Was Leistungsbereitschaft mit Vereinbarkeit zu tun hat
Die anhaltende öffentliche Diskussion zur angeblich wohlstandsgefährdenden Arbeitseinstellung bzw. Leistungsbereitschaft der deutschen Arbeitnehmer ist aus meiner Sicht besorgniserregend. Obwohl platte Aussagen oder plumpe Überschriften zum Thema eine latente Faulheit der Arbeitnehmerschaft bis hin zu einer dekadenten Einstellung suggerieren, ist meine Erfahrung eine andere. Auch glaube ich, dass die eigentliche Problematik tiefer liegt.
Verfolgt man auch die aktuellen Debatten und politischen Einlassungen zur Umstellung von Hartz 4 (welches noch immer - eingebettet in das Gesamtpaket der sog. Hartz-Reformen - als wirkmächtiges Instrument des zurückliegenden wirtschaftlichen Erfolgs kommentiert wird) auf eine neue Begrifflichkeit, namentlich dies des "Bürgergeldes", welche im Kern keine wesentlichen Veränderungen mit sich gebracht hat, kann man den Eindruck gewinnen, dass die deutsche Arbeitnehmerschaft eigentlich nicht arbeiten wolle und nicht mehr bereit sei, Leistungen zu erbringen. Selbst wenn es richtig wäre, dass sich Arbeit insbesondere im Niedriglohnbereich finanziell nicht mehr lohnen würde, weil die staatlichen Transferleistungen höher oder annähernd gleich seien, gibt es dennoch den menschlichen Drang danach einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen, sich mit anderen auszutauschen und einen Beitrag zu leisten. Dies hat viel mit Würde zu tun. Diese Diskussion spricht ihnen meines Erachtens diese Würde ab. Ich bin dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher daher für seinen in dieser Woche in der Welt publizierten Beitrag dankbar, in dem er von einem "unsinnigen Gerede von der Erosion der Leistungsbereitschaft" spricht.
Auch er unterstreicht hier, dass Arbeit "für die allermeisten Menschen sinnstiftend und ein wichtiger Teil für ihre Identität und ein erfülltes Leben" ist und bleibt. Weiterhin gibt er zu bedenken, dass zwar zu konstatieren sei, dass es bei vielen Arbeitnehmern den Wunsch danach gebe, die Arbeitszeit zu reduzieren, dies habe aber nicht mit weniger Leistungsbereitschaft, sondern vielmehr mit "dem Schutz der eigenen Gesundheit und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf" zu tun. Hieran anschließend kann ich bestätigen, dass sich genau diese Beobachtung auch mit meinen Erfahrungen deckt.
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Arbeitszeitreduktion ist kein Indiz für Dekadenz oder Faulheit sondern von Mangel
Der Wunsch nach Reduzierung von Arbeitszeit hat meines Erachtens in den wenigsten Fällen mit plumper Faulheit zu tun, sondern viel mehr mit einem Mangel an Möglichkeiten der Vereinbarkeit. Die Menschen spüren zunehmend, dass es nicht sinnvoll ist, dass beispielsweise alle gleichzeitig am Samstagmorgen einkaufen gehen, dass alle gleichzeitig zur Arbeit fahren und wieder nach Hause um nur einige plakative Beispiele zu nennen. Dazu kommt, dass die Lebensmodelle und die Leistungsfähigkeit nicht mit der Arbeitswelt koalieren, sondern oftmals sogar im Widerspruch zu einander stehen. So sind beispielsweise die klassischen Phasen des Karriereaufbaus vor allem in den mittleren Berufsjahren zu finden. Genau hier erstreckt sich aber auch die Phase der ernsthaften Familienplanung. Die Rahmenbedingungen einer gelingenden Karriere und der damit erforderlichen Leistungsbereitschaft und vor allem auch dem eigenen Anspruch an die zu erbringende Leistung in Hinblick auf die eigene Ambition, stehen einer gleichzeitigen gelingenden Familienplanung in einer Partnerschaft auf Augenhöhe, in welcher beide Partner Ihren Ambitionen Rechnung tragen wollen, entgegen. Wenn man am morgen bereits völlig abgehetzt vom täglichen Spießrutenlauf um KiTa (sofern man einen Platz bekommen hat) und Schule, an seinem Arbeitsplatz ankommt, und dann wieder einmal früher gehen muss, weil die Busfahrer streiken, Unterricht ausfällt oder Ferien sind, ist man schnell am Ende seiner Leistungsfähigkeit angekommen und sowohl mit der Erfüllung seiner Ansprüche an berufliche und elterliche Ambition mehr als unzufrieden. Gleiches findet sich im Bereich der Pflege von Angehörigen etc. wieder.
Hierbei spreche ich von gelingenden Karrieren, muss man allerdings grundsätzlich sehen, wie man finanziell mit einer Familie überhaupt über die Runden kommt, wird die oben beschriebene Herausforderung der Vereinbarkeit noch problematischer und dann fehlen schnell die Anreize, seine Leistungsfähigkeit einzubringen und damit kehrt sich die Leistungsbereitschaft um. Dies kann im Übrigen aber überall passieren und auch dies hat meiner festen Überzeugung nach mit Würde zu tun. Mit dem würdevollen Umgang miteinander am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft und natürlich auch mit dem würdevollen Umgang mit sich selbst; da sind wir dann wieder bei der Leistungsbereitschaft. Hier spricht man häufig auch von Motivation.
Selbstverständlich kann Vereinbarkeit im Zusammenhang mit dem Wunsch nach Arbeitszeitreduktion auch dem geschuldet sein, dass man anderen Ambitionen nachgehen möchte, ein Buch zu schreiben beispielsweise oder sein Gemüse zukünftig selbst anzubauen, sich ehrenamtlich zu engagieren oder vieles mehr. Aber all dies hat wiederum nichts mit Faulheit zu tun, sondern mit einer anderen Form der Wertschöpfung, welche aus meiner Sicht ebenfalls anzuerkennen ist, wenn man seinen Ambitionen am Arbeitsplatz nicht nachkommen kann. Auch hierauf könnten Unternehmer mit sinnvollen Vereinbarkeitsangeboten eingehen und sich somit einerseits selbst flexibel zeigen und andererseits die wichtige Leistungsbereitschaft ihrer Arbeitnehmer wertschöpfend im Unternehmen halten. So verhält sich jeder Beteiligte seiner individuellen Würde entsprechend. Die Aufgabe der Politik ist, sich endlich ernsthaft mit den Rahmenbedingungen zu beschäftigen.