Klimaschutz: Gesetzlichen
Handlungsspielraum nutzen
Das Bundeshaus in Bern

Klimaschutz: Gesetzlichen Handlungsspielraum nutzen

Seit dem Klima-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) wird in der Schweiz ebenso leidenschaftlich wie kontrovers über dessen Folgen diskutiert. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung ist Fakt: Mit der aktuellen Politik ist die Schweiz weit davon entfernt, die eigenen sowie die internationalen Klimaziele zu erreichen. Fakt ist auch: Im politischen System der Schweiz hat das Volk das letzte Wort, entsprechend begrenzt ist der Handlungsspielraum der Politik.

Doch ist dieser Spielraum hinsichtlich Klimaschutz tatsächlich bereits ausgereizt, wie häufig zu hören ist? Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben uns einige Gesetze und deren Umsetzung genauer angesehen und dabei zahlreiche, durch das Volk oder Parlament legitimierte Möglichkeiten ausgemacht, wie in Sachen Klimaschutz nicht nur nachgebessert werden kann, sondern aufgrund der klaffenden Klimaschutz-Lücke auch muss:

  • Klimaschutzgesetz: Der Bund lässt die Möglichkeit, die Finanzbranche stärker auf Klima- und Umweltschutz auszurichten, praktisch ungenutzt. Dabei ist die Umlenkung der nationalen und internationalen Geldflüsse der wichtigste Klimaschutz-Hebel der Schweiz. Auch fehlt bislang die Umsetzung der Vorbildrolle von Bund und Kantonen, wie sie im Gesetz zwingend vorgesehen ist.
  • CO2-Gesetz: Da diese Gesetzesrevision stark auf Förderung durch zweckgebundene Abgaben mit ohnehin beschränkter Wirksamkeit setzt, sollten diese nun zumindest entlang der gesetzlichen Maximalbeträge ausgerichtet werden. Zielvereinbarungen mit Unternehmen und den Treibstoffimporteuren sollten den gesetzlichen Spielraum nach oben nutzen.
  • Stromgesetz: Das Gesetz ist ein Meilenstein für die Energiewende. In den Verordnungsentwürfen zur Umsetzung besteht aber noch viel Luft nach oben. So könnte die Planungssicherheit, etwa für den Bau von Solaranlagen auf Gebäuden, deutlich verbessert werden. Die Vorbildrolle des Bundes in den Bereichen Solar und Effizienz wird im Verordnungsentwurf nicht umgesetzt.
  • Umweltschutzgesetz: Insbesondere im Bauwesen kann der Bundesrat nun Bestimmungen einführen, welche den Fussabdruck des Neu- und Umbaus massiv reduzieren. Die neuen Bestimmungen zur Kreislaufwirtschaft erlauben es, hier die fortschrittlichen Bestimmungen der EU harmonisiert zu übernehmen.

Zahlreiche Gesetze haben direkten oder indirekten Einfluss auf den Klimaschutz und die Energiezukunft der Schweiz. Die vier genannten stellen nur eine kleine Auswahl dar, haben aber gemeinsam, dass sie alle am 1. Januar 2025 oder im Laufe des Jahres 2025 in Kraft treten und derzeit durch das Ausarbeiten der sogenannten Verordnungen präzisiert werden. Diese Aufgabe obliegt dem Bundesrat und den Kantonsregierungen, die damit eine wichtige Rolle einnehmen. Denn in den Verordnungen werden die zahlreichen offenen Zielvorgaben der Gesetze näher ausgeführt, wodurch bestimmt wird, wie wirksam ein Gesetz tatsächlich umgesetzt wird.


