Donald Trump und die Macht von Narrativen
Wenn Geschichten aus dem Ruder laufen.
Von Thorsten Funk
Vier Tote, mindestens 50 Festnahmen: Stundenlang herrschte am US-Parlamentssitz Chaos, nachdem Randalierer aus den Kreisen der Trump-Anhänger das Kapitol gestürmt hatten.
Was hat einen Teil der Republikaner dazu gebracht, zu glauben, ihre eigene Demokratie sei gefährdet, um sie deshalb anzugreifen? Einen Anteil daran haben Geschichten, lateinisch "narratus".[1] Das Führen mit und durch Geschichten ist eines der heikelsten Bereiche der Menschenführung. Schon immer haben die Führungseliten ihre Ideen, Ziele und Vorhaben in Geschichten verpackt, zum Guten wie zum Bösen. Es scheint auch heute noch recht einfach zu sein, die Menschen durch "Storytelling" zu manipulieren.
Narrative gehören zum Menschsein, sie sind Teil einer jeden Gemeinschaft. Sie sind identitätsstiftend und geben Orientierung; allerdings mit der Gefahr einer verführerischen Wirkung. Nicht immer sind Geschichten auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, noch sind die wahren Motive des Erzählers zu erkennen. Sie können zum einen zur Höchstleistung, zum anderen in den Abgrund treiben.
Gefährlich sind gezielt eingesetzte Narrative, die sich auf ausgefeilte falsche Behauptungen rund um einen Fakt stützen. Dieser wahre Kern wird zum Beispiel mit Über- oder Untertreibung oder schlicht mit Unwahrheiten umgeben [2]. Dadurch kommt es zu einer Art „wahrer Lügen“, die, weil durch echte Fakten belegt, nur schwer als solche zu identifizieren sind. Werden derlei Behauptungen zu einem passenden Zeitpunkt und mit ausreichender Frequenz gestreut, fallen sie rasch auf fruchtbaren Boden, vermehren und etablieren sich nahezu virulent.
Wenn die Grenzen zwischen richtigen, falschen beziehungsweise veränderten Nachrichten verschwimmen, befürchten die Konsumenten manipuliert zu werden, und sehen dann nur noch das, was sie sehen wollen. Genau an dieser Stelle lässt sich der narrative Hebel effektiv ansetzen. Frei nach dem Motto „Ich erzähl dir deine Welt, wie sie mir gefällt“ entsteht eine Startrampe für Verschwörungstheorien.
Ein schönes Beispiel hat uns jüngst Donald Trump geliefert. Er hatte es im Wahlkampf zum 46. US-Präsidenten sogar geschafft, dass sich viele seiner Wähler nicht mehr den offiziellen Medien zuwendeten, weil sie Manipulation witterten und sich deshalb viel lieber in den sozialen Netzwerken bei Twitter und Co. bedienten. Damit setzten sie sich selbst noch mehr der Möglichkeit aus, „Fake News“ und alternative Fakten zu konsumieren. Ein Zustand, der noch lange nachschwingen wird.
Das Ganze gipfelte schließlich in einer neuen Dimension des Storytelling’s: Trump unterstellte Wahlbetrug bereits lange vor dem Abstimmungsprozess und untermauerte seine Geschichte von der „gestohlenen Wahl“ mit beleglosen, teils spannenden Betrugsvorwürfen. So sollen beispielsweise tote Wähler oder Computer Stimmen abgegeben und damit dem demokratischen Herausforderer Biden den Sieg erschlichen haben. Trump will bis heute die Wahl von Joe Biden nicht anerkennen. Nach einer aufstachelnden Rede demonstrierten seine Unterstützer vor dem Capitol, dem Sitz des US-Parlaments, gegen die Zertifizierung der Präsidentschafts-Wahlergebnisse. In der Folge wurde durch Randalierer das Kongressgebäude gestürmt und die Zertifizierung der Ergebnisse der US-Präsidentenwahl vom November - und Bidens Sieg - zunächst verhindert. Erst in der Nacht konnten die Abgeordneten ihr Arbeit wieder aufnehmen, um Trumps Niederlage bei der Wahl endgültig zu besiegeln.
Im Ergebnis sind die USA als eine der ältesten Demokratien zu ihrer hausgemachten eigenen „Dolchstoßlegende“ [3] gekommen, die durchaus Potenzial zur Wiederauflage erkennen lässt. Immerhin kann Donald Trump in vier Jahren noch einmal zur Wahl antreten.
-----------------
[1] Als Narrativ wird seit den 1990er Jahren eine Erzählung bezeichnet, die beeinfluss, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen.
[2] Diesen Zustand von Fakten bezeichnete K. Conway, Beraterin des US-Präsidenten Donald Trump, als „alternative facts“.
[3] Eine Verschwörungstheorie der deutschen Militärführung im Ersten Weltkrieg, die die Schuld an der eigenen Niederlage den Sozialdemokraten und anderen demokratischen Politikern in die Schuhe schob.
Literatur:
Frenzel, Müller, Sottong (2013) Storytelling - Das Praxisbuch, Carl Hanser Verlag München.
Erlach, Müller (2020) Narrative Organisationen, Wie die Arbeit mit Geschichten Unternehmen zukunftsfähig macht
Shiller(2019) Narrative economics. How stories go viral and drive major economic events. Princeton University Press, Princeton
IT-Service Manager & Leitung Konzeptentwicklung
4 JahreGerne habe ich auch Literatur hinzugefügt. Die bezieht sich deutlich auf die positiven Effekte, zumindest aus der Sicht der Führungskraft.
Vertrauen nachhaltig aufbauen. Verantwortung übertragen. Freiräume gewinnen. | Coach in IT und Software 💻
4 JahreDas ist eine interessante Beobachtung, Thorsten. Gibt es aus deiner Sicht auch ein Beispiel, wie Narrative für eine gute Sache eingesetzt werden?