Inspiratio spiritus
Bild: Gabi Stratmann

Inspiratio spiritus

Vom willentlichen Verstand und ganzheitlicher Wahrnehmung. Wie entsteht menschliche Produktivität?

Kennst du dieses Gefühl, dass immer dann eintritt, wenn du in deiner Kreativität förmlich aufblühst; wenn du eine Art Eingebung erfährst auf Fragen oder Problemstellungen und du dich im Nachhinein fragst, wieso du nicht gleich auf exakt diese Idee gekommen bist? Nach der ersten Euphoriephase über deine Erkenntnis, legt sich der kurzfristig aufkeimende Tatendrang auch schon wieder. Denn irgendetwas kann doch nicht stimmen. Soll das jetzt tatsächlich die Lösung sein? Das wäre ja zu schön, um wahr zu sein. Und viel zu einfach…

Ich erinnere mich noch, als ich in jungen Jahren von meiner Lehrerin ermahnt wurde, ich sei eine Träumerin, wäre nie bei der Sache und überhaupt viel zu unaufmerksam. Ob ich ausreichend Schlaf bekäme, denn ich würde auf sie einen müden Eindruck erwecken. Was ich sie nicht anmerken ließ, war die Tatsache, daß ich in Wirklichkeit voller Aufmerksamkeit war. Ich hatte die berühmten sieben Sinne klar beieinander, mein Geist arbeitete messerscharf und ich beobachtete unseren Dialog aus einer Art Vogelperspektive. Dieser „Perspektivenwechsel“ geschah scheinbar immer dann, wenn ich dabei war, für mich wichtiges von unwichtigem zu trennen. Ich befand mich einem Zustand der erweiterten Wahrnehmung, einem Gefühl von Losgelöstsein und völliger Gedankenlosigkeit – was mir natürlich erst im späteren Erwachsenenalter rückblickend bewusst wurde. In der Forschung sprechen wir von in der rechten Gehirnhälfte geprägten ganzheitlichen Zustand des Seins.

In diesem Zustand sind wir in der Lage, den Fokus unserer Aufmerksamkeit neu zu setzen und so die „Perspektive“ zu wechseln. Wir erschaffen eine Art Hologramm, indem wir unsere Instanz vom Inneren auf das Aussen verlagern, so dass wir in der Lage sind, beides zeitgleich zu betrachten. Der Einfachheit halber, lässt sich dieser Zustand etwa mit „Vorsichhindösen“ oder einem „Dämmerzustand“ (Dämmerzustand ist in diesem Fall im übertragenden Sinne zu verstehen und nicht mit dem med.-psych. Dämmerzustand zu verwechseln) beschreiben. Ich erinnere mich an unzählige Fachsimpeleien meines Vaters. Es ging um verschiedene Problemstellungen, in denen niemand so recht wusste, wie die damit im Zusammenhang stehenden Problemstellungen gelöst werden sollten. Ich saß einfach nur da und lauschte. Keine rechte Ahnung, wovon eigentlich die Rede war, lieferte ich ihnen die perfekte Lösung. Verblüfft schauten alle zu mir herüber. Dieses Phänomen wiederholte sich so lange, bis ich anfing, mich als „Lösungsgeber“ zur Verfügung zu stellen. Ich freute mich auf die Gespräche und war enttäuscht, keine Antworten mehr zu finden. Ich bin meinem willentlichen Verstand zum „Opfer“ gefallen. Denn dieser hatte meine ganzheitliche Wahrnehmung verhindert.

Was bedeutet der Zustand der inneren Ruhe für uns und unsere Produktivität?

Neurologen sind heute in der Lage, den Zustand unseres Bewusstseins, also unsere Gehirnaktivitäten sichtbar zu machen. Wird ein Zustand mit ausgeprägten Alphawellen – also „Vorsichhindösen“ gemessen, befinden wir uns außerhalb des unmittelbaren Einflusses unseres Verstandes. Im normalen Tagesbewusstsein jedoch halten wir uns im sogenannten Beta-Bereich auf. Hier liegen unsere Hirnfrequenzen zwischen 38 und 15 Hz. Das heißt, unsere bewusste Aufmerksamkeit ist mit logischen, prüfenden, trennenden und denkenden Prozessen beschäftigt. Bei einem hohen Stresspegel, Angstzuständen, innerer Unruhe und Zweifeln oder permanenter innerer Kritik, befördern wir uns in eine hohe Beta-Frequenz.

