Jeder vierte Deutsche hat Migrationshintergrund.
Was ist Ihre spontane Reaktion darauf? Fühlt es sich bedrohlich an? Freuen Sie sich? Gehören Sie auch zu diese Minderheit? Fragen Sie sich wo sie alle herkommen, und wie lange sie wohl in Deutschland bleiben werden?
Das statistische Bundesamt hat die neuen Zahlen: Knapp zwei Drittel (65 %) aller Personen mit Migrationshintergrund sind aus einem anderen europäischen Land Eingewanderte und ihre Nachkommen. Dazu gehören zum Beispiel ich und meine drei Kinder. Wir fallen so nicht als „Ausländer“ auf, und meine Kinder sind hier geboren. Aber Migrationshintergrund haben wir definitiv, einen schwedischen. Ich habe den doppelten Pass, was sich richtig gut anfühlt. Für mich war es emotional und psychologisch einen wichtigen Schritt, den deutschen Pass aktiv zu erwerben (im Jahr 2012, nach 22 Jahren in Deutschland). Tatsächlich hat sich mein Gefühl der Dazugehörigkeit seitdem gesteigert. Das hätte ich so vorher nicht gewusst, ich habe es aber genau so erlebt. Und dennoch stehe ich ganz klar zu meinen schwedischen Wurzeln und möchte auf jeden Fall meinen schwedischen Pass behalten - als Teil meiner Identität. Dies gilt natürlich nicht nur für Menschen aus Schweden, sondern ich würde tippen für Menschen aus allen Ländern dieser Welt.
Deshalb bin ich ein großer Verfechter der doppelten Staatsbürgerschaft.
Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund stieg also auf 21,2 Millionen Menschen - doch der Zuwachs verlangsamt sich. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz war und ist dafür gedacht, um mehr qualifizierte Menschen aus dem Ausland nach Deutschland zu locken. Aber kommen sie auch wirklich, und wo arbeiten die Menschen, die zu uns kommen? Besonders viel Menschen mit nicht-deutsche Wurzeln arbeiten in Reinigungsberufen (55 Prozent), in der Altenpflege (30 Prozent) im Verkauf von Lebensmitteln (28 Prozent). Ja, diese Arbeit ist sehr wichtig und muss getan werden. Schön wäre allerdings, wenn mehr Migrant*innen eine höhere Ausbildung hätten oder hier bekommen um einen hoch qualifizierten Job machen zu können. Denn in vielen Branchen fehlen die Fachkräfte schmerzlich. Wenn wir die Kinder und alle Menschen im Land gut fördern würden, so dass eine höhere Qualifizierung möglich ist, dann müssten wir nicht so viele Arbeitskräfte im Ausland suchen.
Mein Sohn hat gerade Abi gemacht. In der Gruppe von ca 80 Jugendliche haben ca 45% ausländische Wurzeln: Russland, Türkei, Ungarn, Polen, England, und andere europäische Länder, auch Lateinamerika und Asien ist vertreten. Wunderbar, immerhin werden viele von diesen jungen Menschen studieren, einen Beruf lernen und sich vielfältig sowohl fachlich als auch als Brückenbauer zwischen Kulturen in die Gesellschaft einbringen. Sind das typische Ausländer? Gibt es den typischen Ausländer überhaupt? Wer fällt durch das Raster und wird nicht ausreichend integriert?
In der Schule findet wichtige Sozialisierung Jahrelang statt.
Damit echte Integration von verschiedenen Gruppen gelingt, müssen wir früh anfangen, denn die Schulzeit prägt unsere Kinder stark. Deshalb plädiere ich dafür, Religionsunterricht getrennt nach Konfession BUNDESWEIT zu streichen und durch Ethik/Religion als Fach wie etwa Geschichte oder Gemeinschaftskunde zu unterrichten. Ohne Pfarrer, Priester und Imame im Klassenzimmer. Familien können weiterhin natürlich privat gerne mit ihren Kindern in einem Gotteshaus ihre Wahl gehen. Denn, Religion ist Privatsache, Integration aber ist notwendige Gesellschaftspolitik. Und Integration kann in der Schule nur stattfinden, wenn alle Kinder gemeinsam über ihren verschiedenen Religionen lernen, diskutieren, sich gegenseitig zuhören. Eine solch tolle Möglichkeit für Begegnung und Austausch darf nicht länger weggeworfen werden. Gute Konzepte für solchen gemeinsamen Unterricht gibt es z.B. in Hamburg.
Und die Menschen die schon hier sind, sich um eine Ausbildung, Sprache und Integration kümmern? Wenn es sich um Geflüchtete handelt, droht leider immer wieder gut integrierte Menschen die Abschiebung. Diesen Unsinn muss aufhören, die Regeln und Vorschriften müssen geändert werden. Denn
solche Abschiebungen sind doppelt kontraproduktiv:
Deutschland verliert gute Fachkräfte mit interkultureller Kompetenz, und die Abschiebung sendet noch schlechte Signale an andere Geflüchtete. Anstrengung lohnt sich nicht… Dabei brauchen wir hier alle, die sich gerne einbringen und bleiben wollen, das zeigt eindeutig die Studie der Bertelsmann Stiftung von 2019.
Ich durfte in meine 30 Jahren in Deutschland sehr viel über die deutsche Kultur, Musik, Schriftsteller, Vereine, Gewohnheiten und vieles mehr lernen und auch in meinem Alltag übernehmen. Das ist ein toller Schatz, den wir (ja ich gehöre jetzt auch dazu 😉) mit allen die dazukommen teilen können und sollten. Das wissen all die engagierten Menschen, die sich z.B. in verschiedene Funktionen oder als ehrenamtliche für die Integration hier im Land aktiv einsetzen. Die meisten Menschen, die nach Deutschland kommen, sind mehr als bereit, mit uns die Feste und Traditionen mitzufeiern - wenn sie dabei auch ein bisschen ihre eigene Tradition und Herkunft behalten dürfen. So wie ich immer noch Midsommar und Santa Lucia mit meiner schwedischen Community feiere. Sonst fehlt mir was.
Jeder vierte Deutsche hat Migrationshintergrund. Ja, und es dürfen ruhig mehr werden.
User assistance and translation enthusiast, new work team leader, career consultant and coach
4 JahreDa wir wohl alle aus Afrika stammen, haben wir alle einen Migrationshintergrund ...
Managing Director bei SNRecruiting
4 JahreSchöner Artikel liebe Annika! Die Frage nach der Identität und Zugehörigkeit stelle ich mir immer wieder, und habe noch keine richtige Antwort für mich gefunden..