Failure Culture eats Strategy for breakfast!
📢 My Marketing F|ckUp, err. Failure Story!
Hallo, mein Name ist Matthias und ich habe eine groß angelegte Marketing-Kampagne in den Sand gesetzt…
Das war 2012. Das Jahr, in dem ganz Österreich - speziell aber wir bei Canon - wieder fußballverrückt sein durften: denn wir waren erneut "Official Sponsor of the UEFA EURO 2012™".
Unser Communications-Budget war zwar nicht mehr annähernd so hoch wie 4 Jahre zuvor, als die Fußball-EM im eigenen Land stattfand und der Konzern einen Großteil der Gelder auf Österreich und Schweiz konzentrierte - da durften wir ganze U-Bahn-Stationen und die öffentlichen Fanzonen in Canon Werbeplattformen umfunktionieren (z.B. durch einen 17m langen, Fußballbilder-Tunnel) -, aber Media-Budget und diverse Merchandise-Artikel waren auch diesmal wieder ausreichend vorhanden.
😎 Mein Plan: die "Perfekte Kampagne"
Als frisch avancierter B2B-Marketing-Manager wollte ich mich entsprechend einbringen und eine LeadGen-Kampagne entwickeln, "... die den Unterschied macht" - idealerweise eine, die unser Produkt- & Lösungsportfolio bestmöglich mit dem Thema Fußball verbindet.
Da der Stresslevel in der lokalen Marcomsabteilung enorm war - schließlich galt es in jeder Canon-Niederlassung gleich ein paar Private-Viewing Events für bis zu 1.200 Personen zu koordinieren - durfte ich mir nicht allzu viel Unterstützung „fürs Business-Marketing“ erwarten…
„Brauch‘ ich ja auch nicht. Hab‘ ja eh eine sensationelle Idee“:
Lasst uns doch Panini-Sticker und Supertrumpf-Karten kombinieren.
Nutzen wir typische, legendäre "Fußball-Rituale", wie das Sammeln & Kleben von Spielern. Das kommt sicher mächtig gut an!
Stickeralben haben ja speziell zu Zeiten von Fußball Europa- oder Weltmeisterschaften Hochsaison - auch bei uns im Haus wurde damals kräftig getauscht und geklebt. Und Supertrumpf-Karten (kennt man auch als Top-Trumps oder Autoquartett) würden uns erlauben, die verschiedenen Produktvorteile zu kategorisieren und untereinander vergleichbar zu machen. Beides zusammen führt uns zu personalisierten Spieler-Stickern mit entsprechenden Fähigkeiten!
Zum Beispiel Costa Contróla, einem spanischen Torhüter, der nicht nur gut darin ist, sein Team vor gegnerischen Toren zu bewahren, sondern auch, die entstehenden Druckkosten zu kontrollieren (d.h. er ist sehr stark im "Vermeiden"). Er war damals nicht nur unser MVP (Most Valuable Player), sondern verkörpert in dem Spiel unsere mittlerweile preisgekrönte Software zur Steuerung des Output-Managements in Unternehmen: uniFLOW.
Auf diese Weise, so dachte ich damals, könnten wir "... Geschäftsführer, Inhaber und leitende Angestellte aller Unternehmen in Österreich einladen, ihren Sportgeist zu beweisen und Strategien aus dem Fußball auf ihre Unternehmensstruktur anzuwenden". Das hat's dann auch genau so in den Pressetext geschafft :-).
Unsere Account Manager konnten also hemmungslos mit deren Kunden & Prospects über Fußball fachsimpeln und gleichzeitig mit ihnen über diverse Digitalisierungs-Strategien diskutieren.
Ich wollte einfach alles unterbringen. Die Ideen sind nur so aus mir herausgesprudelt: insgesamt 18 (!) Spieler*innen und deren Stärken bzw. Spezialfähigkeiten haben's schlussendlich in den Kader geschafft (es braucht ja auch ein paar Personen auf der Ersatzbank). Ich hab' so ziemlich alle Themenbereiche inkludiert, in denen Canon eine Lösung anzubiete hat: Von der Druck-Infrastruktur, über Produktivität & Sicherheit, bis hin zu Dokumenten-Management-Lösungen war alles dabei.
Und dann hab' ich gleich noch mehrere Spielformationen (offensiv, ausgewogen, defensiv) und deren Auswirkungen auf die Geschäftsstrategie unserer Kunden (wachsen, managen, vermeiden) entwickelt:
Ein Unternehmen, das neue Geschäftsfelder erschließt, würde eher "auf Angriff spielen" (d.h. 4:3:3), während Projekte zur Kostenreduktion als "Verteidigungs"-Maßnahme (und damit eher als 5:3:2) interpretiert werden dürfen.