Kommen wir hingegen zur Ruhe, sinken unsere Hirnfrequenzen in den Alphawellenbereich ab. Diese liegen zwischen 14 und 8 Hz. Im Alltag lassen wir Ruhe jedoch kaum noch zu. Aktuelle Entwicklungen des Weltgeschehens beschäftigen uns, eine dauerhafte Präsenz in den medialen Kanälen erhöhen unseren Stressfaktor, Existenzsorgen und Zukunftsängste lassen viele am System zweifeln und geraten ins grübeln, etc. Individuelle persönliche Krisen haben immer dann eine traumatisierende Wirkung, wenn keine Lösungsmöglichkeiten erkennbar sind. In solchen schwierigen Situationen entwickelt sich irgendwann ein Moment, in dem der Betroffene das Gefühl hat, mit seinen Kräften am Ende zu sein. In Folge dessen lässt er los. In diesem Moment, überlässt unser verletztes Ego unserem eigentlichen Sein die Regie. Wir beginnen zu „dösen“ und befinden uns außerhalb des unmittelbaren Einflusses unseres Verstandes. Wir treten ein, in ein durch uns geschaffenes Hologramm. Wir wechseln die „Perspektive“. Aus psychotherapeutsicher Sicht würde dieser Zustand, besonders in Lebenskrisen, mitunter als Realitätsflucht beschrieben. Sämtliche historischen wie aktuellen bahnbrechenden Ideen und Erfindungen erfolgten und erfolgen auch heute aus Eingebungen. Ich wurde für meine wertvollste Idee, die wie einige wissen aus einer Lebenskrise heraus entstanden ist und aus dem mein heutiges Wirken und Produkt resultiert, für den Wissenschaftspreis nominiert. Große Erfinder und Entdecker wie beispielsweise Albert Einstein, erfuhren ihre revolutionierenden Erfindungen in einem „vorsichhindösenden“ oder auch halbschlafähnlichen Zustand. Nämlich dann, wenn ihr Verstand sich zurückgezogen hat und sie sich im Alphawellenbereich aufhielten.

Das unser Verstand unverzichtbar und wertvoll ist, wissen wir. Allerdings agiert dieser immer nur in seinen bzw. durch uns selbst verursachten und festgelegten Grenzen. Unser Verstand erarbeitet zwar einzelne Bestandteile von Erfindungen, doch die zündende Idee, die Grundinspiration sowie übergeordnete Zuordnung kann nur durch unseren Geist vorgenommen werden. Die Basis der Arbeit unseres Verstandes basiert auf Erfahrungen. Ebenso besteht die gesamte Forschung aus empirischer Erfahrungswissenschaft. Es werden Informationen gesammelt, im Labor oder auf dem Feld und systematisch verlaufend oder reproduzierbar untersucht. Doch geschieht dies im Prinzip auf den Grundstrukturen unseres Verstandes. Daher ist das Studium durch selektive Auswahlverfahren nicht jedem zugänglich. Doch zu echtem Fortschritt tragen empirische Erfindungen durch das Fehlen von „Einfachheit“, „Natürlichkeit“ und „Massenabwicklung“ so nicht unbedingt bei.

Produktivität und echtes Potential für qualitativ hochwertige Innovationen kann nur entstehen, wenn zur Intelligenz des Verstandes auch die Intuition des Geistes aus unserem Hologramm des Alphawellenbereiches hinzu kommen. In halbschlafähnlichen Zuständen entrinnen wir der Dominanz unseres Verstandes, wechseln die Perspektive und betrachten die Dinge quasi von oben.

Solange unser Verstand willentlich ausgelegt ist, solange verhindert er unsere ganzheitliche Wahrnehmung. Tagträumen wir uns also unseren Erfolg und überlassen unserem Selbst das Zepter.

Denn in diesem Zustand sind wir offen, für echte Inspiration, unerwartete Einfälle und unzensierte Eingebungen. Der tatsächliche Ausgangspunkt für Kreativität, Produktivität und Erfolg.

Gabi Stratmann


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