Klimaschutzgesetz

Im Verordnungsentwurf des Klimaschutzgesetzes (KlG) werden die wohl wichtigsten Artikel ungenügend oder noch gar nicht umgesetzt. So gibt Artikel 9 dem Bundesrat die Kompetenz, die nationalen und internationalen Finanzflüsse stärker auf die Pariser Klimaziele auszurichten, um so deren massive Auswirkung auf die Klimakrise zu verringern. Von dieser Möglichkeit macht der Bundesrat aber kaum Gebrauch, dabei ist die umweltfreundliche Ausrichtung der Geldflüsse der wichtigste Schweizer Hebel im Klimaschutz.

Der Schweizer Finanzplatz verwaltet insgesamt rund 8000 Milliarden Franken. Nach wie vor fliesst ein Teil davon in Form von Krediten, Investitionen oder Versicherungsleistungen in klima- und umweltschädliche Tätigkeiten, wie etwa Waldrodungen oder in fossile Infrastruktur. Damit hat der Schweizer Finanzplatz zusammen mit Investitionen in Staatsanleihen Einfluss auf das 40-Fache der gesamten inländischen Emissionen der Schweiz (4.5 Prozent der globalen Emissionen, was die Schweiz zusammen mit Russland auf Rang 5 der grössten Verursacher hievt). Mit dem KIG hat es der Bundesrat in der Hand, hier die Weichen richtig zu stellen und zur dringend nötigen grünen Transformation der Wirtschaft beizutragen.

Artikel 10 regelt die Vorbildfunktion von Bund und Kantonen, darin heisst es: «Die zentrale Bundesverwaltung muss bis zum Jahr 2040 mindestens Netto-Null-Emissionen aufweisen. Dabei werden neben den direkten und indirekten Emissionen auch die Emissionen berücksichtigt, die vor- und nachgelagert durch Dritte verursacht werden.» Diese Vorreiter-Rolle der öffentlichen Verwaltung ist nicht zu unterschätzen und hat ebenfalls grosses Potenzial, die Transformation voranzubringen. Dennoch will der Bundesrat von einer Umsetzung per 1. Januar 2025 absehen und einen Entwurf erst Mitte 2025 präsentieren. Dabei bleibt bis 2040 nicht mehr viel Zeit - speziell, wenn es um Investitionen in Infrastruktur geht.


CO2-Gesetz

Mit dem CO2-Gesetz sollen die Schweizer Klimaziele umgesetzt und die internationalen Klima-Verpflichtungen erfüllt werden. Das dafür im März überarbeitete Regelwerk kann seinem Zweck allerdings kaum gerecht werden und gleicht mehr einer Verlängerung der bisherigen Massnahmen als einer tatsächlichen Revision.

Doch auch das zaghafte CO2-Gesetz bietet im Rahmen der noch ausstehenden Verordnungen einige Spielräume, die Wirkungsmöglichkeiten tatsächlich auszuschöpfen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen:

  • Kompensationspflicht für Treibstoffimporteure, die neu im Gesetz mit einer riesigen Bandbreite von fünf bis 90 Prozent festgelegt wird, maximal ansetzen.
  • Aus- und Weiterbildung sowie Informationsangebote gemäss Artikel 41 mit den dort maximal vorgesehenen fünf Millionen Franken pro Jahr fördern. Denn ohne eine gut informierte Bevölkerung und Fachkräfte kann die Klima- und Energiewende nicht gelingen.
  • Notwendigkeit weiterer Massnahmen (Artikel 40) entsprechend der Wirkungsabschätzung der Verordnung prüfen und Gesetzeslücken dem Parlament umgehend vorlegen.
  • Zielvereinbarung mit Unternehmen zur Rückerstattung der CO2-Abgabe so ansetzen, dass jetzt Anreize für Netto-Null-Lösungen entstehen. Die entsprechenden Massnahmen sollten sich danach richten, ob sie für die Betriebe “wirtschaftlich tragbar” sind und nicht, wie bisher, “wirtschaftlich lohnend”. Das führt zu mehr möglichen Massnahmen und zu einem steileren CO2-Absenkpfad.
  • Verwendung sogenannter zweckgebundener Abgaben mit den im Gesetz vorgesehenen Maximalbeiträgen. Darunter die Förderung elektrischer Antriebe im öffentlichen Verkehr, für erneuerbare Flugtreibstoffe, den internationalen Zugsverkehr und für erneuerbare Brennstoffe.


