlichen Anforderungen und Stress verbunden ist. Studierende, die sich an diesem Leitbild orientieren, haben vermutlich große Überschneidungen mit der intrinsischen Partizipationsneigung nach Ditzel/Bergt. Meine Wahrnehmung ist, dass wir an Hochschulen Partizipationsprozesse, wenn vorhanden, so gestalten, dass sie Studierende mit diesem Leitbild ansprechen. Allerdings ist dies nur eines von vier Leitbildern. Die Aufgabe ist es daher andere Partizipationsformate und Ansprachen für Studierende zu finden, die mit einem anderen Leitbild studieren.
Neben dem Leitbild der aktiven Teilhabe gibt es auch Studierende, die die Universität und das Studium als intellektuelles Paradies sehen. Für sie ist die Universität ein Ort des intensiven intellektuellen Austauschs und der umfassenden Bildung. Diese Studierenden kommen oft mit hohen Erwartungen an sich selbst und ihre akademischen Leistungen an die Uni – oft auch geprägt von Unsicherheiten, ob sie diesen Ansprüchen gerecht werden können. Sie sehen die Universität als einen Ort, den sie hart erkämpfen müssen, und das Studium als Möglichkeit, sich umfassend Wissen anzueignen. Interessant ist, dass diese Studierenden oft das Ideal eines freien, offenen Studiums haben, aber gleichzeitig den Druck empfinden, den Anforderungen der Universität und der akademischen Elite gerecht zu werden.
Für diese Studierenden geht es weniger um Partizipation im klassischen Sinne, sondern eher um die intellektuelle Teilhabe am wissenschaftlichen Diskurs. Um diese Studierende in Partizipationsformate zu integrieren, brauchen sie Vorbilder und Mentor*innen, die sie darin unterstützen. Auch sprachlich ist es für sie oft herausfordernd. Hier hilft es sich in Alltagssprache der beteiligten Studierenden zu versuchen und Partizipationsformate nicht nur in der gewohnten akademischen Sprache zu präsentieren.
Ein weiteres Leitbild beschreibt die Universität und das Studium als berufliche Vorbereitung. Studierende, die dieses Leitbild verfolgen, haben häufig ein klares berufliches Ziel vor Augen und sehen das Studium als den Weg, dieses Ziel zu erreichen. Sie sind zielgerichtet und fokussiert, wählen Veranstaltungen und Praktika gezielt nach ihrer Nützlichkeit für den späteren Beruf aus. Für sie steht die Vermittlung von „Werkzeugen“ im Vordergrund – Methoden, Theorien und Fähigkeiten, die sie für ihren Beruf brauchen.
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Hier könnte die Partizipation in Form von berufsorientierten Programmen und Netzwerken gefördert werden. Mentoring-Programme oder der direkte Austausch mit der Berufswelt – sei es durch Praktika, Workshops oder Alumni-Netzwerke – sind für diese Gruppe besonders relevant. Solche Angebote motivieren sie und binden sie aktiv in ihre berufliche Entwicklung ein. Für diese Gruppe ist auch wichtig, dass Partizipation sich für den Studienerfolg auszahlt, also in Form von CP oder Zertifikaten anerkannt bzw. bescheinigt werden kann.
Schließlich gibt es noch das Leitbild des Studiums als Raum für persönliche Orientierung und Selbstfindung. Diese Studierenden nutzen das Studium als eine Zeit, um sich selbst zu entdecken – sei es durch neue intellektuelle Impulse, das Leben in einer neuen Stadt oder durch das Lösen von familiären Bindungen. Sie sehen das Studium als einen gesellschaftlich anerkannten Freiraum, in dem sie sich mit ihrer Identität und ihren Interessen auseinandersetzen können, ohne sich sofort auf eine berufliche oder akademische Richtung festlegen zu müssen.
Für diese Studierenden könnte Partizipation in Form von informellen Netzwerken, Gruppenarbeit oder Workshops zu Persönlichkeitsentwicklung und Selbstfindung besonders wertvoll sein. Sie brauchen Freiräume, um auszuprobieren, was für sie funktioniert – sowohl akademisch als auch persönlich.
Die Vielfalt der studentischen Leitbilder zeigt deutlich, dass Studierende mit sehr unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnissen ins Studium starten. Während einige die Universität als Ort der intellektuellen Freiheit und Teilhabe begreifen, sehen andere sie als Sprungbrett für ihre berufliche Zukunft oder als Raum zur Selbstfindung. Partizipationsprozesse und -formate an Hochschulen sollten diese Diversität berücksichtigen und gezielt unterschiedliche Studierendengruppen ansprechen. Nur so kann Partizipation wirklich inklusiv gestaltet und für alle ein relevanter Mehrwert im Studium geschaffen werden.
Doch wie gelingt es uns genau unsere Partizipationsformate stärker auf die verschiedenen Leitbilder der Studierenden anzupassen? Welche Formate und Strukturen könnten wir schaffen, um Studierende mit einem klaren beruflichen Ziel oder dem Bedürfnis nach Selbstfindung stärker in die Partizipationsprozesse einzubinden?
Business & Bildungscoaching
4 MonateInteressanter Ansatz. Welche Erkenntnisse gibt es über die Faktoren, die die Entstehung dieser Leitbilder beeinflussen?