Je nach Spielertyp (bzw. den dahinter liegenden Produkten) gab's dann sogar echte "Transfer-Zuschüsse", die man sich für sein Business sichern konnte, wenn man sich einen der Stars "ins eigene Team" holte.
Zwischen € 50,- (für ausgewählte Druckmedien) und 1.250,- (für die Integration der oben angeführten Output-Management Software) war uns das damals wert (bzw. dem Konzern, dem das "Mascherl" für den jeweiligen Support relativ egal war).
Die Idee, Sticker samt Alben zu produzieren, hab' ich zwar schlussendlich wieder verworfen (das hätten wir nie zeitgerecht umsetzen können - außerdem wär's dann evtl. doch etwas "zu nahe am Original" gewesen... von wegen Markenrechten udgl.), aber Sammelkarten und eine passende Microsite mit Gamification-Elementen - ja, die sollten sich eigentlich machen lassen...
🤩 Das fertige Konzept: Die Canon Allstars
Herausgekommen ist ein 15-seitiges Dossier zu den „Canon Allstars - eine Mannschaft, die Perspektiven bietet“. Heute liest sich das Ganze ein bisschen wie ein "a-little-bit-of-everything"... bzw. eigentlich wie ein "Zuviel des Guten".
Der Bogen spannt sich nämlich vom gedruckten, personalisierten Direct Mailing (inkl. offiziellem Spielplan-Raster), das an knapp 15.000 Kontakte (davon 25% Prospects) aus unserem CRM-System versendet werden sollte, über eine eigene Microsite samt zugehörigen Newslettern & Banner-Kampagnen auf Partner-Homepages, bis hin zu Private Viewing Events, bei denen vor dem Spiel noch Success-Stories (von den Kunden selbst) präsentiert werden.
Aber, außer mir, haben wahrscheinlich nur die involvierten Freelancer das Konzept eingehend(er) studiert.
... oder aber, ich habe "die Stimmen der Vernunft" (aka meinen Vorgesetzten und die eine oder andere Abteilungs-Kollegin) damals noch ganz gut ignoriert ;-).
Ich war jedenfalls absolut motiviert und voller Tatendrang - und das war (mir) wichtig -, denn der Anpfiff des ersten Spiels kam unaufhaltsam näher. Deshalb habe ich Grafiker, Programmierer & Co. gleich mal selbst koordiniert (das war vor Canon schon mal mein Job): Wie sagt der Volksmund? Wer viel fragt, geht viel irr...
Irgendwie ist sich damals auch alles ausgegangen. Ein paar Wochen vor dem offiziellen Ankick ging die Website online und ich durfte die fertigen Assets voller Stolz von unserem Druckdienstleister entgegennehmen.
🥳 Alles fertig. Alles paletti, oder?
Die erste Reaktion des Verkaufsleiters, dem ich sein EURO-Package (bestehend aus gedrucktem Info-Folder/Turnierplan samt mehrfacher Ausfertigung der Spielerkärtchen) überreichen wollte, war aber gänzlich anders als erwartet:
"Den kindischen Sch… nehm ich sicher nicht mit zu meinen Kunden.“
Sprach‘s und warf sämtliche Kartensets vor meinen Augen in den Mistkübel. Seine Mitarbeitenden haben das still lächelnd zur Kenntnis (und zum Vorbild) genommen.
Autsch, das hat gesessen. Da hab' ich wohl die Rechnung ohne den Wirt gemacht...
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In einer ersten (Trotz-)Reaktion hab' ich mir vorgenommen, dass ich ihm beweisen werde, dass das mit den Sammelkarten doch eine verdammt gute Idee war...
"Verkaufen" wir das tolle Konzept halt einfach "ohne Sales".
Wir schicken ja eh rund 15.000 gedruckte Mailings (inkl. pURL & QR-Codes, sodass die Empfänger die Registrierungsformulare nicht selbst ausfüllen müssen) und zusätzliche E-Mail Newsletter an knapp 40.000 Kontakte. Plus: die Banner auf den Partner-Seiten...
Ich war mir sicher: Die Leute werden uns die Tür einrennen...
😇 Was war ich damals doch naiv!
