GUTE KRÄFTE – Der FairPlus-Ansatz
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GUTE KRÄFTE – Der FairPlus-Ansatz

Autorin: Mag.a Susanna Kuncic, Leitung Management Consulting Programme bei ÖSB Consulting


1.      Ausgangssituation - Niedriglohnbranchen und formal geringqualifizierte Arbeitskräfte

Eine auf dem Arbeitsmarkt stark benachteiligte Zielgruppe sind Arbeitskräfte mit max. Pflichtschulabschluss. Personen aus dieser Zielgruppe werden in der Regel als Hilfskräfte in Niedriglohnbranchen eingesetzt. Sie werden für belastende Tätigkeiten herangezogen, wechseln Arbeitgeber häufig, weisen oft diskontinuierliche Erwerbskarrieren auf und werden unterdurchschnittlich an Weiterbildungsaktivitäten und Karrierechancen beteiligt. An Gelegenheit, eigene finanzielle und zeitliche Reserven aufzubauen, mangelt es oft.

Diese Reserven wären aber jene Reserven, die notwendig sind: für die Pflege einer eigenen Berufskarriere, Pflege der eigenen Kompetenzen, Aus- und Weiterbildung sowie für Rekreation der Arbeitsfähigkeit im Laufe des Erwerbslebens. Die Arbeitskräfte in traditionell weiblichen Niedriglohnbranchen wie Einzelhandel, Lebensmittelproduktion, Tourismus aber auch Teile von Sozial- und Pflegeberufen sind dadurch häufig früh „verbraucht“. Es entstehen in relativ frühem Lebensalter Einschränkungen der Erwerbs- Beschäftigungs- und Arbeitsfähigkeit durch gesundheitliche Probleme, veraltete oder verlorene Kompetenzen und Motivationsprobleme in Folge von Verzweiflung über fehlende Entwicklungsperspektiven.

Von den beschriebenen Dynamiken sind Frauen überproportional stark betroffen. Frauen sind in Niedriglohnberufen, Teilzeitbeschäftigung und Unterbrechungen ihrer Erwerbskarrieren überrepräsentiert. Zusätzlich korreliert formale Geringqualifikation in hohem Maß mit gesellschaftlich traditionellen Rollenverteilungen in der Familien- und Sorgearbeit. Den Frauen in dieser Zielgruppe werden vielfach sämtliche Familienpflichten übertragen. Alleinerzieher*innen sind darüber hinaus oft auch Alleinerhalter*innen von Kleinfamilien mit Kindern.

Den Unternehmen und dem Arbeitsmarkt gehen dadurch gute Arbeitskräfte verloren. Frühe Stärkung der beschäftigten Arbeitskräfte, das Einbeziehen in Karrieremöglichkeiten und das Beteiligen an Aus- und Weiterbildung beim arbeitgebenden Betrieb kann sowohl die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit langfristig erhalten als auch den Personen eine selbstbestimmte wirtschaftliche Existenz ermöglichen.

Menschen, die kein Empowerment bei ihrem Arbeitgeber erfahren, sind sehr gefährdet, sich aus dem Arbeitsmarkt zurückzuziehen, langzeitarbeitslos und arbeitsmarktfern zu werden. Arbeitgebende Unternehmen sind gegenüber der Aufnahme von arbeitsmarktfernen Bewerber*innen zurückhaltend. Die Förderinvestitionen in eine Rückführung arbeitsmarktferner Personen an den Arbeitsmarkt sind beträchtlich und oft vergebens.

Auf der Seite der Arbeitgeber*innen im Niedriglohnsektor finden wir Unternehmen aus Dienstleistungsbranchen aber auch Einzelhandel, Logistik und Lebensmittelproduktion. Vielfach konkurrieren Kleinstunternehmen und internationale Konzerne in den gleichen Absatz- und Arbeitsmärkten. Beiden Betriebstypen ist - aus unterschiedlichen Gründen - gemein, dass fürsorgliche stärkende Personalarbeit oft einen geringen Stellenwert hat. Gesunde KMU sind seltener als in anderen Branchen.

Arbeitgeber*innen der genannten Niedriglohnbranchen leiden häufig an Arbeitskräftemangel, insbesondere an einem Mangel an guten Kräften, die engagiert, leistungsfähig und verlässlich sind. Unternehmen sind dadurch in ihrer Leistungserbringung eingeschränkt und sehen sich mit massiven Arbeitgeber*innen-Risiken (Verlust von Aufträgen, Minderleistung, Motivationsmangel, Unfälle, Krankheiten, Anzeigen, Strafen) konfrontiert. Zum Beispiel berichten Reinigungsunternehmen, dass sie Aufträge nicht annehmen können, weil sie keine Arbeitskräfte finden. Gefährliche Corona-Cluster sind in Betrieben aufgetreten, in denen Arbeitsbedingungen prekär und belastend waren.

