Wohin mit den Kindern?
Die vergangenen Wochen habe schonungslos offengelegt, wie lückenhaft die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist, trotz aller Lippenbekenntnisse. Was lehrt uns die Coronazeit? Vielleicht, dass Familie und Beruf nicht vereinbar sind, zumindest nicht zu 100 Prozent - und es nie sein werden. Ein paar Überlegungen, zur Diskussion gestellt.
Es gibt einen Gedanken, der mich seit Jahren begleitet: „Vater sein bedeutet, zu früh von der Arbeit zu gehen und trotzdem zu spät nach Hause zu kommen.“ Nicht nur Mütter tun sich schwer mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern – siehe da – auch Väter. Daher ist es gut und richtig, wenn sie in unserer Gesellschaft zunehmend thematisiert wird und wenn sowohl auf politischer, als auch auf betrieblicher Ebene Initiativen ergriffen werden, um die Vereinbarkeit zu verbessern. Allerdings stelle ich fest, dass die Erwartungshaltung eine falsche ist und dass dies Unzufriedenheit stiftet: Seien wir doch ehrlich, Familie und Beruf sind nicht vereinbar – zumindest nicht zu hundert Prozent. Sie werden es nie sein!
Nur fordern ist zu wenig
In der öffentlichen Diskussion – und vor allem im öffentlichen Fordern – wird oft vereinfachend der Eindruck vermittelt, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf überhaupt kein Problem wäre, wenn man sie nur wollte: wenn die Politik genug Geld locker machen und die Arbeitgeber genug Verständnis für die Notwendigkeiten ihrer Belegschaft aufbringen würden. Abgesehen davon, dass die Politik nur lockermachen kann, was sie uns Steuerzahlern abknöpft, und abgesehen davon, dass es um die Vereinbarkeit bei den Arbeitgebern selber meist viel schlechter bestellt ist als bei ihrer Belegschaft, dies aber merkwürdigerweise ausgeblendet wird, muss uns klar sein: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird immer ein Ringen um Kompromisse bleiben.
In unserer modernen Gesellschaft wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zwangsläufig zur Herausforderung.
Unsere Gesellschaft hat sich gewandelt. Knapp 80 Prozent der 20- bis 64-jährigen Südtiroler*innen sind erwerbstätig oder waren es zumindest vor dieser Krise, auch weil sich erfreulicherweise deutlich mehr Frauen als früher beruflich verwirklichen. Wir sind zudem beruflich mobiler geworden, was den Vorteil hat, dass mehr Südtiroler*innen als je zuvor eine Arbeit tun können, die sie gerne machen, aber den Nachteil, dass wir von zu Hause weg sind.
In so einer Gesellschaft wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zwangsläufig zur Herausforderung. Das haben die vergangenen Wochen gnadenlos gezeigt: Wenn die Kindergärten und Schulen als Kinderaufbewahrungsstätten ausfallen und die Großeltern obendrein, dann ist Feuer am Dach. In Südtirols bäuerlicher Gesellschaft von einst wäre dies halb so schlimm gewesen.
Übrigens: Oma und Opa werden künftig regelmäßig als Kinderparkplatz für berufstätige Eltern ausfallen, weil sie angesichts späterer Verrentung selber arbeiten müssen. Folglich muss an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit Nachdruck gearbeitet werden, allerdings – wie erwähnt – ohne falsche Hoffnungen und ohne das plumpe Fordern gegenüber Politik und Arbeitgebern, das zu einfach ist.
Die Vereinbarkeit ist nicht kostenlos zu haben
Ja, die Politik muss Gelder umschichten, die Kleinkind- und Sommerbetreuung stärken, Elternzeiten großzügiger finanzieren, selbst wenn sie sich das angesichts der Schulden, die sie uns Steuerzahlern derzeit zur Linderung dieses Covid-19-Notstands aufhalst, in den nächsten Jahren eigentlich nicht leisten wird können. Und wir Steuerzahler müssen dahinter stehen, anstatt über die notwendigen Einsparungen an anderer Stelle aufzuschreien. Die Vereinbarkeit ist nicht kostenlos zu haben.
Die Vereinbarkeit darf nicht als Einbahnstraße missverstanden werden, sonst funktioniert sie nicht auf Dauer. Familien haben Bedürfnisse, aber Unternehmen auch.
Die Arbeitgeber ihrerseits müssen sich um maßgeschneiderte Lösungen mit ihren Mitarbeiter*innen bemühen. Sie tun dies im Eigeninteresse, weil es bekanntlich herausschallt, wie man in den Wald hineinruft, und weil die eigene Attraktivität im Wettbewerb um gute Mitarbeiter*innen wächst. Allerdings darf die Vereinbarkeit nicht als Einbahnstraße missverstanden werden: Echte Vereinbarkeit hat die Notwendigkeiten von Familie und Beruf gleichermaßen im Blick, sonst funktioniert sie nicht auf Dauer. Familien haben Bedürfnisse, aber Unternehmen ebenso, wenn sie am Markt bestehen sollen. Homeoffice kann eine Teillösung sein, zeigen diese Wochen. Und es braucht auch mehr betriebliche Kindertagesstätten, bei denen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Politik die Kosten zu gleichen Teilen stemmen.
Einfache Lösungen gibt es nicht. Aber Lösungen gibt es sehr wohl – oder besser: viele Teillösungen.
Christian Pfeifer
(Dieser Kommentar ist ursprünglich erschienen in der Südtiroler Wirtschaftszeitung SWZ vom 22. Mai 2020, www.swz.it)
technischer Direktor bei Agentur für Energie - KlimaHaus
4 JahreDie (Aus)Bildung und Betreuung junger Mitbürger durch Fachleute ( Pädagogen, Lehrer) ist wichtig für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft. leider haben sich diese in der Krise nicht bewährt. Wir Eltern können einen Beitrag leisten, aber diese Aufgabe nicht übernehmen. Es geht nicht immer um das Geld, sondern um die Einstellung.
Psychologe, Buchautor, andromedic-Hyperthermie, Yamamoto-acupuncture, microbioma, Wellnessfachmann und Limit-Coach
4 JahreEs gilt auszusprechen, was evident ist: die Familie, in der uns gewohnten Form, ist nicht mehr haltbar.
Culture & Smile
4 JahreSchöner Artikel, danke! Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen ist echt eine große Herausforderung. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft müssen an einen Strang ziehen und Möglichkeiten dafür schaffen… Da steht uns noch Einiges bevor! Im Kleinen helfen eine gute Organisation, Rituale, Regeln und zugleich ein gewisses Maß an Flexibilität. Da können wir viel aus der Regel des Hl. Benedikt lernen. Sie wurde vor 1500 Jahren für Mönchsgemeinschaften geschrieben, ist aber für jede Gemeinschaft eine Fundgrube!