Auf den ersten Blick war die Kampagne nicht unerfolgreich: denn immerhin hatten wir jede Menge Kontaktpunkte bespielt (wenn man AdImpressions & Website-Aufrufe zusammen zählt haben wir die 100k-Marke locker übersprungen) - als Awareness-Kampagne war das Ergebnis also völlig in Ordnung. Und außerdem haben sich exakt 2.998 Personen "für die Allstars" registriert...
Aber, ...
da allerdings nicht einmal 100 "Teamchefs" (< 3,5%) die Vorschlagwerte für die ideale Business-Strategie verändert haben, muss ich davon ausgehen, dass der Großteil sich lediglich für das dahinterliegende Gewinnspiel interessiert (bzw. registriert) hat.
Eigentlich kein Wunder: wenn als Hauptpreise VorOrt-Tickets zu den Viertelfinalspielen (inkl. Flug, Unterkunft & VIP-Hospitality) warten, ist offenbar kein großes Drumherum mehr notwendig :-). Zusätzlich haben wir noch 150 Premium Abos vom Kooperationspartner Wirtschaftsblatt ausgespielt und 300 Canon Fan-Packages mit Sporttaschen, Bällen & IT-Accessories drauf gepackt. Am Ende wurde jede/r Teilnehmer*in auch noch zu einem unserer Private-Viewing Events eingeladen...
Kurzum: Das hätten wir deutlich "billiger" (d.h. mit weniger Aufwand) haben können.
Hat's die Allstars oder das Mailing überhaupt gebraucht? Oder die Webbanner... oder den Newsletter? War der Rücklauf, bzw. der Business-Impact "eh ok" für den Aufwand, den wir (vor allem ich) damals betrieben hatten, oder haben wir (also wieder ich) hier totale Ressourcenvernichtung betrieben?
Haben wir damit denn überhaupt Business-Leads generiert? Das war ja mein eigentliches Ziel, nicht die Brand-Awareness.
Ich will ganz ehrlich sein: Ich kann's nicht wirklich sagen, denn ich hab' damals komplett darauf vergessen, festzuhalten, von wo die Leads überhaupt kamen (UTM-Tags waren zu der Zeit noch gar nicht erfunden, und die Verwendungsrate von QR-Codes gleich Null).
Aber eines weiß ich ganz genau:
Mit den Sammelkarten hat jedenfalls NIEMAND gearbeitet.
Den Teil hätt' ich mir eigentlich komplett sparen können. Denn bis auf das eine oder andere Elternteil aus unserer Belegschaft, das die Karten zum Spielen für die eigenen (Klein-)Kinder haben wollte, gab's zu dem Thema nicht eine einzige ernstzunehmende Anfrage.
Hätte es was geändert, wenn wir anstelle der comic-haften Avatare echte Spieler*innen vor die Kamera geholt hätten? Nein, ich glaube nicht daran, dass das einen Unterschied gemacht hätte... es wär' nur empfindlich teurer geworden.
Unser Vertrieb war jedenfalls schon mit den verschiedenen Merchandise-Packages (Fußbälle, Fanzonen-Gutscheine, Rucksäcke, Kappen, etc.) ziemlich glücklich und hätte sich wohl noch deutlich mehr von derartigen Fanartikeln gewünscht - speziell die Replika Fußbälle waren heiß begehrte Ware. Die waren in kürzester Zeit "ausverkauft".
So leicht wie damals waren Neukundentermine nie wieder zu kaufen, err... zu bekommen ;-).
Und übers Business konnten sie mit ihren Kunden dann auch ohne die Karten reden - das tun sie nämlich tagtäglich.
Auch die Private-Viewing Events waren gut besucht. Bis zum Ende der Europameisterschaft durften wir 1.283 Gäste begrüßen - man hat auf den Events förmlich dabei zusehen können, wie sich Account-Manager & Kunden einander näher kommen...
Mein geknicktes (sollt' ich besser sagen: gekränktes?) Ego hat mich die Kampagne übrigens nach der EM noch bei einem internationalen Wettbewerb einreichen lassen (bei welchem genau lässt sich nach all den Jahren nicht mehr rekonstruieren). Andere Marketer würden ja wohl zu schätzen wissen, was ich da Tolles auf die Beine gestellt habe...
Das Feedback, das ich von dort erhalten habe, war aber ähnlich ernüchternd: erwartet hatte ich mir ja mindestens einen Stockerlplatz... geworden ist's dann eine "honorable mention". Ich interpretiere das als: "er hat sich (wenigstens) bemüht".
Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich's mir selbst eingestehen konnte, aber:
... ganz daneben lag der Verkaufsleiter mit seinem vernichtenden Urteil wohl nicht.
Meinem Chef bin ich heute unendlich dankbar, dass er mir diese Lektion ermöglicht hat. Schließlich hat es doch einiges an Ressourcen (aber vor allem meine Arbeitszeit) gekostet, dieses Konzept auf die Straße zu bringen...
Aber, wie heißt's so schön bei den FuckUp Nights: Failure Culture eats Strategy for breakfast!
🤫 Also: Wenigstens hab' ich dabei #wiederwasgelernt
Seit damals weiß ich: Mein erster Kunde ist der Vertrieb. Ihn gilt es "an Bord zu holen" - lange bevor ich mich an die Kunden da draußen wende...
Es gibt daher heute bei uns keine Kampagne mehr, ohne dass ich meine Kolleginnen & Kollegen im Verkauf nicht frühzeitig involviert oder zumindest ein paar ausgewählte Opinion-Leader (d.h. erfolgreiche Account-Manager und deren Sales-Manager) um deren Rat (und ggfs. Unterstützung) gebeten habe...
Verkaufen geht - speziell im B2B-Umfeld - ohne Sales (so gut wie) gar nicht.
Im Idealfall ist das Ganze am Ende sogar deren Idee, dann brauch' ich mir ums Sales-Commitment keine Sorgen mehr zu machen :-). Umgekehrt ist ohne Buy-in der Betroffenen so ziemlich jeder Kampagnen-Cent rausgeschmissenes Geld…
Das heißt jetzt nicht, dass wir als Marketer (wieder?) zurück in die alten Behübschungs- & Giveaways-Muster verfallen sollen - schließlich gilt es ja den Status-Quo zu challengen - sondern, dass wir miteinander am gleichen Strang ziehen müssen, wenn wir erfolgreich sein wollen.
Am besten geht das auf Augenhöhe: ich hab' mich nach und nach in die diversen Sales-Meetings hineinreklamiert (und aktiv mitgearbeitet) - und zwar so lange bis es sebstverständlich geworden ist, dass "das Marketing" immer mit dabei ist.
Wie ist das bei euch so? Wie eng arbeiten Marketing & Vertrieb zusammen? Gibt's Silos oder sind die beiden Bereiche gar organisatorisch zusammengelegt, als ein Team mit gemeinsamen Zielen wie bei Torben Fangmann?
Wir sehen uns in den Kommentaren... ich freu' mich auf eine anregende Diskussion mit euch!
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PS: In späteren Kampagnen habe ich dann gemerkt, wie erfolgreich wir sein können, wenn wir eng zusammen arbeiten (das könnt ihr bspw. hier oder da nachlesen :-).
PPS: was die Vorstellung unseres Produktportfolios betrifft, sind wir auch - dank unserer dt. Kolleg*innen - ein großes Stück weiter. Weniger verspielt, dafür deutlich wissenschaftlicher. Aber am besten, ihr macht euch davon selbst ein Bild.
Business Center Manager und Vertriebsleiter für unsere B2B Kunden in Westösterreich.
1 JahrWie immer sehr pointierte Darstellung 🤔🤣😎
On the sunny side of life 😀😎☀️
1 JahrSuper Beitrag Matthias und auch ganz gelesen….😉 jedenfalls lösen sich einige Fragen wie „das Marketing ist immer dabei“ jetzt auf👏
Vertriebs-Raketen & Marketing-Vögel = Better Together
1 JahrTop! Danke. Super Zitat: "Fehler vermeidet man, indem man Erfahrung sammelt. Erfahrung sammelt man, indem man Fehler macht." Laurence Johnston Peter
Meine Beiträge konzentrieren sich auf Innovation, Trends & Erfahrungen rund um die digitale Transformation in den Bereichen: eProcurement, P2P. Digitalisierungen von der Bedarfsmeldung bis zur Bezahlung als SaaS Lösung
1 JahrSehr cooler Beitrag Matthias 😂 😍 : Hab viel von dir bzw. bei Canon gelernt! So schaut es bei uns bei www.dig.at aus. Vom Erstkontakt bis zum laufenden Betrieb sind unsere Kunden von allen Bereichen "betreut" und somit sind wir abgestimmt. 360 Grad Sicht auf die Kundenbedürfnisse :-).. das ist das Ziel ;-)
Ich erinnere mich gut … ich glaub ich war eine der zitierten „Stimmen der Vernunft“ … aber hast halt nicht auf mich gehört 😉