Mantelerlass: Ende gut, alles gut?

Mantelerlass: Ende gut, alles gut?

Ja, das Parlament will einen grossen Schritt vorwärts machen auf dem Weg in eine erneuerbare Energiezukunft. Der Mantelerlass bringt wichtige Neuerungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien bei der Güterabwägung und der Bewilligungsfähigkeit von Energieprojekten ausserhalb der Bauzone. Zudem unterstützt der Gesetzgeber ausdrücklich die Umsetzung von 16 namentlich genannten Wasserkraftprojekten für die Winterstromversorgung und schafft eine gesetzliche Grundlage für die Wasserkraftreserve, mit welcher kurzfristig kritische Versorgungssituationen überbrückt werden können.

Für Haushalte und KMU sieht das Parlament vorderhand keine freie Wahl des Stromlieferanten vor. Es ändert jedoch die Vorgaben bezüglich Preisbildung. Damit ist es gelungen, dass die Beschaffungsportfolien für die Grundversorgung und die anderen Kundensegmente fortan getrennt werden. Für die untaugliche Durchschnittspreismethode heisst es erfreulicherweise ab ins Museum.

Für die Versorgungssicherheit zählt auch jede eingesparte Kilowattstunde. Der pragmatische Branchenvorschlag dazu wurde nicht aufgegriffen. Mit den nun beschlossenen Effizienzvorgaben kommt daher statt einer Evolution eine kleine Revolution auf die Branche zu.

Der Umbau des Energieversorgungssystems spielt sich insbesondere in den Verteilnetzen ab. Der Mantelerlass bringt für die Netze neue Rechte, aber auch neue Pflichten. So wird z.B. die Möglichkeit zum Peak Shaving geschaffen. Beim Datenzugang werden die Anforderungen deutlich erhöht. Allerdings wird den Netzbetreibern im Gegenzug die Hoheit über das Messwesen nicht entrissen. Dessen Liberalisierung ist vom Tisch, die Geisterstunde vorbei.

Viel Luft nach oben besteht demgegenüber weiterhin bei der Netztarifierung und der Nutzung netzdienlicher Flexibilitäten. Mit neuen Eigenverbrauchsprivilegien bewegt sich die Politik stattdessen weiter in Richtung einer Marktöffnung durch die Hintertüre. Frei nach dem Motto Wilder Westen im Stromnetz wird mit den lokalen Elektrizitätsgemeinschaften weiter an volkswirtschaftlich ineffizienten Sonderregelungen für Wenige gebastelt.

Der Teufel steckt bekanntlich im Detail. So bleiben viele Fragen offen, die erst 2024 im Rahmen der Verordnungen geregelt werden. Die Vernehmlassung dazu wird der Branche Gelegenheit geben, sich für praktikable Lösungen einzusetzen.

Und bereits richtet sich der Blick auf die nächsten Baustellen, denn auch mit dem Mantelerlass ist das Ziel noch längst nicht in Griffweite. So hat die Volksabstimmung im Wallis eben erst vor Augen geführt, wie schwierig es ist, die Bevölkerung von der Notwendigkeit eines pragmatischen Ausbaus der erneuerbaren Energien zu überzeugen. Und dies, obwohl das Ausbautempo weiter beschleunigt werden muss, wenn wir unsere Ziele nicht erst in 100 Jahren erreichen wollen. Während mit der Biodiversitätsinitiative eine Vollbremsung hingelegt würde, versucht der Beschleunigungserlass den Bewilligungsverfahren Beine zu machen, um Sisyphus aus seiner ewigen Rückkehr auf Feld eins zu befreien.

Die Uhr tickt auch bei der Zusammenarbeit der Schicksalsgemeinschaft Schweiz-EU unüberhörbar. Ein Stromabkommen würde nicht nur die Risiken für die Netzstabilität und die Versorgungssicherheit, sondern auch unnötige Kosten für die Schweizer Konsumenten reduzieren.

Der Mantelerlass ist ein wichtiger Meilenstein, er ist aber längst nicht das Ende der Geschichte. Auf dem langen Weg in Richtung Energie- und Klimaziele heisst es auch in der neuen Legislatur: dranbleiben!


Dominique Martin, Bereichsleiter Public Affairs VSE

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