Die Stärkung der Unternehmen in ihrer Arbeitgeber-Fitness und die Förderung ihrer formal gering qualifizierten Beschäftigten in Richtung Weiterbildung und Karriere können solchen Risiken entgegenwirken. Das bringt Gewinn für alle Beteiligten: Betriebe, Beschäftigte, Kund*innen, arbeitsmarkt und Wirtschaftsstandort.


2.      Erfahrungen aus den Pilotprojekten FairPlusCleaning und FairPlusService

Das Projekt FairPlusCleaning wurde vom Arbeitsministerium mit ESF Ko-Finanzierung (Schwerpunkt Gendergleichstellung) in den Jahren 2017-2019 pilotiert. Eine Branchenrecherche und zielgruppenspezifische Konzeption von Beratungsinstrumenten und Kompakt-Training-Inhalten für Unternehmen und beschäftigte Frauen bildeten die Basis der Erprobung der Instrumente in 25 Unternehmen in 3 Bundesländern. Aufgrund der erfolgreichen Pilotierung und der arbeitsmarktpolitischen Potenziale des Pilotprojektes wurde im Rahmen einer österreichweiten Ausrollung des ESF-Schwerpunkts Gendergleichstellung das Nachfolgeprojekt FairPlusService beauftragt. Das 2020-2023 laufende Projekt FairPlusService richtet sich an Unternehmen mit einem hohen Anteil an formal gering qualifizierten Frauen in Niedriglohnberufen. Ca. 50 Unternehmen in ganz Österreich können erreicht werden.


3.      Der FairPlus-Ansatz

Der FairPlus-Ansatz beruht auf der Haltung von allseitiger Fairness: Kompetente Arbeitgeber*innen bieten guten Kräften faire Arbeitsbedingungen, Karrieremöglichkeiten und eine faire Entlohnung. Fairness ist ein hoher Wert, der auch gegenüber Kund*innen und innerhalb des Unternehmens vertrauensbildend und wertschöpfend kommuniziert werden kann.

Der FairPlus-Ansatz ist ein Dreifach-Gewinn: für Kund*innen, Unternehmen und Beschäftigte. Damit gelingt es, sowohl Arbeitgeber*innen als auch Beschäftigte und Bewerber*innen zum Mitmachen zu gewinnen und in eine positive Motivationsspirale zu kommen.


3.1.         Elemente des FairPlus-Ansatzes

  • FairPlus-Unternehmensberatung zur Stärkung der Arbeitgeber*innen-Kompetenz durch professionelle zielgruppenorientierte Personalarbeit
  • FairPlus-Kompakt-Training ist ein 2x2-stündiges arbeitsplatznahes Schnuppertraining für die Zielgruppe, abgestimmt auf den Bedarf des Unternehmens
  • FairPlus-Weiterbildungsstrategie: Unternehmen erarbeiten einen längerfristigen Plan zur nachhaltigen Verankerung von Lernen und Karriere für Zielgruppenpersonen im eigenen Betrieb
  • FairPlus-Förderung: Einsatz eines passenden arbeitsmarktpolitischen Instrumentenmix im Einzelfall
  • FairPlus-Karriere Coaching für Beschäftigte, zur Sensibilisierung für das eigene Potenzial und zur Aktivierung zu Weiterbildung, macht Mut und Lust auf Karriere
  • FairPlus-Case Management für Beschäftigte, um bei lebenssituationsbedingten Problemen zu helfen und zu entlasten
  • FairPlus-Recruiting, Unterstützung von AMS, Betrieben und Bewerber*innen beim Neueinstieg in den Betrieb, Begleitung des Onboardingprozesses


3.2.         Learnings aus dem FairPlus-Ansatz

Was kann der FairPlus-Ansatz für Unternehmen und Beschäftigte leisten?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass…

  • Entfernung vom Arbeitsmarkt verhindert werden kann, wenn frühzeitig und arbeitsplatznahe bei der gefährdeten Zielgruppe interveniert wird.
  • Unternehmen interessiert sind an Stabilisierung, Qualifizierung und Stärkung ihrer Hilfskräfte.
  • die Arbeitskräfte niederschwellige Lernanagebote im Betrieb gut annehmen, sich motivieren lassen und für eine stabile Berufslaufbahn zu gewinnen sind.
  • Karriere im Niedriglohnsektor möglich ist - das nützt den Unternehmen und tut den Arbeitskräften gut.
  • Interventionen effektiv, effizient und nachhaltig wirksam sind.
  • Unternehmen ihre Arbeitgeber-Fitness entwickeln können und so ihren Arbeits- und Fachkräftebedarf decken können.

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