Stromgesetz

Am 9. Juni hat das Schweizer Stimmvolk die Grundlage für eine erfolgreiche Energiewende gelegt. Das deutliche Abstimmungsergebnis ist ein Auftrag, in den zahlreichen Verordnungen zur Umsetzung das Potenzial auch tatsächlich auszuschöpfen. Doch die vorliegenden Entwürfe lassen hier noch Luft nach oben:

  • Planungssicherheit für Investor:innen deutlich verbessern, indem die Verschuldungsmöglichkeit des Netzzuschlagfonds genutzt und das Gesetzesversprechen, dass sich eine gut geplante Solaranlage an geeigneten Flächen dank kostendeckendem Rückliefertarif lohnt, eingehalten wird. Das führt zur nötigen Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien.
  • Vorbildrolle von Bund und Kantonen umsetzen, vor alle durch eine möglichst hohe Energieeffizienz in sowie den Ausbau der Solarenergie auf öffentlichen Gebäuden.
  • Umfassende Kompetenzabtretung an die Kantone im Bereich Gebäude und Unternehmen muss in griffigeren kantonalen Energiegesetzen münden als bisher.
  • Die Festlegung von Eignungsgebieten für den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien sollte nur dort erfolgen, wo der Schutz-Nutzen-Effekt optimal ist. Die Verordnung sollte dahingehend präzisiert werden, um Verzögerungen bei Baubewilligungen zu vermeiden.


Umweltschutzgesetz

Im Rahmen der parlamentarischen Initiative Kreislaufwirtschaft wurde das Umweltschutzgesetz wirksam ergänzt. Insbesondere im Bauwesen kann der Bundesrat nun Bestimmungen einführen, welche den Fussabdruck des Neu- und Umbaus von Gebäuden massiv reduzieren. Die Bauwirtschaft inklusive Baumaterialproduktion stösst gleich viel CO2 aus, wie alle Öl- und Gasheizungen der Schweiz zusammen.

Die Bestimmungen der EU zur Kreislaufwirtschaft können nun weitgehend autonom übernommen werden. Damit wird eine willkommene Harmonisierung der Bestimmungen erreicht und viele Materialkreisläufe können besser geschlossen werden. Die Schweiz hat im internationalen Vergleich einen riesigen Ressourcenverbrauch und entsprechend rekordhohe Abfallmengen pro Kopf.


Fazit

Der Bundesrat sollte seiner Verantwortung, die ihm vom Parlament und vom Volk zugesprochen wurde, auch gerecht werden. Beschlossene Gesetze nur halbherzig umzusetzen und dann fehlenden Handlungsspielraum aufgrund des vermeintlichen Volkswillens vorzuschieben, dafür fehlt uns die Zeit. Wirtschaft und Konsument:innen brauchen endlich klare Signale und Rahmenbedingungen, sodass die Transformation zu einer Netto-Null-Gesellschaft mehr Fahrt aufnimmt.

Gleichzeitig dürfen die bestehenden Handlungsmöglichkeiten nicht davon ablenken, dass die Schweiz nicht um zusätzliche klimapolitische Massnahmen, herumkommt, um die Ziele des Klimaschutzgesetzes zu erreichen und ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Denn mit den bestehenden Instrumenten gelingt der notwendige Ausstieg aus fossilen Energien noch nicht. Bundesrat, Parlament, Kantone und Gemeinden sind hier gleichermassen gefordert, vorranzugehen und für ein ambitionierteres Vorgehen zu sorgen.


Patrick Hofstetter

Klimaschutzexperte beim WWF Schweiz

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