Lob dem Andersdenkenden!
Guten Morgen liebe Freundin und lieber Freund, sehr geehrte LinkedIn-Community,
für Politiker, die sich nicht im Windkanal der Parteigremien haben aerodynamisch verformen lassen, gibt es in Amerika einen speziellen Namen: Man nennt sie Mavericks. Die meisten Mavericks tragen diese Bezeichnung wie einen Ehrentitel. Der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain zum Beispiel, den sein einstiger Gegner Barack Obama auf der Trauerfeier 2018 genau dafür ehrte:
John mochte es, unberechenbar zu sein. Er hatte kein Interesse daran, einer vorgefertigten Version dessen, was ein Senator sein sollte, zu entsprechen.
Bezeichnungen wie Paradiesvogel, Querdenker oder Eigenbrötler kommen der Sache im Deutschen nahe, ohne freilich den Kern auch nur zu berühren. Denn der Maverick ist zwar aus der Art geschlagen, aber erfüllt in der normierten Gesellschaft eine wichtige Funktion.
Er ist der Hofhund, der mit seismographischer Präzision seine Umgebung erspürt. Das Gebüsch raschelt. Er schlägt an.
Der Maverick ist das analogste aller Frühwarnsysteme, das sich zu Wort meldet, noch bevor der Gegenwartsbeton zu bröckeln beginnt. Der Wahnsinn als göttliche Vernunft, so hat es Emily Dickinson schon vor 150 Jahren formuliert.
In der Politik erfüllt der Maverick zuweilen die Funktion der rebellischen Teenagerin, die zwar von den Lehrern als Zumutung empfunden wird, aber zugleich als Sendbotin einer neuen Zeit betrachtet werden muss. Sie lernt die Regeln nicht, sie bricht sie. Talking about Revolution.
Man findet diese besonderen Menschen, die sich von der Mehrheitsgesellschaft nicht normieren lassen, in allen Altersgruppen und politischen Lagern. Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht, Wolfgang Kubicki und Boris Palmer, Claudia Roth und Karl Lauterbach gehören zur Fraktion der Nonkonformisten, deren Mitglieder ihren politischen Zaubertrank aus dem eigenen Brunnen schöpfen.
Ihre Vorväter und Großmütter sahen aus wie der Apo-Veteran Daniel Cohn-Bendit, die liberale Grand Dame Hildegard Hamm-Brücher und der CSU-Rebell Peter Gauweiler. Als ihr geistiger Wegweiser könnte der still vor sich hin philosophierende Eremit Botho Strauß dienen, der nicht müde wird, gegen „die Befehlsempfänger der Niemandatur“ zu polemisieren:
Lieber ein Knecht des Unfaßlichen sein, als ein Meister des Vorgefaßten.
Die wesentlichen Charaktereigenschaften dieser politischen Befehlsverweigerer sind schnell beschrieben:
Sie denken selber.
Sie formulieren farbig.
Sie empfinden die Kontroverse als Stimulanz. Sie lieben es, wenn es im parteipolitischen Porzellanladen so richtig scheppert.
Der Begriff „links“ stehe heute für viele Menschen nicht mehr für Gerechtigkeit, sondern für Selbstgerechtigkeit. Nicht wenige halten Privilegien für Tugenden. Sagt Sahra Wagenknecht und verpasst damit den Parteisoldaten aller Couleur, die den Gremienbeschluss mehr lieben als die Wirklichkeit, eine fröhliche Backpfeife.
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„Ich habe jetzt die Schnauze voll!“, sagte Boris Palmer erst in dieser Woche; er würde den Dschungel bürokratischer Corona-Maßnahmen am liebsten lichten. Und für die Grünen, die ihm ein Parteiausschlussverfahren eröffneten, mag er auch nicht mehr kandidieren.
Wolfgang Kubicki ist ein Bruder im Geiste, der allerdings in seiner Partei, der FDP, wohl gelitten ist. Er kämpft für die Meinungsfreiheit, die einige nur noch als Freiheit für die Mehrheitsmeinung verstanden wissen wollen:
Mir macht es große Sorge, dass auch viele junge Menschen das Gefühl haben: ‚Lieber nichts sagen als etwas falsches sagen.‘ Dieses Nichts-Sagen führt dazu, dass vieles ungesagt bleibt. Unter dem Humus des Ungesagten kann sich etwas entwickeln, was irgendwann dazu führt, dass unsere Demokratie in Frage gestellt wird.
Diesen eigenwilligen Charakteren verdankt die Bundesrepublik mehr, als sich dem Geschichtsbuch entnehmen lässt. Sie sind die Stoßlüftung, die in den Zimmern der Macht für Zirkulation und schließlich bei den Amtsinhabern für Durchblutung sorgt.
Ohne Kurt Biedenkopf ist der frühe Helmut Kohl nur schwer denkbar.
Ohne Gysi und Wagenknecht wären die Linken heute keine Partei, sondern eine Sekte.
Die Grünen der frühen Jahre waren eine einzige Querdenker-Truppe: Anarchie ist machbar, Herr Nachbar.
Fazit: Der Laie wünscht sich nichts sehnlicher als dass die etablierte Politik und der Andersdenkende in Abrüstungsgespräche miteinander eintreten. Doch im Parteiestablishment steckt mehr Putin als der Demokratie bekömmlich ist. Man will oft nicht streiten, sondern vernichten. Oder um es mit Peter Sloterdijk zu sagen:
Sieht man zu viel, rückt der Wahnsinn näher.
Ich wünsche Dir einen angenehmen Start in den Tag. Es grüßt Dich auf das Herzlichste
Dein Gabor
PS: In der Gesamtausgabe des Morning Briefings – für das Du dich hier kostenlos anmelden kannst – schreibe ich außerdem über folgende Themen:
Und auf unserem Nachrichten- und Podcast-Portal ThePioneer.de möchte ich Dir heute folgende Lese- und Hörempfehlung geben:
Strategische Beratung bei Transformationsprojekten
2 JahreKeine Frage. Demokratien leben von der Kraft der Ideen Andersdenkender. Der Mainstream ist nur das, was er immer war: Apparatschiks erklären Untertanen, was diese zu denken haben.
Prozessoptimierung in Unternehmen
2 JahreSo ist es ! Danke! Früher hieß es: unter den Talaren der Muff von tausend Jahren!! 😎
Senior Researcher, Analytical Chemist, Lecturer, Investigator, Prompt Writer, Evaluator
2 Jahre👍♥️👍 Lieber Gabor Geben Sie doch bitte Fortbildungskurse für Ihre 'Kollegen' vom RND - ich sammle Geld für den Kurs...
Juristische Unternehmensberatung Technology & Commercial
2 JahreGut gebrüllt: im Parteiestablishment der Bundesrepublik steckt viel Putin... Auch wenn nicht eine einzige Partei auch nur im Ansatz mit ihm fertig würde augenblicklich.